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Die Erde. Emile ZolaЧитать онлайн книгу.

Die Erde - Emile Zola


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schweigend, folgte, hörte sie bald weinen. Er wollte ihnen wieder Mut machen.

      „Seht mal, er wird sich’s überlegen, er wird morgen ja sagen.“ „Ach, Ihr kennt ihn nicht“, rief Lise aus. „Er würde sich lieber zerhacken lassen als nachgeben ... Nein, nein, das ist aus.“ Dann fragte sie mit verzweifelter Stimme: „Was werd ich denn machen mit seinem Kind?“

      „Rausbringen mußt du’s halt“, murmelte Françoise.

      Das brachte alle zum Lachen. Aber die beiden Mädchen waren zu traurig, sie fingen wieder an zu weinen.

      Als Jean sich an ihrer Tür von ihnen verabschiedet hatte, setzte er seinen Weg durch die Ebene fort. Es hatte aufgehört zu schneien, der Himmel war wieder frisch und klar geworden, durchsiebt von Sternen, ein weiter Frosthimmel, von dem eine blaue Helligkeit, durchsichtig wie Kristall, herabsank; und unendlich entrollte sich die Beauce, ganz weiß, flach und reglos wie ein Eismeer. Kein Hauch wehte vom fernen Horizont, Jean hörte nur den Takt seiner groben Schuhe auf dem hart gewordenen Boden. Es herrschte eine tiefe Ruhe, der erhabene Frieden der Kälte. Alles, was er gelesen hatte, drehte sich ihm im Kopf, er nahm seine Schirmmütze ab, um sich zu erfrischen, weil es ihm hinter den Ohren weh tat und er das Bedürfnis hatte, an nichts mehr zu denken. Der Gedanke an dieses schwangere Mädchen und ihre Schwester war ebenfalls anstrengend für ihn. Seine groben Schuhe klappten immerzu. Schweigend löste sich eine Sternschnuppe, durchfurchte den Himmel mit einem Flammenflug.

      Da hinten verschwand das Gehöft La Borderie, das das weiße Tuch kaum mit einem leichten Buckel schwellte; und sobald Jean in den Querweg eingebogen war, entsann er sich des Feldes, das er an dieser Stelle ein paar Tage zuvor besät hatte: er schaute nach links, er erkannte es unter dem Schweißtuch, das es bedeckte. Die Schicht war dünn, von einer Schwerelosigkeit und einer Reinheit wie Hermelin und zeichnete die Kanten der Furchen ab, ließ die schlaffen Glieder der Erde ahnen. Wie die Saaten schlafen mußten! Welch gutes Ausruhen in diesem zu Eis erstarrten Schoß bis zum lauen Morgen, da die Sonne des Frühlings sie wieder zum Leben erwecken würde!

ZWEITER TEIL

      KAPITEL I

      Es war vier Uhr, der Tag brach eben erst an, das rosige Tageslicht der ersten Maimorgen. Unter dem bleich werdenden Himmel schlummerten noch die halbdüsteren Gebäude von La Borderie, drei lange Gebäude an drei Seiten des geräumigen viereckigen Hofes, der Schafstall im Hintergrund, die Scheunen rechts, der Kuhstall, der Pferdestall und das Wohnhaus links. Das die vierte Seite abschließende Tor war geschlossen, verriegelt mit einer Eisenstange. Und allein ein großer gelber Hahn blies auf der Mistgrube mit dem schmetternden Ton seines Clairons zum Wecken. Ein zweiter Hahn antwortete, dann ein dritter. Das Signal wurde wiederholt, entfernte sich von Gehöft zu Gehöft, von einem Ende der Beauce zum anderen.

      Diese Nacht hatte Hourdequin wie fast alle Nächte Jacqueline in ihrer Stube aufgesucht, in der kleinen Magdstube, die er ihr mit einer geblümten Tapete, mit Perkalvorhängen und mit Mahagonimöbeln hatte verschönern lassen. Trotz ihrer zunehmenden Macht war sie jedesmal auf heftige Ablehnung gestoßen, wenn sie versucht hatte, mit ihm gemeinsam die Stube der verstorbenen Frau zu bewohnen, die Ehestube, die er aus einer letzten Ehrfurcht heraus verteidigte. Sie war sehr gekränkt darüber, sie begriff sehr wohl, daß sie nicht die wirkliche Herrin war, solange sie nicht in dem mit rotem Kattun verhangenen alten Eichenbett schlief.

      Bei Tagesanbruch erwachte Jacqueline, und sie blieb mit weit offenen Lidern auf dem Rücken liegen, während neben ihr der Hofbesitzer noch schnarchte. Ihre schwarzen Augen träumten in dieser erregenden Wärme des Bettes, ein Erbeben schwellte ihren Schoß, den Schoß eines schlanken hübschen Mädchens. Sie zögerte jedoch; dann entschloß sie sich, stieg mit hochgerafftem Hemd über ihren Herrn hinweg, so leichtfüßig und so geschmeidig, daß er sie überhaupt nicht spürte; und geräuschlos streifte sie mit den Händen, die vor jähem Verlangen fieberten, einen Unterrock über. Aber sie stieß gegen einen Stuhl, nun öffnete auch er die Augen.

