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Der Untertan. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Der Untertan - Heinrich Mann


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Je­des Mal ver­lor ich den Mut, weil du mich doch nicht mehr moch­test. Ich kam so her­un­ter, dass Papa eine Rei­se mit mir ma­chen muss­te.«

      »Wo­hin denn?« frag­te Die­de­rich. Aber Ag­nes ant­wor­te­te nicht, sie zog ihn wie­der an sich.

      »Sei lieb mit mir! Ich hab’ nur dich!«

      Die­de­rich dach­te ver­le­gen: »Dann hast du nicht viel.« Ag­nes schi­en ihm ver­klei­nert und sehr im Wert ge­sun­ken, seit er den Be­weis hat­te, dass sie ihn lieb­te. Auch sag­te er sich, ei­nem Mäd­chen, das so et­was tat, dür­fe man nicht al­les glau­ben.

      »Und Mahl­mann?« frag­te er höh­nisch. »Ein biss­chen war doch wohl los mit ihm. – Na lass nur«, sag­te er, da sie sich mit star­rem Ent­set­zen auf­rich­te­te. Er such­te gutz­u­ma­chen. Er sei doch auch noch ganz be­nom­men von sei­nem Glück.

      Sehr lang­sam zog sie sich an. »Dein Va­ter wird aber gar nicht wis­sen, was los ist«, mein­te Die­de­rich. Sie hob nur die Schul­tern. Als sie fer­tig war und er schon die Tür ge­öff­net hat­te, blieb sie noch ste­hen und sah in das Zim­mer zu­rück, mit ei­nem lan­gen, angst­vol­len Blick.

      »Vi­el­leicht«, sag­te sie, wie zu sich selbst, »kom­me ich nie wie­der. Mir ist, als soll­te ich heu­te Nacht ster­ben.«

      »Wie­so denn?« sag­te Die­de­rich, pein­lich be­rührt. Statt ei­ner Ant­wort ließ sie sich noch ein­mal an ihn hin­sin­ken, den Mund auf sei­nem, die Brust auf sei­ner und von den Hüf­ten zu den Fü­ßen wie mit ihm ver­wach­sen. Die­de­rich war­te­te ge­dul­dig. Dann lös­te sie sich, öff­ne­te die Au­gen und sag­te:

      »Du musst nicht den­ken, dass ich et­was von dir ver­lan­ge. Ich hab’ dich ge­liebt, nun ist al­les gleich.«

      Er bot ihr einen Wa­gen an, aber sie woll­te ge­hen. Un­ter­wegs frag­te er nach ih­rer Fa­mi­lie und nach an­de­ren Be­kann­ten. Erst am Bel­le-Al­lian­ce-Platz ward er un­ru­hig, und et­was hei­ser brach­te er her­vor:

      »Na­tür­lich den­ke ich nicht dar­an, mich mei­nen Ver­pflich­tun­gen dir ge­gen­über zu ent­zie­hen. Nur vor­läu­fig: du ver­stehst, ich ver­die­ne noch nichts, ich muss erst fer­tig sein und zu Hau­se mich in den Be­trieb ein­le­ben …«

      Ag­nes er­wi­der­te dank­bar und ru­hig, als habe man ihr ein Kom­pli­ment ge­macht:

      »Es wäre schön, wenn ich spä­ter ein­mal dei­ne Frau wer­den könn­te.«

      Da sie in die Blü­cher­stra­ße ein­bo­gen, blieb er ste­hen. Un­si­cher mein­te er, es sei jetzt wohl bes­ser, wenn er um­keh­re. Sie sag­te:

      »Weil uns je­mand se­hen könn­te? Das wür­de gar nichts ma­chen, denn ich muss zu Hau­se doch er­zäh­len, dass ich dir be­geg­net bin und dass wir im Café zu­sam­men ge­war­tet ha­ben, bis die Stra­ßen wie­der frei wa­ren.«

      »Na, die kann lü­gen«, dach­te Die­de­rich. Sie setz­te hin­zu:

      »Für Sonn­tag bist du zu Mit­tag ge­la­den, du musst be­stimmt kom­men.«

      Dies­mal war es ihm zu viel, er fuhr auf. »Ich soll –? Bei euch soll ich –?«

      Sie lä­chel­te sanft und schlau. »Es geht doch nicht an­ders. Wenn man uns ein­mal sähe –: willst du denn nicht, dass ich wie­der­kom­me?«

      O ja, das woll­te er. Trotz­dem muss­te sie ihm zu­re­den, bis er sein Er­schei­nen ver­sprach. Vor ih­rem Hau­se ver­ab­schie­de­te er sich mit ei­ner for­mel­len Ver­beu­gung, kehr­te rasch um und dach­te: »So ein Weib ist scheuß­lich raf­fi­niert. Lan­ge tu’ ich da nicht mit.« In­des be­merk­te er mit Un­lust, dass es Zeit sei, auf die Knei­pe zu ge­hen. Es ver­lang­te ihn nach Hau­se, er wuss­te nicht, warum. Als er dann die Tür sei­nes Zim­mers hin­ter sich zu­ge­zo­gen hat­te, blieb er da­vor ste­hen und starr­te in die Dun­kel­heit. Plötz­lich reck­te er die Arme in die Höhe, wand­te das Ge­sicht nach oben und sag­te in ei­nem lan­gen Au­fat­men:

