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Zwischen den Rassen. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Zwischen den Rassen - Heinrich Mann


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zu kompromittieren.“

      Aber er trat mit ein.

      „Welch Glück: da sitzt die Gelida. Machen Sie mich sofort mit ihr bekannt!“

      „Und der Kreis um sie her? Dabei sind Leute, die Sie kennen.“

      „Sie werden keinen Skandal erleben. Mut, armer Freund!“

      Sie wurden aufgenommen und setzten sich. Die Unterhaltung ward zu Ehren der schönen Kurtisane geführt, die, hinter sich ihre Dueña und ihre Magd, denen, die gut sprachen, ein wenig von ihrem Lächeln zuteilte. Lola begann darum zu werben. Man wendete die Stühle, um diesen jungen Menschen sprechen zu sehen. Wenn sie seine kleine kokette Hand weich durch die Luft streichen und bei einer seiner leichten, raschen Bewegungen seine Taille sich biegen sahen, schien den Männern ringsum sein Geist frischer, belebender. Er gab stürmische, junge Meinungen zum besten: „Die Liebe ist etwas sehr Einseitiges und eigentlich ein Mangel an Selbstzucht;“ — wobei alle die zuhörten, sich, sie wußten nicht warum, beglückt fühlten. Lola sah die Mienen, die sie bewegte, das schöne Gesicht der Gelida, aus dem ihr freundliche, wohlklingende Zustimmungen kamen; und sie hatte eine Empfindung von Leichtigkeit und Freiheit wie nie im Leben. Nie hatte sie Da Silva so ruhig ansehen können. Was kümmerten sie nun seine gefalteten Brauen. Bei allem was sie sagte, fühlte sie ihn neben sich als Besiegten; der Genuß, den sie von ihren Worten hatte, kam daher, daß sie gut waren, und daß er es hätte leugnen wollen; und diese Schauer des Sicherhebens, des Fliegens und Besonntseins daher, daß er so tief unten blieb.

      Das Diner war hergerichtet. Da Silva behauptete, er und sein Freund hätten eine dringende Verabredung. Warum er heute so mürrisch sei, ward er gefragt. Lola forderte ihn auf, zu gehen und sie zu entschuldigen. Sie saß bei Tisch neben der Gelida. Ein Dichter rezitierte. Da Silva versuchte ungeschickt, ihn zu kritisieren. Lola lächelte und sprach der Gelida von dem Jüngling, dem in seinen arbeitsamen Nächten manchmal die Phantome von Frauen über die aufgeschlagenen Seiten tänzelten, und der solchen beklommenen Stolz genieße, wenn er die Augen wegwende. Sie sah Da Silva seine Lippe kauen und in sich versinken. Wie alle durcheinander redeten, der Nachtwind an der Tür lauter mit dem Perlenvorhang klimperte und eine Glocke elfmal dröhnte, sprang Lola auf, ließ die Freiheit leben; und mit dem letzten Ruf war sie entschlüpft.

      Sie befand sich in einem Gäßchen und sah am Ende der schmalen Häuserflucht, wie durch ein Rohr, die große Gestalt des Kolumbus von Sternen umwogt. In trunkener Wallung erhob sie beide Arme. Wie aber hinter ihr der Schritt, den sie kannte, vernehmlich ward, verwirrte es sie panisch, als breche auf einmal ein künstlicher Turmbau in ihr zusammen. Ernüchtert, kalt vor Furcht, versteckte sie sich in einem Portal; aber Da Silva fand sie. Wie unvorsichtig sie sei. Ob sie glaube, daß es den Helden der Nacht auf einen Mord ankomme. Lola, die an Da Silvas Seite weiterging, wünschte sich inständig, daß aus dem nächsten Schatten ein Befreier springe und sie töte.

      Denn sie hatte erkannt: Alles war umsonst. Begeistert meinte sie zu sein, und war nur berauscht gewesen. Den Geist, der sie von ihm erlösen sollte: eben der Drang nach ihm hatte ihn ihr eingegeben; und nie hatte er fester seine Hand auf ihr gehalten, als da sie ihn tief unter sich glaubte.

      Dabei durchmaßen sie den Quai.

      „Wohin geht’s?“ dachte Lola verstört; und: „Wenn ich den nächsten Straßenrand mit dem rechten Fuß erreiche, entkomme ich ihm heute noch. Sonst nicht. Sonst nicht.“

      Aber noch vor dem Ziel, das sie meinte, rückten ihre beiden Schatten nach vorn, und beim Heraufkommen seiner breiten Schultern schloß Lola die Augen. Das Schweigen folterte sie. Wie entsetzlich nervenstark und seiner sicher er war! „Ich zähle bis zwanzig, und hat er dann noch nichts gesagt, rufe ich um Hilfe.“

