Die Reise um die Erde in achtzig Tagen. Jules VerneЧитать онлайн книгу.
den Händen, machte ihn auf und ließ ein starkes Bündel jener schönen Banknoten in seine Tiefen gleiten, die in aller Herren Ländern gut im Kurs stehen.
„Vergessen hast du nichts?“ fragte er.
„Nichts, gnädiger Herr.“
„Mein Makintosh und meine Decke?“
„Hier bitte.“
„Da, nimm den Sack!“
Herr Fogg gab Passepartout den Reisesack wieder in die Hand.
„Gib gut acht auf ihn“, bemerkte er noch — „es liegen 20.000 Pfund drin.“
Es schien, als entglitte der Sack, weil die 20.000 Pfund in Gold verwandelt und schwer wiegen möchten, Passepartouts Händen.
Herr und Diener gingen nun die Treppe hinunter. Das Haustor wurde zweifach verschlossen. Am äußersten Ende der Saville-Row standen Droschken. Phileas Fogg stieg mit seinem Lakaien in einen Einspänner, der geschwind nach dem Bahnhof Charing Croß fuhr. Dort mündete eines der Gleise, die zum Südostbahnhof führten.
Um 8 Uhr 20 Minuten hielt der Einspänner vor dem Gitter des Bahnhofs. Passepartout sprang zur Erde. Sein Herr sprang hinterher und bezahlte den Kutscher.
In diesem Augenblick trat ein armes Bettelweib mit einem Kind an der Hand, das barfuß im Straßenschmutz stand, einen zerrissenen Hut auf dem Kopfe, an dem eine ärmliche Feder hing, und ein fadenscheiniges Tuch um die Hüften, auf Fogg zu und bat um eine Gabe.
Herr Fogg nahm die zwanzig Guineen aus der Tasche, die er eben im Whist gewonnen, und drückte sie der Bettlerin in die Hand mit den Worten:
„Da nehmen Sie, gute Frau! Ich bin froh, daß Sie mir in den Weg getreten sind!“
Dann eilte er weiter.
Passepartout hatte das Gefühl, als wenn es ihm um die Pupille herum feucht würde. Sein Herr hatte einen Platz in seinem Herzen gewonnen.
Herr Fogg betrat nun zusammen mit Passepartout ohne weiteren Aufenthalt den großen Wartesaal des Bahngebäudes. Dort gab Herr Fogg Passepartout die Weisung, zwei Billetts erster Klasse nach Paris zu lösen. Dann drehte er sich um, und seine Blicke fielen auf seine fünf Kollegen aus dem Reform-Klub.
„Meine Herren“, redete er sie an, „ich reise ab. Die verschiedenen Visa, die ich meinem Passe beisetzen lassen werde, sollen Ihnen bei meiner Rückkehr als Kontrolle für die eingehaltene Route dienen.“
„Aber ich bitte, Herr Fogg“, antwortete Walter Ralph höflich, „das ist doch ganz unnötig. Wir verlassen uns doch auf Ihre Eigenschaft als Kavalier!“
„So wirds aber besser sein“, versetzte Herr Fogg.
„Die Heimkehr werden Sie doch nicht vergessen?“ erlaubte sich Andrew Stuart zu bemerken.
„Innerhalb achtzig Tagen“, versetzte Herr Fogg, „am Sonnabend, den 21. Dezember 1872, um 8 Uhr 45 Minuten abends bin ich wieder da. Auf Wiedersehen, meine Herren!“
Um 8 Uhr 40 Minuten nahm Phileas Fogg mit seinem Diener im gleichen Abteil Platz. Um 8 Uhr 45 Minuten erscholl ein Pfiff und der Zug setzte sich in Bewegung.
Es war eine finstere Nacht. Ein feiner Regen fiel. Phileas Fogg drückte sich in seine Ecke und sprach kein Wort. Passepartout, noch immer wie versteinert, drückte mechanisch den Sack mit den Banknoten an sich.
Aber noch war der Zug nicht bis Sydenham gekommen, als Passepartout einen echten Verzweiflungsschrei ausstieß!
„Was ist dir denn?“ fragte Herr Fogg.
„Ach — ich habe bloß — in meiner Eile vergessen —“
„Was denn?“
„Den Gashahn in meiner Stube auszudrehen!“
„Na, mein Junge!“ antwortete kühl und gelassen Herr Fogg — „die Flamme brennt für deine Rechnung!“
Fünftes Kapitel,
worin ein neuer Effekt in London eintritt
Als Phileas Fogg London verließ, hatte er ganz gewiß nicht die geringste Ahnung von dem großen Lärm, den seine Abreise hervorrufen sollte. Die Nachricht von der Wette verbreitete sich zuerst im Reform-Klub und rief unter den Mitgliedern der sehr ehrenwerten Vereinigung eine wichtige Erregung wach. Aus dem Klub nahm die Erregung ihren Weg in die Zeitungen, und zwar auf den Fittichen der zahllosen Reporter, und aus den Zeitungen zum großen Publikum von London und des ganzen Vereinigten Königreiches.
