Zwischen den Rassen. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.
Mann, den sie, schien es, hier zurückgelassen hatte. „Was ist seither aus mir geworden! Mein Gott!“ Sie ließ sich in den Sessel fallen und weinte.
Sie wachte auf und saß noch immer in ihren Männerkleidern da. Im offnen Fenster lag grauer Halbtag; drunten knirschten die ersten Karren. Lola fror es; sie fühlte sich müde und verlassen. „Wenn ich’s nun getan hätte?“ dachte sie, starren Blicke. „Ich hätte jetzt einen Herrn. Vielleicht wäre ich glücklich.“ Dann: „Wenn er jetzt käme? Wenn er jetzt drunten stände?“ Sie sah hinab: nein; und sie seufzte.
Beim Auskleiden fand sie in der Westentasche das Fläschchen, das sie zurückgestoßen hatte. Also war’s ihm gelungen, es ihr aufzudrängen! Sie stellte es weit weg, wanderte ein paarmal ratlos in die Runde, zog schließlich ein Morgenkleid an und ging hinüber in den Salon. Vor der Tür zu Mais Schlafzimmer kehrte sie um, machte den Weg noch einmal und holte das Fläschchen. Es ließ sich in der hohlen Hand verstecken, ohne daß sie die Finger schloß. Dann trat sie bei Mai ein.
Mai schlief; Lola sah ihr zu, wie sie kindlich atmete, wie ihr schönes, faltenloses Gesicht sich glücklich ausruhte. Einmal lächelte sie, wie bei einem Siege. Was träumte ihr? Gewiß, daß man sie anbete. Lola stand und sann sich fest in Mai. „Wie seltsam, daß ich zu ihr gehöre! Ich habe doch Welten für mich, von denen die arme Mai nichts ahnt; aber dann falle ich, ob ich will oder nicht, wieder auf die ihre zurück und spüre in meinem Blut diesen schönen, dummen Männertypus, den ich verachte. Ist es nicht, als ob ich manchmal das Bewußtsein verlöre, in Mai zurückkehrte, aus der ich einst hervorgegangen bin, und sie für mich fühlen und handeln ließe? Da geht man dahin und ist nicht man selbst. Was kann alles auch in dem Namen stecken, den einem andere gegeben haben. Lola: . . . Lo—la . . . Ich höre etwas unheimlich Schmelzendes, Willenloses darin. Lola: nein, es kann auch sehr frisch und mutig klingen . . .“
Da erwachte Mai, und beide erschraken.
„Du bist also doch gekommen?“ stammelte Mai. „Ich habe dich nicht gehört. Du hast mir schreckliche Sorge gemacht. Ich konnte doch niemand nach dir fragen: was hätte man gedacht!“
Lola erkannte, nun Mai zu Sorgen erwacht war, plötzlich Spuren des Alterns an ihr. Sie erinnerte sich: auch dies Kinderwesen mußte kämpfen und leiden.
Zärtliche Reue hob Lolas Herz auf; sie warf sich vor dem Bett auf die Knie, schob die Arme unter Mais Nacken.
„Ich habe dich lieb, Mai. Wir wollen fort von hier!“
„Fort? Warum?“ fragte Mai erschrocken.
„Weil . . . Siehst du: man hat mich erkannt. Was ich getan habe, war dumm. Nun ist’s besser, wir gehen. Ja, so: der Herzog und Aguirre. Denen tragen wir auf, zu erzählen, wir seien schon gestern abgereist. Sie werden diskret sein, niemand wird beweisen können, daß er mich heute nacht gesehen hat.“
„Und Da Silva?“
Lola fuhr zurück, mit plötzlich verschlossener Miene.
„Wie ist’s mit Da Silva?“ wiederholte Mai unsicher. Lola näherte sich ihr wieder.
„Er ist ein guter Freund,“ sagte sie sanft. „Gegen meine Schmerzen und Müdigkeiten hat er mir dies gegeben. Meinst du, daß ich’s versuchen soll?“
Sie nahm Mais goldenen Arzneilöffel und ließ einen Tropfen hineinfallen.
„Soll ich?“
Zögernd:
„Soll ich?“
Und dann:
„So; nun werden wir sehen.“
Wenn es nun ein Gift war, das sie wahnsinnig machte und ihm in die Arme trieb: sie hatte es genommen, es war geschehen. Ihre Züge waren besänftigt; sie neigte sich tief auf Mai, deren Gesicht dem Weinen nahe war.
