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BIERKÄMPFE, BAROCKENGEL UND ANDERE BAVARESKEN. Klaus HübnerЧитать онлайн книгу.

BIERKÄMPFE, BAROCKENGEL UND ANDERE BAVARESKEN - Klaus Hübner


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Lena Christ sah sich nicht mehr hinaus, wie man im Baierischen sagt. Am 30. Juni 1920 verließ sie ihre Wohnung in der Schwabinger Bauerstraße 40, winkte noch einmal den Kindern, fuhr mit der Trambahn zum Harras und ging zu Fuß den weiten Weg zum Waldfriedhof hinaus. Peter Benedix war schon da, gab ihr, wie sie das vereinbart hatten, das Fläschchen Zyankali und verabschiedete sich. Dann war sie allein. Ihr Grab findet man in Sektion 44 des Münchner Waldfriedhofs.

      So schildert Günter Goepfert in seiner noch immer maßgeblichen Biografie die letzten Stunden einer Frau, die mit ihren Lausdirndlgeschichten (1913), mit zahlreichen Prosatexten wie etwa der großartigen Erzählung Die Rumplhanni (1916), mit den Romanen Mathias Bichler (1914) und Madam Bäurin (1919), vor allem aber mit ihren Erinnerungen einer Überflüssigen (1912) in die Literaturgeschichte Münchens und Bayerns eingegangen ist. Ihre Geschichten hatten zu ihrer Zeit einigen Erfolg, waren jedoch schon 1930 weitgehend vergessen und wurden erst in den 1980er-Jahren neu entdeckt. Eine schöne Werkausgabe erschien 1990, Auswahlbände und Taschenbücher gibt es mehrere.

      Die harte und traurige Lebensgeschichte der Lena Christ kann noch heute erschüttern, und die immer um Lakonie und Entdramatisierung prekärer Situationen bemühten Erinnerungen bleiben weiterhin eine bedrückende Lektüre. Sie dürfen, wie Josef Hofmiller 1930 feststellte, als »Lena Christs wirklicher Lebenslauf« angesehen werden.

      Die 1881 in Glonn bei Ebersberg als lediges Kind einer Handschusterstochter und eines Handlungsreisenden geborene und bei den Großeltern aufgewachsene Lena sei »mit Leib und Seele« daheim gewesen in der von harter Arbeit geprägten, lieblosen und derben, selten auch mal fröhlichen grundkatholischen Bauernwelt ihrer Zeit, betont Goepfert.

      Als sie sieben Jahre alt war, holte sie die Mutter nach München. Die große Stadt, gewiss ein gewaltiger Schock für das vom Bauernleben geprägte Landei, sollte sie nicht mehr loslassen. Als die Mutter 1891 einen Sohn bekam und ihm ihre ganze Liebe zuwandte, fühlte Lena sich immer mehr als Überflüssige. Sie wurde in der Schule oft gehänselt, früh zum Mithelfen im Wirtshaus herangezogen und von ihrer herzlosen Mutter erniedrigt und immer wieder brutal misshandelt.

      Mit siebzehn flüchtete die »Wirtsleni« ins Kloster Ursberg, ohne dort das erhoffte Seelenheil zu finden, mit zwanzig flüchtete sie in eine Ehe, für die ihr die Mutter am Hochzeitsmorgen wünschte, sie solle »koa glückliche Stund haben, solang’st dem Menschn g’hörst, und jede guate Stund sollst mit zehn bittere büaßn«. So ähnlich kam es dann auch.

      Neunundzwanzig musste sie werden, bis sich ihr Leben entscheidend änderte. Sie wurde Diktatschreiberin bei Peter Jerusalem, der sich später Benedix nannte und ihr Ehemann wurde, für kurze Zeit jedenfalls. Er erkannte ihr ungeheures Erzähltalent und ermutigte sie zu den Erinnerungen. Lena Christ wurde Schriftstellerin. Fast neun Jahre lang ging das gut.

      Wer einen literarischen Text immer noch als Sprachkunstwerk begreift, sollte sich mit den Erinnerungen nicht zu lange aufhalten. Eine glaubwürdige, überzeugende Autobiografie ist das, gewiss, ein herzzerreißender Aufschrei einer gequälten Seele und ein herausragender Beitrag zur Kultur- und Sittengeschichte der Prinzregentenzeit. Eine »künstlerisch reife Prosadichtung«, wie Hofmiller sagt, ist aber erst Mathias Bichler – und danach Die Rumplhanni. Wahnsinn, diese Sprache! Was für ein wunderbares, kraftvolles und melodisches Süddeutsch! Lena Christ braucht kein Kunstbaierisch wie später die Fleißer oder der Horváth. Sie hat viel Faszinierendes, Denkwürdiges und Nahegehendes zu erzählen.

      Aber sie kann mehr. Lena Christ gestaltet unvergessliche Figuren, und sie strukturiert ihre Texte auf erzähltechnisch raffinierte Art und Weise. Sie ist Sprachkünstlerin, nicht nur Zeitzeugin. Das gilt auch und gerade für ihre oft geschmähten, beim Publikum sehr beliebten Prosaskizzen aus dem ersten Kriegsjahr, die heute zu Unrecht kaum mehr gelesen werden: Unsere Bayern anno 14 (1914–1916). Einakter hat sie übrigens auch geschrieben, ohne rechten Erfolg.