      »Ag­nes!«

      Er fühl­te sich ver­wan­delt, leicht, wie vom Bo­den ge­ho­ben. »Ich bin ganz furcht­bar glück­lich«, dach­te er, und: »So schön kommt es im gan­zen Le­ben nicht wie­der!« Er hat­te die Ge­wiss­heit, dass er bis jetzt, bis zu die­ser Mi­nu­te, alle Din­ge falsch an­ge­se­hen, falsch be­wer­tet hat­te. Dort hin­ten kneip­ten sie nun und mach­ten sich wich­tig. Ju­den oder Ar­beits­lo­se, was gin­gen einen die an, warum soll­te man sie has­sen? Die­de­rich fühl­te sich be­reit, sie zu lie­ben! Hat­te er denn wirk­lich, er selbst, den Tag in ei­nem Ge­wühl von Men­schen ver­bracht, die er für Fein­de ge­hal­ten hat­te? Sie wa­ren Men­schen: Ag­nes hat­te recht! War er selbst es, der je­mand um ei­ni­ger Wor­te wil­len ge­schla­gen hat­te, ge­prahlt, ge­lo­gen, sich tö­richt ab­ge­ar­bei­tet und end­lich, zer­ris­sen und sinn­los, sich in den Schmutz ge­wor­fen hat­te vor ei­nem Herrn zu Pferd, dem Kai­ser, der ihn aus­lach­te? Er er­kann­te, dass er, bis Ag­nes kam, ein hilflo­ses, be­deu­tungs­lo­ses und ar­mes Le­ben ge­führt habe. Be­stre­bun­gen wie die ei­nes Frem­den, Ge­füh­le, die ihn be­schäm­ten, und nie­mand, den er lieb­te – bis Ag­nes kam! »Ag­nes! Süße Ag­nes, du weißt ja gar nicht, wie ich dich lieb­ha­be!« Aber sie soll­te es wis­sen. Er fühl­te, dass er es nie wie­der so wer­de sa­gen kön­nen wie in die­ser Stun­de, und er schrieb einen Brief. Er schrieb, dass auch er die­se drei Jah­re im­mer auf sie ge­war­tet habe, und dass er kei­ne Hoff­nung ge­habt habe, weil sie zu schön für ihn sei, zu fein und zu gut; dass er sich das mit Mahl­mann nur ein­ge­re­det habe aus Feig­heit und aus Trotz; dass sie eine Hei­li­ge sei, und nun sie zu ihm her­ab­ge­stie­gen, lie­ge er zu ih­ren Fü­ßen. »Hebe mich auf, Ag­nes, ich kann stark sein, ich füh­le es, und ich will Dir mein gan­zes Le­ben wei­hen!« – Er wein­te, drück­te das Ge­sicht in das Di­wan­kis­sen, worin er ih­ren Duft noch spür­te, und un­ter Schluch­zen, wie als Kind, schlief er ein.

      Am Mor­gen frei­lich war er er­staunt und be­frem­det, sich nicht im Bett zu fin­den. Sein großes Er­leb­nis fiel ihm ein, ein sü­ßer Stoß ging durch sein Blut, bis zum Her­zen. Aber auch der Ver­dacht kam ihm, dass er sich pein­li­che Über­trei­bun­gen habe zu­schul­den kom­men las­sen. Er las den Brief wie­der durch: das war al­les recht schön, und es konn­te einen auch wirk­lich aus der Fas­sung brin­gen, wenn man auf ein­mal mit so ei­nem groß­ar­ti­gen Mä­del ein Ver­hält­nis hat­te. Wäre sie jetzt nur da­ge­we­sen, er hät­te zärt­lich sein wol­len! Aber den Brief schick­te man doch bes­ser nicht ab. Es war un­vor­sich­tig in je­der Be­zie­hung. Am Ende fing Va­ter Göp­pel ihn ab … Die­de­rich ver­schloss den Brief im Schreib­tisch. »An das Es­sen hab’ ich ges­tern über­haupt nicht ge­dacht!« Er ließ sich ein aus­gie­bi­ges Früh­stück brin­gen. »Und rau­chen woll­te ich nicht, da­mit ihr Ge­ruch nicht ver­gin­ge. Das ist doch Blöd­sinn. So darf man nicht sein.« Er zün­de­te eine Zi­gar­re an und ging ins La­bo­ra­to­ri­um. Was er auf dem Her­zen hat­te, be­schloss er statt in Wor­te – denn so hohe Wor­te wa­ren un­männ­lich und un­be­quem – lie­ber in Mu­sik aus­zu­strö­men. Er mie­te­te ein Kla­vier und ver­such­te sich plötz­lich mit viel mehr Glück als in der Kla­vier­stun­de an Schu­bert und Beetho­ven.

      Am Sonn­tag, wie er bei Göp­pels klin­gel­te, mach­te Ag­nes selbst ihm auf. »Das Mäd­chen kann nicht vom Herd fort«, sag­te sie; aber den wah­ren Grund sag­te ihr Blick.

      Aus Rat­lo­sig­keit senk­te Die­de­rich die Au­gen auf das sil­ber­ne Arm­band, wo­mit sie klap­per­te, als soll­te er hin­se­hen.

      »Kennst du es nicht?« flüs­ter­te Ag­nes.


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