      „Was denn? Du ziehst dich an ... Wohin gehst du denn?“

      „Ich habe Angst um das Brot, ich gehe nachsehen.“

      Verwundert über den Vorwand stammelte Hourdequin etwas und schlief wieder ein; während er noch übermannt war vom Schlaf, arbeitete es dumpf in seinem Kopf. Was für ein schrulliger Einfall! Das Brot brauchte sie um diese Zeit nicht. Und unter dem scharfen Stachel eines Verdachts fuhr er aus dem Schlummer hoch. Da er sie nicht mehr sah, ließ er benommen seinen verschwommenen Blick in dieser Dienstmädchenstube umherwandern, in der seine Pantoffeln, seine Pfeife, sein Rasierzeug lagen. Wieder irgendein plötzlicher Brunstanfall dieser Hure für einen Knecht! Er brauchte zwei Minuten, bis er richtig zu sich kam, er überschaute seine ganze Geschichte.

      Sein Vater, Isidore Hourdequin, war der Abkömmling einer ehemaligen Bauernfamilie aus Cloyes, die im sechzehnten Jahrhundert ins Bürgertum aufgestiegen und feiner geworden war. Alle hatten Stellungen am Salzhof bekleidet: einer als Speicherverwalter in Chartres, ein anderer als Oberaufseher in Châteaudun; und Isidore, der frühzeitig Waise geworden war, besaß etwa sechzigtausend Francs, als er, mit sechsunddreißig Jahren durch die Revolution um seinen Posten gebracht, auf den Einfall kam, mit dem Diebesgut dieser räuberischen Republikaner, die den Nationalbesitz zum Verkauf stellten, sein Glück zu machen. Er kannte die Gegend vortrefflich, er witterte, berechnete, bezahlte dreißigtausend Francs – kaum ein Fünftel des wirklichen Wertes – für die hundertfünfzig Hektar von La Borderie, alles, was vom ehemaligen Gut der Rognes-Bouquevals übriggeblieben war. Kein Bauer hatte gewagt, seine Taler aufs Spiel zu setzen; einzig und allein Bürger – Juristen und Geldleute – zogen Nutzen aus der revolutionären Maßnahme. Übrigens war das lediglich eine Spekulation, denn Isidore beabsichtigte durchaus nicht, sich ein Gehöft auf den Hals zu laden, sondern er wollte es zu seinem richtigen Preis weiterverkaufen, sobald die Wirren beendet wären, und auf diese Weise sein Geld verfünffachen. Aber das Direktorium kam, und die Entwertung des Grundbesitzes ging weiter: er konnte nicht mit dem erträumten Gewinn verkaufen. Seine Erde hielt ihn fest, er wurde ihr Gefangener, und zwar dermaßen, daß er, da er starrköpfig war und nichts von ihr fahrenlassen wollte, auf den Gedanken kam, sie selber zu bewirtschaften, weil er hoffte, dadurch endlich aus seinem Vermögen den erhofften Gewinn zu schlagen. Um diese Zeit heiratete er die Tochter eines benachbarten Hofbesitzers, die ihm fünfzig Hektar mit in die Ehe brachte; von da an hatte er zweihundert Hektar, und so geschah es, daß dieser Bürger, der vor drei Jahrhunderten aus dem Bauerngeschlecht hervorgegangen war, wieder zum Bauern wurde, aber zum Großbauern, zum Aristokraten des Bodens, der an die Stelle des früheren allmächtigen Feudalbesitzers trat.

      Alexandre Hourdequin, sein einziger Sohn, war 1804 geboren worden. Er hatte erbärmliche Studien am Gymnasium in Châteaudun begonnen. Die Erde versetzte ihn in Leidenschaft, er zog es vor, zurückzukehren, um seinem Vater zu helfen, und enttäuschte damit einen weiteren Traum des Alten, der angesichts des trägen Glücks am liebsten alles verkauft hätte, um seinem Sohn in irgendeinem freien Beruf zum Zuge zu verhelfen. Der junge Mann war siebenundzwanzig Jahre alt, als er durch den Tod des Vaters Herr auf La Borderie wurde. Er war für die neuen Methoden; als er sich verheiratete, galt seine Hauptsorge nicht dem Streben nach Grundbesitz, sondern dem Streben nach Geld, denn seiner Ansicht nach mußte es dem Kapitalmangel zugeschrieben werden, wenn das Gehöft dahinkümmerte; und er fand die begehrte Mitgift, eine Summe von fünfzigtausend Francs, die ihm eine Schwester des Notars Baillehache mit in die Ehe brachte, ein reifes Fräulein, das fünf Jahre älter als er, ungemein häßlich, aber sanftmütig war. Da begann zwischen ihm und seinen zweihundert Hektar ein langes Ringen, das zuerst vorsichtig, nach und nach infolge der Rechenfehler fieberhaft ausgetragen wurde, ein Ringen zu jeder Jahreszeit, an jedem Tag, das ihm, ohne ihn zu bereichern, gestattet hatte, das üppige Leben eines dicken sanguinischen Mannes zu führen, der entschlossen war, niemals seine Begierden zu zügeln. Seit einigen Jahren standen die Dinge noch schlechter. Seine Frau hatte ihm zwei Kinder geschenkt: einen Jungen, der sich aus Haß gegen die Landwirtschaft freiwillig zum Militär gemeldet hatte und der gleich nach Solferino zum Hauptmann befördert worden war; ein feingliedriges und reizendes Mädchen, seine große zärtliche Liebe, die Erbin von La Borderie, da sein undankbarer Sohn auf Abenteuer aus war. Zuerst verlor er mitten in der Ernte seine Frau. Im folgenden Herbst starb seine Tochter. Das war ein furchtbarer Schlag. Der


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