      Sei’s drum: Wer wissen möchte, wie es vor hundert und mehr Jahren in Oberbayern zuging, kommt um Lena Christs Werke nicht herum. Ihre eigenwillige, unverblümte, manchmal auch saftige Sprache, immer hart an der Grenze zur Mundart, sollte niemanden abschrecken. Solche Texte kennenlernen zu dürfen ist ein Gewinn, den keine Krise dieser Welt zunichtemachen kann.

      Lena Christ: Gesammelte Werke. Hrsg. von Walter Schmitz. Drei Bände. München 1990: Süddeutscher Verlag.

      Günter Goepfert: Das Schicksal der Lena Christ. Dritte überarbeitete und ergänzte Auflage. München 1989: Süddeutscher Verlag.

      Eine Liebeserklärung von gestern. Josef Ruederer – zu Recht in Thomas Schatten

      Josef Ruederer, 1861 am Münchner Rindermarkt geboren und 1915 in seiner Vaterstadt gestorben, war, was hauptsächlich dem geschäftstüchtigen Vater zu verdanken war, ein für seine Zeit recht vermögender Mann. Zum Leidwesen des Vaters aber wurde er – ein Schriftsteller. Nicht nur die bayerische Literaturgeschichte kennt seinen Namen bis heute: Er gehörte zu Michael Georg Conrads »Gesellschaft für modernes Leben«, war mehr oder minder eifriger Beiträger viel gerühmter Zeitschriften wie der Jugend oder des Simplicissimus und nahm, wenn man Hans F. Nöhbauer (1984) folgen will, in seinem heute vergessenen Roman Ein Verrückter – Kampf und Ende eines Lehrers (1894) das Thema von Ludwig Thomas Andreas Vöst um zehn Jahre vorweg. Mit seiner 1896 in Berlin uraufgeführten Komödie Die Fahnenweihe hatte er großen Erfolg, acht Jahre später auch mit Die Morgenröte, und nicht zuletzt war er einer der Gründer der »Elf Scharfrichter«. Im Jahr nach seinem Tod erschien der Roman Das Erwachen, der das Residenzstadtleben zur Zeit Ludwigs I. schildert und, wie Albrecht Weber (1987) zusammenfasst, als »Ruederers beste Leistung« gelten darf. Gleichwohl – die Theater und Feuilletons wandten sich bald anderen Themen und Künstlern zu, und viel gelesen hat man den Urmünchner, den Heinz Puknus als »ersten Autor« der Moderne in Bayern bezeichnet hat, nach 1918 dann auch nicht mehr. Die fünfbändige Werkausgabe von Hans-Reinhard Müller (1987) hat daran wenig ändern können.

      1907 hat Josef Ruederer München veröffentlicht, zunächst als Beitrag zu einer Stadtführer-Buchreihe. Bald galt diese Hauptstadt-Satire als eines seiner Hauptwerke. Das Schlusskapitel wurde – eine gar nicht so kleine Kanonisierung – 1981 im fünften Band der Bayerischen Bibliothek abgedruckt. Es ist verdienstvoll, dass München unlängst in die von Elisabeth Tworek herausgegebene edition monacensia aufgenommen wurde. Zwei Briefe von Leo Greiner an den Autor, Ludwig Thomas Erinnerungen an Josef Ruederer, die München-Rezension von Josef Hofmiller aus den Süddeutschen Monatsheften sowie Anmerkungen zur Edition, ausführliche Erläuterungen und ein instruktives Nachwort von Waldemar Fromm und Walter Hettche ergänzen den Text. Ein interessantes Zeitdokument in einer originellen Mischung aus Fakten und Fiktionen, auch mit selbstkritischen Erzählerreflexionen, meist grantig im Ton, nicht selten höchst polemisch – gut, dass es wieder bequem greif- und lesbar ist.

      Ruederer sieht, das macht schon das erste Kapitel über den Fasching klar, die Mitte des 19. Jahrhunderts blühende und glitzernde Kunst- und Künstlerstadt München immer tiefer untergehen, und er weiß ganz sicher, dass »der Münchner« ein eher behäbiger, auf sein Sach’ achtender, nicht immer humoriger Bierdimpfl ist und keinesfalls ein weltoffener kreativer Kopf. Und dass dieser Münchner die Vergangenheit seiner Stadt, um die es im zweiten Kapitel geht, immer etwas rosiger geschildert haben möchte als sie war, und zwar von einem Einheimischen und nicht von Leuten wie dem Ritter Heinrich von Lang, dessen Memoiren Josef Ruederer zu Recht schätzt und lobt. »Ihn zerriss man gerade nicht in Stücke, aber man tat ihm, was man in Bayerns Hauptstadt jedem tut, der kritisiert und eine halbe Stunde nördlich der Donau geboren ist: man nannte ihn öffentlich einen Preußen, heimlich einen Saupreußen.« Ruederers Kritik richtet sich vor allem gegen den Verfall herkömmlicher Lebensformen und Werte. Die »große, faszinierende Zeit« Ende der Siebzigerjahre des 19. Jahrhunderts, »wo eine Aufführung des Siegfried noch ein Ereignis war, von dem man drei Wochen vorher und drei Wochen nachher sprach«, ist 1907 längst vorbei – »heute, wo die Eintrittspreise ums dreifache teurer sind und die Aufführungen aufs dreifache schlechter«.

      Der Münchner Bürger, dem Ruederers drittes Kapitel gilt, geht schon auch einmal in den Kunstverein


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