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Die Erde. Emile ZolaЧитать онлайн книгу.

Die Erde - Emile Zola


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die es ging, weniger wurde. Dann kam das Hungern dazu. Die stumpfsinnige Tyrannei der den Handel lahmlegenden Gesetze, die den freien Verkauf von Getreide verhinderten, führte alle zehn Jahre zu entsetzlichen Teuerungen, in Jahren mit zu heißer Sonne und zu langen Regenfällen, die Strafen Gottes zu sein schienen. Ein Ungewitter, das die Flüsse anschwellen ließ, ein Frühling ohne Wasser, die kleinste Wolke, der kleinste Sonnenstrahl gefährdeten die Ernten, rafften Tausende von Menschen hinweg: furchtbare Schläge des Hungerleids, jähe Teuerungen aller Dinge, entsetzliche Notzeiten, während deren die Menschen das Gras der Gräben abweideten wie die Tiere. Und schicksalhaft brachen nach den Kriegen, nach den Hungersnöten Seuchen aus, töteten jene, die das Schwert und der Hunger verschont hatten. Eine unaufhörlich aus der Unwissenheit und der Unsauberkeit wiederauferstehende Fäulnis war das, die schwarze Pest, der große Tod; man sah sein riesiges Gerippe die früheren Zeiten überragen, ihn mit seiner Sense das traurige und bleiche Volk der Fluren wegscheren.

      Da empörte sich Jacques Bonhomme, wenn er zu sehr litt. Er hatte Jahrhunderte der Angst und der Ergebenheit hinter sich, seine Schultern waren von den Schlägen hart geworden, sein Herz war so zerschmettert, daß er seine Niedrigkeit nicht fühlte. Man konnte ihn lange prügeln, aushungern, ihm alles stehlen, ohne daß er seine Vorsicht aufgegeben, sich von dieser Verdummung frei gemacht hätte, während der er wirre Dinge im Kopf wälzte, von denen er selber nichts wußte; und das so lange, bis das Maß voll war, bis zu einer letzten Ungerechtigkeit, einem letzten Leiden, das ihn veranlaßte, urplötzlich seinem Herrn an die Gurgel zu springen, wie ein Haustier, das man zu sehr geschlagen hatte und das rasend geworden war. Von Jahrhundert zu Jahrhundert bricht immer dieselbe Verbitterung los, der Bauernaufstand bewaffnet den Ackermann mit seiner Mistgabel und seiner Sense, wenn ihm nichts anderes mehr übrigbleibt, als zu sterben. So war es mit den christlichen Bagauden Galliens, mit den Pastoureaux in der Zeit der Kreuzzüge, später mit den Croquants und mit den Barfüßern, die über die Adligen und die Soldaten des Königs herfielen. Nach vierhundert Jahren läßt der noch durch die verwüsteten Felder streichende Schmerzens- und Zornesschrei der Jacques die Herren in der Tiefe ihrer Schlösser erzittern. Wenn sie wiederum einmal fuchswild werden, sie, die in der Mehrzahl sind, wenn sie schließlich ihren Anteil an den Genüssen dieser Welt fordern? Und die Gespenster aus alter Zeit galoppieren vorüber, große halbnackte Teufel in Lumpen, wahnsinnig vor Brutalität und Begierden, die vernichten und ausrotten, wie man sie vernichtet und ausgerottet hat, und nun, da sie an der Reihe sind, die Frauen der anderen vergewaltigen!

      „Besänftige deinen Zorn, Ackermann“, fuhr Jean in seiner sanften und beflissenen Art fort, „denn die Uhr der Geschichte wird die Stunde deines Triumphes bald schlagen ...“

      Geierkopf hatte wie üblich jäh mit den Achseln gezuckt; schöne Sache, sich zu erheben! Ja, damit die Gendarmen einen verhaften! Alle lauschten übrigens, seit das Büchlein von den Aufständen ihrer Vorfahren erzählte, mit gesenkten Augen, ohne sich zu rühren, von Mißtrauen erfaßt, obwohl sie unter sich waren. Das waren Dinge, über die man nicht laut reden durfte, niemand brauchte zu wissen, was sie darüber dachten. Jesus Christus hatte unterbrechen und schreien wollen, daß er beim nächsten Mal mehreren den Hals umdrehen werde. Bécu erklärte heftig, daß alle Republikaner Schweine seien; und Fouan, der als alter Mann ein Lied davon singen konnte, der aber nichts sagen wollte, mußte ihnen feierlich mit traurigem Ernst Schweigen gebieten. Die Große ließ, während sich die anderen Frauen näher für ihr Strickzeug zu interessieren schienen, das Sprichwort: „Was man hat, behält man!“ fallen, ohne daß sich das auf das Vorgelesene zu beziehen schien. Allein Françoise, der ihre Arbeit auf ihre Knie gesunken war, schaute den Korporal an und war erstaunt darüber, daß er ohne Fehler und so lange lesen konnte.

      „Ach, mein Gott, ach, mein Gott!“ wiederholte Rose und seufzte noch lauter dabei.

