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Zwischen den Rassen. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Zwischen den Rassen - Heinrich Mann


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waren, allein wie jetzt, und der Mond schien herein. Wir hatten musiziert, Ihre märchenhaften Alttöne waren verhallt, ich hatte mich in großer Bewegung vom Klavier erhoben, und den Kopf in der Hand betrachtete ich Sie, die Sie, ein Knie auf den Stuhlrand gestützt, das Gesicht nach dem offenen Fenster gewendet hielten. Ich war im Schatten, Ihre Gestalt entlang floss Mondlicht; es rann Ihnen über die Lippen, die sich, Ihnen unbewusst, voneinander lösten; es füllte Ihre Augen; — und mit der beglänzten Hand, die Sie mir überließen, zog ich zu mir hin, in mein Dunkel und an mein Herz, die ganze tiefe nächtliche Süßigkeit, die durch Sie atmete, o Lola!“

      Der junge Brasilianer hatte beim Sprechen den Hals hin und her gerückt, wie ein vom eigenen Gesang berauschter Vogel. Nun stand er noch und hörte die Tenorarie seiner Sinnlichkeit ausklingen. Lola machte sich von seinem Gesicht los. Sie sah an ihrem Dress hinab — und erleichtert auflachend, warf sie sich ins Sofa.

      „Nicht übel, mein Lieber. Etwas kitschig zwar, und auf ein modernes Mädchen werden Sie, fürchte ich, damit nicht wirken . . . Sehen Sie, die Krawatte muss ich mir nun doch selbst binden!“

      In der Tür zeigten sich der Herzog von Fingado und Herr Aguirre. Beim Anblick des Eindringlings blieben sie mit zurückhaltenden Mienen stehen. Lola versuchte ihre feindselig abwartende Haltung nachzuahmen: da platzte sie aus. Die beiden starrten sie an; dann wandte ihr der massige Vierziger mit angewiderter Miene den Rücken. Der unjunge Zwanziger überwand seinen Schrecken und machte, den spitzen, gelblich gefiederten Schädel herausfordernd im Nacken, zwei Schritte gegen den Feind. Lola lachte heftiger, und Da Silva klärte die Herren auf, die in Ratlosigkeit umschlugen und dann in Bewunderung. Aber hinter ihnen rauschte es, und Frau Gabriel brach, kaum dass sie ein wenig gestutzt hatte, in Jammern aus.

      „Wie siehst du aus! Wer hat mir mein Kind so verunstaltet? Sie, Herr Da Silva? Ihnen habe ich auch sonst Vorwürfe zu machen! Dazu hat man nun eine hübsche Tochter!“

      Die Herren erklärten sich im Gegenteil ganz einverstanden mit Lolas Verwandlung. Fingado hatte einen Gedanken.

      „Wenn der künftige Gatte des gnädigen Fräuleins Sie so sähe . . .“

      „Was dann?“ forschte Da Silva drohend.

      Hinter den leeren blauen Augen des Herzogs geschah eine müde, vergebliche Arbeit.

      „Ich weiß wirklich nicht,“ schloss er, mit einem Lächeln des Verzichtes.

      Indes Frau Gabriel ihren jungen Landsmann mit den Vorwürfen bekannt machte, die er verdiente, widmete der Abgeordnete sich Lola. Er türmte seine fein bekleidete Fettmasse vor sie hin und plauderte, wie er allein es konnte: nur ohne seine gewohnte Unerschütterlichkeit. Seine rosigen Wangen zuckten; die Wulstfinger betasteten unruhig die Hüften; die launigen Augen vergaßen sich bis zu einem verdächtigen Gefunkel, — das Aguirre fühlte und durch Unterwürfigkeit gut zu machen suchte. „Ganz wie ein ungesundes Baby!“ dachte Lola. Sie hörte Mai sagen:

      „Ich beklage mich über Ihren Mangel an Offenheit gegen mich . . .“

      „Das ist wahr, Herr Da Silva: warum sagen Sie Mai nicht, wen Sie lieben?“ rief sie hinüber, gekitzelt durch ihre Wirkung, durch das neue Wesen das sie vorstellte, und die Erwartungen, die man ihm sichtlich entgegenbrachte.

      „Sie gehen in den Klub?“ begann sie gegen Aguirre. „Ich habe seit gestern Nacht keinen Heller mehr . . .“

      Sie brach ab, drehte sich einmal um sich selbst und sagte in einem Atemzug:

      „Pumpen Sie mir was! Wer so viel gestohlen hat wie Sie!“

      Der Politiker kroch noch tiefer. Lola lächelte plötzlich zaghaft.

      „Gehen wir? Bitte, gehen wir!“ verlangte sie hastig. Und man ging.

