im Schlaraffenland. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.
aufblickten und die jungen Leute erheitert anblinzelten.
Andreas waren diese Ansichten nicht fremd, aber Klempner, der es gewiss nicht böse meinte, schrie zu laut für die feierliche Stille des Kunstkabinetts. Er kehrte mit seinem Begleiter in den Saal zurück, der sich langsam wieder füllte. Die Tische waren entfernt, eine ganz neue und reine Luft ließ alle aufatmen. Türkheimer, der eben eintrat, näherte sich einem Kreis von Leuten, die mit erhobenen Nasen schnupperten.
„Gebirgsluft, was?“ sagte er.
„Noch ein bisschen zu dünn, aber es wird schnell besser werden.“
Und er erklärte, dass er hier wie schon früher in den Salons, einige Schläuche mit Oxygen habe leeren lassen.
„Ein ganz neues technisches Verfahren, die Wissenschaft macht doch kolossale Fortschritte. Für kaum tausend Mark hat man den ganzen Abend die reinste klimatische Höhenkur im Hause.“
„Für tausend Mark Luft!“ rief Lizzi Laffé entzückt.
„Tausend Mark sind für mich Luft, wenn es sich um das Behagen meiner Gäste handelt,“ versetzte Türkheimer mit einer galanten Verbeugung.
Die Gäste kehrten jetzt zahlreicher zurück, und als der Saal sich so weit angefüllt hatte, dass man sich nur in geschickten Wendungen fortbewegen konnte, entstand das Gerücht, man wolle tanzen. Ein kleiner rundlicher Herr, der jetzt plötzlich bemerkt ward, schwänzelte lächelnd und sich die Hände reibend bis zu dem Klavier, das in einer Ecke des weiten Raumes aufgestellt war, und begann sofort energisch einen Walzer zu spielen.
Vier oder fünf Paar fingen an sich unter dem Kronleuchter zu drehen, wo sie dadurch, dass sie den Umstehenden auf die Füße traten, allmählich einen mäßigen freien Raum gewannen. Andreas fand im allgemeinen, dass man auf der Kirchweih in den Dörfern bei Gumplach besser tanze. Doch fielen ihm die anmutigen Bewegungen der jungen Frau auf, die Kaflisch vom Nachtkurier ihm als die Gattin des Herrn Blosch bezeichnet hatte. Er sah sie mit ihrem Manne tanzen und erstaunte darüber, wie sie es fertig bringe, den Plumpsack im Takt zu erhalten. Aber er hatte was Gutmütiges, er freute sich gewiss ihr gefällig zu sein. Sie sah wahrhaftig aus, als ob sie hier bloß ihn gekannt hätte, so fremd und schüchtern mit ihrem schlichten graublonden Haar und ihrem zwei Finger breit ausgeschnittenen Kleidchen!
Andreas erinnerte sich, dass Kaflisch ihm geraten habe, er solle sich von Klempner etwas über Frau Blosch erzählen lassen. Klempner fuhr noch immer fort, im Anschluss an Claudius Mertens’ Werke über Kunst und Gesellschaft zu perorieren. Andreas unterbrach ihn mit der Frage:
„Herr und Frau Blosch sind wohl jung verheiratet?“
Klempners Redseligkeit warf sich eifrig auf das neue Kapitel.
„Weil sie zusammen tanzen? O, die können unter vier Augen achtzig Jahre alt werden und sind doch nie länger als vier Wochen verheiratet gewesen. Die Ehe Blosch, soll ich Ihnen sagen, was die ist? Nun wohl, sie ist ein Veilchen unter Klatschrosen und ein Idyll im Schwurgerichtssaal. Wissen Sie, wer Blosch ist?“
Andreas verneinte.
„Ihnen gehen die Grundbegriffe ab, nehmen Sie’s nicht übel. Blosch ist einer der verrufensten Spekulanten an der ganzen Börse, er ist Türkheimers verdammte Seele. Er nimmt die Praktiken auf sich, die das alte und vornehme Haus Türkheimer nicht ohne Skandal auf eigene Rechnung ausführen kann. Türkheimer weiß seine Diskretion so gut zu schätzen, dass er dem Blosch durchschnittlich fünfzigtausend Mark im Jahr zu verdienen gibt. Trauen Sie jetzt einem Manne wie Blosch so ’n Ding zu, das man ein frommes Gemüt nennt? Nun hören Sie mal!