      Aber das Buch änderte sich, es schlug einen anderen Ton an, es wurde lyrisch und feierte in Phrasen die Revolution. In der Apotheose von 1789, da triumphierte Jacques Bonhomme. Nach der Einnahme der Bastille hatte die Nacht zum 4. August, während die Bauern die Schlösser niederbrannten, durch Anerkennung der Freiheit des Menschen und der Gleichheit des Staatsbürgers die Erwerbungen von Jahrhunderten gesetzlich bestätigt. „In einer Nacht war der Ackermann dem Grundherrn ebenbürtig geworden, der auf Grund von Adelsbriefen dessen Schweiß trank und die Frucht seiner Nachtarbeiten verschlang.“ Abschaffung der Leibeigenschaft, aller Vorrechte des Adels, der kirchlichen und herrschaftlichen Gerichtsbarkeiten; Ablösung der früheren Gerechtsamen in Geld, Steuergleichheit; Zulassung aller Bürger zu allen zivilen und militärischen Ämtern. Und die Aufzählung ging weiter, die Übel dieses Lebens schienen eines nach dem anderen zu verschwinden, das war das Hosianna auf ein neues Goldenes Zeitalter, das sich auftat für den Ackermann, dem eine ganze Seite lobhudelte, indem sie ihn den König und den Ernährer der Welt nannte. Er allein galt, man mußte vor dem heiligen Pflug niederknien. Dann wurden die Schrecken von 1793 mit flammenden Worten gebrandmarkt, und das Buch stimmte ein übertriebenes Loblied auf Napoleon an, den Sohn der Revolution, der es verstanden hatte, „sie von der einmal betretenen Bahn der Zügellosigkeit abzubringen, um das Glück des flachen Landes zu stiften“.

      „Das, das stimmt!“ gab Bécu von sich, während Jean die letzte Seite umblätterte.

      „Ja, das stimmt“, sagte Vater Fouan. „Es hat trotzdem gute Zeiten gegeben in meiner Jugend ... Ich, der ich zu euch rede, ich habe Napoleon einmal in Chartres gesehen. Ich war zwanzig Jahre alt ... Man war frei, man hatte die Erde, und das schien so gut zu sein! Ich entsinne mich, daß mein Vater eines Tages sagte, er säe Sous und er ernte Taler ... Dann haben wir Ludwig XVIII., Karl X., Louis-Philippe gehabt. Das ging immerhin, man hatte zu essen, man konnte sich nicht beklagen. Und heute ist nun Napoleon III. da, und bis zum letzten Jahr ging das noch nicht zu schlecht ... Bloß ...“ Er wollte den Rest für sich behalten, aber die Worte entschlüpften ihm. „Bloß hat uns das was genützt, denen ihre Freiheit und denen ihre Gleichheit, Rose und mir? – Sind wir deshalb fetter, nachdem wir uns fünfzig Jahre lang geschunden haben?“ Alsdann faßte er in ein paar langsamen und mühseligen Worten unbewußt diese ganze Geschichte zusammen: die Erde, die so lange für den Grundherrn bebaut worden war, unter dem Prügel des Herrn und in der Nacktheit des Sklaven, dem nichts gehört, nicht einmal seine Haut; die Erde, die mit seiner Mühe befruchtet, die während dieses heißen und innigen Zusammenlebens zu jeder Stunde leidenschaftlich geliebt und begehrt worden war wie die Frau eines anderen, die man hegt, die man umarmt und die man nicht besitzen kann; die Erde, die nach Jahrhunderten dieser Lüsternheitsmarter endlich erlangt, erworben, zu seinem Eigentum geworden war, sein Genuß, der einzige Quell seines Lebens. Und dieses jahrhundertelange Begehren, dieses unaufhörlich hinausgeschobene Besitzen erklärte seine Liebe zu seinem Feld, seine Leidenschaft zur Erde, zu soviel Erde wie möglich, zur fetten Scholle, die man berührt, die man in der hohlen Hand wiegt. Wie gleichgültig und undankbar war sie jedoch, die Erde! Man mochte sie noch so sehr vergöttern, sie erwärmte sich nicht, brachte nicht ein Korn mehr hervor. Zu starke Regenfälle ließen die Saaten verfaulen, Hagelschläge zerhackten das Getreide auf dem Halm, ein Gewitterwind legte die Stengel um, zwei Monate Trockenheit ließen die Ähren verkümmern; und dann gab es noch die zernagenden Insekten, die tötenden Kälteeinbrüche, die Krankheiten, die das Vieh befielen, die Unkrautpflanzen, diesen Krebsschaden, der den Boden auffraß; alles wurde eine Ursache zum Verderben, es blieb bei den Zufälligkeiten der Unwissenheit ein tägliches Ringen in ständigem Alarmzustand. Wahrlich, er hatte sich nicht geschont, hatte mit beiden Fäusten dreingeschlagen, wütend, weil er sehen mußte, daß die Arbeit allein nicht ausreichte. Er hatte dabei die Muskeln seines Körpers ausgedörrt, er hatte sich ganz und gar der Erde hingegeben, die ihn, nachdem sie ihn notdürftig ernährt hatte, elend, unbefriedigt, sich der greisenhaften Impotenz schämend, verließ, und die, ohne auch nur Mitleid zu haben mit seinen armen Knochen, in die Arme eines anderen Mannestiers überging, auf das sie wartete. „Und so ist’s eben! Und so ist’s eben!“ fuhr der Vater fort. „Man ist jung, man rackert sich ab; und wenn es einem mit Mühe und Not gelungen ist, sein Auskommen zu haben, ist man alt, muß man abtreten ... Nicht wahr, Rose?“

      Die Mutter schüttelte ihren zitternden Kopf. Ach du meine Güte! Sie hatte gearbeitet, sie auch, todsicher mehr als ein Mann! Vor den andern war sie aufgestanden, um das Essen zu machen, auszufegen, zu scheuern, das Kreuz war ihr schier zerbrochen von tausenderlei Besorgungen: die Kühe,


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