      „Zu Fuß, Mai! Mir zu Gefallen! Wohin? Ganz gleich: eine Irrfahrt.“

      Sie atmete tief die matte Luft der Dämmerungsstunde. Zu Da Silva, der mit ihr hinter den anderen zurückblieb, sagte sie:

      „Es gibt Gelegenheiten, bei denen ich mich nach — fast hätte ich gesagt: nach Hause sehne, ich meine nach dem reichlich kalten Ort, wo ich erzogen wurde, und dem feuchten Nordostwind, der den Geruch eines nordischen Meeres mitbrachte.“

      Und unvermittelt:

      „Wie ich die Männer verachte!“

      „Sie haben doch noch soeben einen großen Erfolg bei ihnen gehabt,“ bemerkte Da Silva, mit beißender Stimme; „und ich beglückwünsche Sie. Den Aguirre überlässt man Ihnen; dem Herzog allerdings hat Mistress Job bereits einen Teil seiner Schulden bezahlt, und Sie würden sich mit der Dame auseinanderzusetzen haben.“

      „Ich verbiete Ihnen, verstehen Sie, über Frauen schlecht zu reden! Solche Geschichten erfinden die Männer, um für sich Reklame zu machen.“

      „Wie Sie gleich aufgebracht sind! Ich spreche doch zu einer Frau, die weniger abhängig von ihrem Geschlecht ist als die anderen — und es heute Abend zeigt.“

      „Merken Sie sich: wer, um mir zu schmeicheln, eine andere Frau herabsetzt, mit dem bin ich schon fertig. Nichts kann kränkender für mich selbst sein.“

      „Böse im Ernst?“

      „Nein; denn ich will mir den Spaß nicht verderben . . . Mai! Nicht wahr, wir treffen uns zum Essen bei Durieu? Ich gehe mit Herrn Da Silva einen andern Weg.“

      „Allein mit Herrn —?“

      Lola erklärte, in Gesellschaft Mais erkenne man sie. Auch habe sie als Amerikanerin das anerkannte Recht, zu gehen mit wem und wohin sie wolle.

      „Und dann siehst du doch, dass ich ein Freund des Herrn Da Silva bin. Ja, Mai, Herr Da Silva und ich, wir sind richtige Freunde.“

      „Sind wir Freunde,“ sagte Da Silva im Weitergehen, „so müssen Sie mir eine Warnung erlauben. Gestern sind Sie wieder allein ausgegangen. Ich achte Sie zu hoch, um —“

      „Ja: früher haben Sie mir wegen solcher Dinge Szenen gemacht. Sie bessern sich;“ und sie wusste: „Er achtet mich höher, seit er mich für seine Braut hält. Ist das echt männlich!“

      Er schwieg unzufrieden. Sie richteten sich nach der Musik, die her scholl. Wie sie auf den Platz einbogen, über dessen Palmenhain der Kirchengiebel mächtig ausgriff und der Bronzereiter dahinsprengte, war das Stück zu Ende. Viele fächelnde, die Hüften wiegende junge Frauen mit ihren Mägden und Anbetern, viele prall gekleidete, rauchende junge Männer begannen langsam zu kreisen.

      „Sie kennen wohl die Frau gar nicht, die eine Dueña und eine Magd bei sich hat und die Ihnen zulächelt? Das ist die, in deren Schuld sie vorgeblich seit gestern Nacht sind.“

      „La Gelida? Aber die habe ich schon oft gesehen und wusste nicht . . . Wie gut ihr die Dämmerung steht! Ihr grau und unsicher gebogenes Profil scheint von dem Auge, das ein großes schwarzes Loch ist, ganz aufgezehrt zu werden. Ihr Lächeln — sehen Sie, ich möchte es erwidern, aber es schüchtert mich ein.“

      „So?“ machte Da Silva zornig. „Ich aber rate Ihnen zu der Gelida nicht, denn ich war zugegen, als sie operiert ward. Das nimmt einem manche Lust.“

      „Wirklich?“

      Aus tiefem Herzen:

      „Dann möchte ich Ihren Beruf haben!“

      Der junge Mann hieb seinen Stock durch die Luft. Gereizt:

      „O, andere entbrennen nur noch heftiger. Einer von uns sezierte seine eigene Geliebte, und als er in ihrem Magen eine unverdaute Speise fand, aß er sie.“

      Lola schwieg. Entsetzen, Scham und Vergnügen stritten sich um ihr Herz, und es klopfte. Mit Frohlocken in der Stimme sagte sie dann:

      „Würden Sie mir das auch erzählt haben, wenn ich Röcke an hätte?“

      „Wenn wir erst verheiratet sind,“ verhieß er, herablassend aus Ärger, „erfahren Sie mehr.“


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