Nana. Emile ZolaЧитать онлайн книгу.
mit riesigen Jalousien, die fast immer geschlossen blieben. Hinten waren in einem Stückchen feuchten Garten Bäume gewachsen, die nach der Sonne strebten und so lang und schmächtig waren, daß man ihre Zweige über dem Schieferdach sah.
An diesem Dienstag befand sich gegen zehn Uhr kaum ein Dutzend Leute im Salon. Da die Gräfin nur enge Freunde erwartete, öffnete sie weder den kleinen Salon noch den Speisesaal. Man war mehr unter sich, man plauderte beim Feuer. Der Salon war übrigens sehr groß und sehr hoch; vier Fenster gingen auf den Garten, dessen Feuchtigkeit man an diesem regnerischen Abend Ende April trotz der dicken Holzscheite spürte, die im Kamin brannten. Niemals drang die Sonne bis hier herunter; tagsüber erhellte ein grünliches Licht kaum das Zimmer, aber abends, wenn die Lampen und der Kronleuchter angezündet waren, war es nur noch ernst mit seinen Empiremöbeln aus massivem Mahagoni, seinen Wandbespannungen und seinen gelben Samtsesseln mit großen Atlasmustern. Man geriet in eine kalte Würde, in Sitten von einst, in ein verschwundenes Zeitalter, das einen Duft nach Frömmigkeit ausströmte.
Gegenüber dem Lehnstuhl, in dem die Mutter des Grafen gestorben war, einem viereckigen Lehnstuhl aus hartem Holz und festem Stoff, saß unterdessen auf der anderen Seite des Kamins Gräfin Sabine in einem tiefen Sessel, dessen rote Seidenpolsterung weich wie ein Daunenkissen war. Es war das einzige moderne Möbelstück, eine Ecke Phantasie, die in diese Strenge hereingebracht worden war und die dagegen abstach.
„Nun“, sagte die junge Frau, „wir werden den Schah von Persien hier haben . . .“
Man sprach von den Fürsten, die zur Ausstellung nach Paris kommen würden. Mehrere Damen bildeten einen Kreis vor dem Kamin. Frau du Joncquoy, deren Bruder, der Diplomat war, eine Mission im Orient erfüllt hatte, gab Einzelheiten über den Hof Nasr-ed-Dins zum besten.
„Sind Sie etwa leidend, meine Liebe?“ fragte Frau Chantereau, die Gattin eines Hüttenbesitzers, als sie sah, daß die Gräfin ein leichter Schauer ergriff, der sie erbleichen ließ. „O nein, durchaus nicht“, antwortete diese lächelnd. „Mir ist ein wenig kalt . . . Es dauert so lange, bis dieser Salon warm wird.“ Und sie ließ ihren düsteren Blick an den Wänden entlang bis nach oben zur Decke schweifen.
Estelle, ihre Tochter, ein dünnes und unbedeutendes junges Ding im undankbaren Alter von sechzehn Jahren, verließ den Hocker, auf dem sie saß, und richtete schweigend eines der Scheite wieder auf, das zur Seite gerollt war.
Doch Frau de Chezelles, eine Pensionatsfreundin Sabines, die fünf Jahre jünger als diese war, rief aus:
„Ach, ich möchte wirklich einen Salon wie deinen haben! Du kannst wenigstens Gäste empfangen . . . Heute baut man nur noch Kästen . . . Wenn ich an deiner Stelle wäre!“ Sie sprach ohne große Überlegung, mit lebhaften Gebärden und erklärte, sie würde die Wandbespannungen auswechseln, die Sessel, alles; dann würde sie Bälle geben, die ganz Paris herbeirennen ließen.
Hinter ihr hörte ihr Mann, ein Richter, mit ernster Miene zu. Es wurde erzählt, sie betrüge ihn, ohne ein Hehl daraus zu machen; aber man verzieh ihr; man empfing sie trotzdem, da sie verrückt sei, wie es hieß.
„Diese Léonide!“ begnügte sich Gräfin Sabine mit ihrem blassen Lächeln zu murmeln. Eine schlaffe Handbewegung ergänzte ihren Gedanken. Gewiß würde sie ihren Salon nicht verändern, nachdem sie nun siebzehn Jahre darin gelebt hatte. Jetzt würde er so bleiben, wie ihre Schwiegermutter ihn zu ihren Lebzeiten hatte erhalten wollen. Dann sagte sie, auf das Gespräch zurückkommend: „Man hat mir versichert, auch der König von Preußen und der Kaiser von Rußland würden herkommen.“
„Ja, es werden sehr schöne Feste angekündigt“, sagte Frau du Joncquoy.