„Arme Mai, ich bin schlecht: ich bedachte nicht, daß du dich schwer trennst. Immer lege ich dir Opfer auf. Aber dort, wohin wir gehen, sollst du dich anbeten lassen . . .“
Sie streichelte und tröstete. Mai schluchzte und schlief ein. Lola schloß sich in ihr Zimmer, setzte sich vor ein Buch und verstopfte, wie als Kind, mit den Fingern die Ohren. Sie genoß, was sie las, mit immer hellerem Geist. Eine Stunde später bemerkte sie, daß Teppich und Tisch voll Sonne waren. Sie lehnte sich zurück, atmete tief auf und fühlte, wie weit nun die Nacht zurückliege. „Von hier —“ sie sah das Buch an — „bis zu ihm ist’s endlos weit. Was geht er mich an? Ganz leicht werde ich ihn entbehren.“
Als sie fertig angezogen den Salon betrat, kniete Mais Mädchen vor einem Koffer.
„Hast du auch schon angefangen?“ fragte Mai.
„Ach, packen . . .“ Und ein Angstschauer überraschte sie.
„Willst du denn nicht mehr reisen?“
„Ich . . . will . . . reisen;“ dabei ließ sie den Kopf sinken. Dann:
„Das heißt . . .“
„Ja,“ dachte sie, „ich will’s darauf ankommen lassen.“
„Das heißt, selbst zu packen habe ich heute keine Lust. Wenn Germaine Zeit hat . . .“
Ja: Mai gab Germaine frei; Lola war gerettet.
II
Haie begleiteten das Schiff. Lola sah zu, wie Matrosen sie an Angeln herauszogen und ihnen, kaum daß der Kopf den Schiffsrand erreicht hatte, Stöcke in den Rachen und durch den ganzen Leib trieben. Als die wehrlosen Ungeheuer das Deck mit den Schwänzen peitschten und die Matrosen sich vor Freude auf die Kniee klatschten, fühlte sie lähmende Traurigkeit. Die Passagiere versammelten sich; dies war ein Fest; — und da sah Lola im Geist ein Kind zwischen die Leute drängen und mit ihnen in Freude ausbrechen: erkannte sich selbst, wie sie einst auf ihrer ersten Meerfahrt gewesen war und belauschte sich, dies unwissende, heitere und grausame Kind, mit Verachtung, Sehnsucht und einer Spur von Grauen. Nicht wahr, jetzt wird das Messer genommen und das Tier zerstückt? Richtig: sie hatte dies also auch damals erlebt. Damals gehörte es nicht zum Außerordentlichen; die Neger daheim hatten ganz ebenso grausam gehandelt an den Tieren, die sie fingen; und Lola selbst, hatte sie nicht einst eine Schlange, von der sie erschreckt worden war, ganz langsam zerschnitten, in lauter Ringe, und die Schlange lebte immer noch? Sie besah die Hand, die es getan hatte: diese selbe Hand. „Und ich denke, wenn ich der Großen Insel gedenke, nur an feurige Papierröllchen, die übers Wasser schnellten, und an den Duft der Orangenblüten! Das ist ein Irrtum. Als ich nach Europa reiste, schienen es an Bord lauter liebe Menschen, die nur darauf sannen, einander Freude zu machen. Die Wahrheit ist anders; o, was alles lese ich jetzt in den Gesichtern, die die Haie sterben sehen!“
Sie zog die Kapuze ihres Regenmantels in die Schläfen und hatte nun, über das Geländer gebeugt, nur noch ein kurzes Stück braunen Wassers vor Augen, beprickelt von Regen. „Der gute alte Herr, der auf jener Reise allen Kindern Schokolade schenkte und fast weinte, wenn man sie nicht nahm: was für ein Schuft er vielleicht war!“ Darauf bemerkte sie: „Schrecklich mißtrauisch und menschenfeindlich bin ich geworden! Wie lange lebt man auch schon!“ Ihr Mantel ward steif von Wasser; die braune, stockende Luft ließ sich schwer atmen. „So, deucht mich, ist’s jetzt immer. Als ich von Rio kam, strahlten Meer und Himmel unauslöschlich.“
Mai hatte es leichter. Mit allen war sie befreundet, erfreute sich des besten Appetits und vieler Anbeter. „Warum hältst du dich immer zurück?“ fragte sie oft. „Wie sympathisch ist Herr Soundso!“ Und Lola gab dies zu, weil die Worte, die ihre Verachtung des Herrn Soundso enthielten, ihr selbst den Hals zuschnürten. Aber war es möglich, etwas anderes zu fühlen für jemand, der unter allen Damen nur einer die Hand küßte, und zwar der, die den höchsten Titel führte? Oder für einen andern Herrn Soundso, der auch sympathisch sein sollte, und der dem Kellner nur zwei Glas Kognak eingestand, wenn er drei getrunken hatte? So war die Menschheit; um so schlimmer für den, der nicht die Gabe hatte, davon abzusehen.
„Du hast dich schwer getrennt,“ meinte Mai herzlich. „Warum warst du nicht aufrichtig mit mir? Sage doch,