Diese Weltreisenfrage wurde mit viel Leidenschaft und Wärme erörtert und zergliedert. Die einen ergriffen Partei für Phileas Fogg; die andern — und zwar befanden sie sich rasch in überwiegender Majorität — sprachen sich gegen ihn aus. Diese Reise um die Erde in diesem Minimum von Zeit anders als in der Theorie und auf dem Papier mit den gegenwärtig zur Verfügung stehenden Verkehrsmitteln zurückzulegen, war nicht allein unmöglich, sondern war unvernünftig!
Times, Standard, Evening-Star, Morning-Chronicle und zwanzig andere Zeitungen von großer Bedeutung sprachen sich gegen Herrn Fogg aus. Bloß der Daily-Telegraph hielt ihm bis zu einem gewissen Grade die Stange. Phileas Fogg wurde als Schwärmer, als Tollhäusler hingestellt, und über seine Kameraden aus dem Reform-Klub regnete es Worte des Tadels und Vorwurfs, daß sie auf solch eine Wette eingegangen waren, die doch klar und deutlich auf eine Schwächung der geistigen Kräfte ihres Urhebers hinwies.
Außerordentlich leidenschaftlich, aber logisch richtige Artikel erschienen über die Frage. Kennt man doch das Interesse, das man in England an allem nimmt, was die Erdkunde betrifft. Es gab auch tatsächlich keinen einzigen Leser, gleichviel welcher Bevölkerungsklasse er angehörte, der nicht die dem Falle Phileas Fogg gewidmeten Textspalten verschlungen hätte.
Während der ersten Tage waren einige kühne Geister — vornehmlich aus der Frauenwelt — für ihn gestimmt, zumal als die „Londoner Illustrated News“ nach seiner in den Archiven des Reform-Klubs enthaltenen Photographie sein Bild veröffentlichten. Gewisse Herren verstiegen sich zu der Rede: „Aber warum denn auch schließlich nicht? Da hat man doch noch ganz andere Dinge erlebt!“ Zu ihnen gehörten vor allem die Leser des „Daily-Telegraph“. Aber bald wurde ihnen inne, daß auch diese Zeitung schwankend zu werden anfing.
Da erschien am 7. Oktober im „Bericht der Königlichen geographischen Gesellschaft“ ein langer Aufsatz, der die Frage nach allen Gesichtspunkten behandelte und klar und deutlich den Wahnsinn des Unternehmens nachwies. Diesem Aufsatz nach war alles wider den Reisenden; Menschen sowohl wie Natur boten unübersteigliche Hindernisse. Wenn das Vorhaben gelingen sollte, so mußte ein wunderbarer Einklang in der Abfahrts- und Ankunftszeit vorwalten — ein Einklang, der aber nicht vorhanden war und auch nicht vorhanden sein konnte. In Europa, wo es sich ja nur um Strecken von mittelmäßiger Länge handelt, kann man ja äußersten Falles auf die Ankunft der Bahnzüge zu der festgesetzten Fahrplanzeit rechnen; bei Zügen aber, die drei Tage brauchen, um Indien, oder sieben Tage, um die Vereinigten Staaten zu durchschneiden, ließen sich doch auf pünktliche Einhaltung der Fahrzeiten keine festen Schlösser bauen! Ganz abgesehen von Unfällen, Entgleisungen, Zusammenstößen, Unbilden der Jahreszeit, Schneeansammlungen — war nicht wirklich alles wider Phileas Fogg? Würde er zur Winterszeit nicht auf den Dampfschiffen auch Stürmen oder Nebeln auf Gnade und Ungnade überantwortet sein? Ist es denn eine so große Seltenheit, daß die besten Paketdampfer der transatlantischen Schiffahrtsgesellschaften Verzögerungen von zwei bis drei Tagen erleiden? Nun genügte aber doch eine einzige Verspätung, um die Kette der Verbindungsmittel auf eine nicht wieder gutzumachende Weise zu zerreißen. Verpaßte Phileas Fogg, wenn auch nur auf ein paar Stunden, den Abgang eines Dampfschiffes, so würde er gezwungen sein, auf das nächstabgehende zu warten, und schon in solchem Falle war seine ganze Reise unwiderruflich gescheitert.
Der Aufsatz machte großes Aufsehen. Fast sämtliche Zeitungen druckten ihn ab, und Phileas Foggs Aktien erlitten einen bedenklichen Rückgang.
In den ersten Tagen nach der Abreise des Kavaliers wurden bedeutende Wetten über