Der Bankier Steiner, der seit kurzem von Léonide de Chezelles, die die ganze Pariser Gesellschaft kannte, in das Haus eingeführt worden war, plauderte auf einem Sofa, das zwischen zwei Fenstern stand; er fragte einen Abgeordneten aus, dem er geschickt Nachrichten hinsichtlich einer Börsenbewegung, die er witterte, zu entlocken versuchte, während Graf Muffat, der vor ihnen stand, ihnen schweigend mit noch saurerer Miene als gewöhnlich zuhörte. Vier oder fünf junge Leute bildeten eine andere Gruppe an der Tür, wo sie um Graf Xavier de Vandeuvres herumstanden, der ihnen halblaut eine zweifellos sehr schlüpfrige Geschichte erzählte, denn sie erstickten vor Lachen. Mitten im Zimmer saß ganz allein ein dicker Mann, ein Bürovorsteher im Innenministerium, schwerfällig in einem Lehnstuhl und schlief mit offenen Augen. Da aber einer der jungen Leute an der Geschichte Vandeuvres’ gezweifelt zu haben schien, erhob dieser die Stimme:
„Sie sind zu skeptisch, Foucarmont; Sie werden sich die Freude verderben.“ Und lachend ging er wieder zu den Damen hinüber. Als letzter eines vornehmen Geschlechts, weibisch und geistreich, brachte er jetzt mit rasenden Begierden, die nichts besänftigte, ein Vermögen durch. Sein Rennstall, einer der berühmtesten von Paris, kostete ihn wahnsinniges Geld, seine Verluste im Cercle Impérial beliefen sich jeden Monat auf eine beunruhigende Anzahl Louisdors, seine Mätressen verschlangen ihm jahraus, jahrein einen Pachthof und einige Morgen Land oder Wald, einen ganzen Teil seiner ausgedehnten Ländereien in der Picardie.
„Ich möchte Ihnen geraten haben, andere als Skeptiker zu behandeln, gerade Ihnen, der an nichts glaubt“, sagte Léonide und verschaffte ihm einen kleinen Platz neben sich. „Sie verderben sich die Freude.“
„Allerdings“, antwortete er. „Ich will die anderen aus meiner Erfahrung Nutzen ziehen lassen.“
Doch man gebot ihm Schweigen. Er errege Anstoß bei Herrn Venot. Als die Damen auseinandergegangen waren, bemerkte man, tief in ein Sofa zurückgelehnt, einen kleinen Mann von sechzig Jahren mit schlechten Zähnen und einem feinen Lächeln. Bequem saß er da wie bei sich zu Hause, hörte jedermann zu und ließ kein einziges Wort fallen. Mit einer Handbewegung sagte er, er nehme keinen Anstoß daran.
Vandeuvres hatte seine vornehme Miene wieder aufgesetzt und fügte ernst hinzu:
„Herr Venot weiß sehr wohl, daß ich glaube, was man glauben muß.“
Das war eine Bekundung religiösen Glaubens. Selbst Léonide schien befriedigt. Im Hintergrund des Zimmers lachten die jungen Leute nicht mehr. Der Salon war zugeknöpft, sie amüsierten sich hier schwerlich. Ein kalter Hauch war vorübergeweht. Inmitten des Schweigens hörte man die näselnde Stimme Steiners, den die Verschwiegenheit des Abgeordneten schließlich aufbrachte. Einen Augenblick sah Gräfin Sabine auf das Feuer, dann knüpfte sie die Unterhaltung wieder an.
„Letztes Jahr habe ich den König von Preußen in Baden gesehen. Für sein Alter ist er noch ziemlich rüstig.“ „Graf von Bismarck wird ihn begleiten“, sagte Frau du Joncquoy. „Kennen Sie den Grafen? Ich habe bei meinem Bruder mit ihm gespeist, oh, es ist schon lange her, als er Preußen in Paris vertrat . . . Also, das ist ein Mann, dessen letzte Erfolge ich kaum verstehe.“ „Wieso denn?“ fragte Frau Chantereau.
„Mein Gott! Wie soll ich Ihnen das erklären . . . Er gefällt mir nicht. Er sieht brutal und schlecht erzogen aus. Und außerdem finde ich ihn stupide.“
Darauf sprachen alle über Graf von Bismarck. Die Meinungen waren sehr geteilt. Vandeuvres kannte ihn und versicherte, er sei ein wackerer Zecher und ein wackerer Spieler. Aber mitten in der heftigsten Diskussion öffnete sich die Tür, und Hector de la Faloise erschien.
Fauchery, der ihm folgte, trat zu der Gräfin und sagte, sich verneigend:
„Madame, ich habe mich Ihrer freundlichen Einladung erinnert...“
Sie lächelte und machte eine liebenswürdige Bemerkung. Nachdem der Journalist den Grafen begrüßt hatte, blieb er einen Augenblick unschlüssig mitten im Salon stehen, wo er nur Steiner wiedererkannte. Vandeuvres, der sich umgedreht hatte, kam herbei und drückte ihm die Hand. Und sogleich zog ihn Fauchery, glücklich über das Zusammentreffen und von einem Mitteilsamkeitsbedürfnis ergriffen, zu sich heran und sagte leise:
„Auf morgen also, sind Sie dabei?“
„Weiß Gott!“
„Um Mitternacht bei ihr.“
„Ich weiß, ich weiß . . . Ich gehe mit Blanche hin.“ Er wollte entschlüpfen, um zu