      Gleichwohl rauschte der Brunnen auf der Plaza del Palacio inmitten seines und ihres Schweigens. Hier, unter der grellsten Helle, folgten sie beide auf einmal dem Zwang, einander anzusehen. Lola sah etwas düster Schmachtendes, tierisch Leidendes, das sie schrecklicher erschütterte als die Siegerhärte, die sie sich vorgestellt hatte. Langsam von ihm wegsehend: „Ja, das ist er. Er ist ein beschränkter Gewaltmensch, und ich liebe ihn mit Widerwillen: aber er ist der Typus, dem ich unterliegen soll. Die vorigen, in Paris und in Rom, waren vom selben. Dieselben zusammentreffenden Brauen, die harte Marmorfarbe wie hier, woraus jede Wimper, jeder Blutstropfen der Lippen drohend hervorstarrt. Wozu sich quälen? Er liebt mich, so gut er’s versteht. Mit dem, was zu ihm gehört, liebe auch ich ihn. Ich habe noch mehr, — wovon er nicht weiß: aber wer wird je davon wissen. Wozu auf dem Unmöglichen bestehen, wozu so viel kämpfen; warum nicht ein einziges Mal ganz unvernünftig glücklich sein.“

      Sie nahm tiefere Züge Meerwindes; und inzwischen stiegen sie kaum beleuchtete Gassen hinan, erreichten einen Gartenplatz und tasteten sich durch das Dunkel eines bitter duftenden Gebüsches. „Wo ist denn der Weg?“ Und statt des Weges suchten sie einer des andern Hand. Lola zuckte zusammen, als sie die ihre gefangen fühlte; aber sie fühlte auch, daß er in diesem Augenblick mit Zartheit an sie denke; und während des Lächelns, das langsam über ihr Gesicht hinging, war ihr’s, als lächele das ganze Dunkel. Sie dachte unbestimmt an weit Vergangenes: an ihre Kindheit. Wie sie eine Balustrade trafen, stützten sich beide darauf; ihre Unterarme lagen, ohne sich zu berühren, einander so nahe, daß jeder des andern Wärme spürte; und drunten über dem nächtlichen Gitter aus Masten und Schlöten suchten sie das Meer: lange und beklommen von Sehnsucht. „Der Mond muß bald aufgehen.“

      Lola sagte:

      „Daheim auf der Großen Insel war’s das Schönste, wenn das Meer leuchtete. Ach nun weiß ich wieder: mein Großvater zündete viele Papierröllchen an und schoß sie in weiten, leuchtenden und zischenden Bogen über das Meer.“

      Der junge Mann lachte kindlich und sprach von seiner Meerfahrt, derselben, die einst auch Lola gemacht hatte. Ob sie sich nicht jenes Inselkönigs erinnere, den man für zwei Franken sehen konnte. Abwechselnd riefen sie zurück, was ihnen beiden begegnet war; und bei jedem Zusammentreffen ihrer Erlebnisse durchrann Lola der Schauer des Vorherbestimmten.

      „Gleich wird der Mond aufgehen,“ murmelte sie, mit süßer Angst. Jenes Kinderglück auf der Großen Insel bewegte sich leise unter allen ihren Einfällen; und die heimliche Gewißheit, nie werde es wieder so gut werden, ließ sie, sie wußte nicht warum, von erlittenen Schmerzen sprechen, von ihrer Einsamkeit, von der Müdigkeit, die in ihr zunehme. Schweres Drängen nach Gemeinschaft, nach Menschennähe zitterte in ihrer Stimme und machte ihre Arme flugbereit: bereit um einen Nacken zu fliegen.

      Er sah sie mehrmals unruhig von der Seite an.

      Plötzlich: „Woran denken wir?“ — mit einer Bewegung, die er sofort zurücknahm. Aber sie war nun wieder erinnert, daß er sie haben wolle und nichts weiter; daß sie nicht seine Gefährtin sei, nur eine Geliebte; daß irgend eine der flüchtigen Begierden, in deren Wirbeln sie dahinlebte, sie an diese Stelle geweht habe und die nächste sie weitertreiben werde; und daß alles dies nicht mehr sei als ein heißer Windstoß über die nackte Haut. Das Entsetzen des Verirrtseins packte sie, und sie wagte sich nicht zu rühren.

      Er sagte:

      „Ich habe über Sie nachgedacht: ich durchschaue Sie vollkommen. Nehmen Sie gegen Ihre Zustände dies: nie mehr als einen Tropfen und nur wenn sie in Gesellschaft gehen wollen.“

      Seine Stimme war ihr nun verdächtig. Unter einem eisigen Mißtrauen zog sie sich innerlich zusammen. Was hatte dieser Mensch mit ihr vor? „Noch niemand hat Gutes mit mir vorgehabt!“ Er war ein Feind. „Mein Gott, in wessen Gewalt bin ich geraten!“ Sie stieß zurück, was er ihr hinhielt. Er bemerkte plötzlich ihre Veränderung, bereute ungestüm, an Schwärmerei und Regungen der Güte eine gelegene Zeit vergeudet zu haben, und tat einen harten Griff nach ihr. Sie wich aus, bückte sich und entkam in die Finsternis der Steige. Der Mond war nicht aufgegangen.

      Sie stieß auf die Treppe, stürzte vorwärts, durch das Netz der leeren Gassen, immer darauf gefaßt, die Schultern unter seiner zufassenden Hand zu ducken. Drunten auf dem weiten, grellen Platz schien ihr der Anblick einiger Bummler unbegreiflich, ein rettendes Wunder. Alles hatte sich doch schon aufgelöst, alles war doch schon verloren gewesen. Sie sprang, noch fliegenden Atems, in einen vorüberfahrenden


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