„Vor beiläufig fünf Jahren will Türkheimer mit einem seiner Opfer, irgendwo in der Provinz, liquidieren, und schickt Blosch hin. Es handelte sich um einen kleinen Industriellen, der sich kindisch gefreut hatte, sich mit dem berühmten Bankhaus Türkheimer an einer Terrainspekulation beteiligen zu dürfen. Um die feine Gelegenheit nicht zu verpassen, hatte der Mann seine Fabrik mit Hypotheken über und über belastet, seinen Anteil an den Termins halb bezahlt und den Rest von Türkheimer kreditiert bekommen. Die Terrains waren gestiegen, und Türkheimer hatte sich beeilt, seinem Partner den Kredit zu kündigen. Er brauchte bloß noch die Liquidation abzuwarten und dem Manne seinen Anteil an den Terrains für ein Butterbrot abzunehmen. Das Geschäft war so klar, dass man es in aller Freundschaft abmachen konnte. Blosch kommt also mit den besten Absichten angereist, macht sich auf eine Gläubigerversammlung gefasst und hat nichts gegen einen gütlichen Ausgleich, vorausgesetzt, dass Türkheimer die Terrains zufallen. Stattdessen erfährt er, dass der Mann wirklich einfach Pleite macht, aber ich sage Ihnen eine Pleite so ehrlich, wie kein Mensch es für möglich hält. Es war rührend, er hatte sogar die Schmucksachen seiner Tochter mit zur Masse geschlagen.
„Ob Blosch nun aus der Unterredung mit dem Manne irgendeine innere Erschütterung davongetragen hatte? Wer weiß es? Ich kenne aber den unheimlichen Clan der Geschäftsleute länger als Sie und ich versichere Sie, die Gutmütigkeit dieser Leute ist mit ihren Raubtierinstinkten gerade so verquickt wie ihre allgemein menschliche Dummheit mit ihrer geschäftlichen Schlauheit. Einmal im Leben kann ein Blosch einen sentimentalen Streich begehen, und da ein Blosch immer Glück hat, so bekommt ihm auch der recht gut.
„Genug, als Blosch sein Opfer nach der ihn durchaus verblüffenden Unterredung verlässt, sieht er im Vorzimmer, wo kaum noch Möbel stehen, die Tochter am Fenster sitzen. Gleich darauf tritt er wieder bei dem Bankrottierer ein, zupft sich den Schnurrbart und sagt leicht verlegen:
„,Herr Müller, es tut mir leid, wenn ich Ihnen lästig falle, aber ich muss Ihnen etwas sagen, dass Sie mich nämlich glücklich machen könnten, wenn Sie mir die Hand Ihrer Tochter geben wollen.‘
„Der ruinierte Mann, der plötzlich für seine Tochter einen Millionär vom Himmel fallen sieht, greift sich an die Stirn, dann kommen ihm die Tränen, und dann fällt er vor seinem Retter auf die Kniee. Stellen Sie sich die Scene auf der Bühne vor! Ein Leckerbissen, was?“
„Erstaunlich!“ sagte Andreas.
„Und Sie müssen wissen, dass es Türkheimers ausgesprochene Absicht war, Blosch mit Asta zu verheiraten und ihn in die Firma aufzunehmen!“
„Erstaunlich!“ wiederholte Andreas. „Und Blosch ist glücklich mit seiner Frau?“ fragte er.
„Noch besser!“ sagte Klempner, „er hat sie noch nie betrogen. Eine Musterehe, sage ich Ihnen, wie sie nur in Kreisen vorkommen kann, wo die Ehe eigentlich als vorsintflutliche Einrichtung gilt!“
Andreas hätte Klempner gern noch lange so fortreden lassen. Er blickte von der Schwelle, wo sie standen, mit einem unbestimmten Bangen in den Tanzsaal hinein. Es kam ihm vor, als ob hier eine Gefahr lauere, die den ganzen Erfolg seines Abends in Frage stellen könne.
„Wenn man mich zwänge, eines von diesen vielen tanzlustigen jungen Mädchen aufzufordern,“ so sagte er sich, „was sollte ich mit ihr anfangen, was würde dann passieren?“
Die mageren unter den jungen Mädchen waren nur wenig ausgeschnitten, die dickeren beträchtlich weiter. Ihre Gesichter waren meistens keck, ihr Lächeln nicht immer anmutig, aber ausnahmslos recht aufgeweckt, Sie schienen Andreas prätentiös wie Prinzessinnen und kritisch wie Gassenjungen. Wie das kleine unscheinbare Wesen dort dem gewichtigen, reich aussehenden Herrn mit den X-Beinen doch so rücksichtslos ins Gesicht lachte!
Andreas hatte das sichere Gefühl, dass er bei den jungen Mädchen gar nichts zu suchen habe. Er betrachtete sie, wie sie in einer regenbogenfarbenen Reihe beieinander saßen und sich ganz unverhohlen über die Männer lustig machten, und er nannte sie „Puten“. Aber es waren ihm unheimliche Wesen. Wenn er hier jemals sein Glück machte, so konnte es nur mit Hilfe jener reifen Frauen geschehen, die durch eine reichere Erfahrung gütig und nachsichtig gemacht waren und die vertrauensvolle Hingebung eines jungen Mannes zu schätzen wussten. „Für ein junges Mädchen bin ich zu naiv,“ so überlegte Andreas ausdrücklich.
Er stellte sich Adelheids teilnehmendes Lächeln vor, wie sie ihn gefragt hatte, er müsse sich in Berlin wohl recht wie in der Fremde fühlen.
Türkheimer,