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Zwischen den Rassen. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Zwischen den Rassen - Heinrich Mann


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schob gequält die Schultern hin und her.

      „Ich verstehe Sie nicht. Sind Sie raffiniert, oder was sind Sie?“

      „Ach was: ich bin ein junger Mann, wie Sie sehen können, dem alle Frauen zulächeln. Sehen Sie, welch Erfolg? Warum stehe ich, die doch alle hübsch nennen, sonst immer hinter Mai zurück, heute aber errege ich Aufsehen? Ich bin eigentlich ein verkleideter Mann, und jetzt habe ich mich demaskiert. Man hat kaum Zeit, jeder dieser Schönen mit den Wimpern zu winken.“

      Da Silva sah rundum.

      „Wer ist schön? Wenn ich Schönheit noch sehen könnte!“ — und seine Stimme fuhr auf. Nun, mit schmerzlich erbittertem Tonfall:

      „Aber Sie halten mich so besessen mit Ihrem Gesicht, mit Ihrer Gestalt, dass ich für die anderen Maß und Sinn verloren habe. Sind sie schön, sind sie hässlich? Ich verstehe nichts, ich sehe nur dies eine kleine unerbittliche Geschöpf, und es erstickt in mir alles, was nicht sein eigen ist.“

      Lola bückte sich ein wenig, mit einem Schauer im Nacken, als werde gleich eine Hand hineingreifen. „Immer das Gesicht, immer die Gestalt: immer der Körper,“ dachte sie, auf einmal matt von Widerwillen und Traurigkeit. Er sagte stürmisch:

      „Sie sind über alle Vergleiche schön!“

      „Ach, wie reizend wär’s,“ meinte sie und ermunterte sich, „wenn alle so dächten! Tatsache ist, dass jeder sich zuerst um mich bemüht; dann erst besinnt er sich und geht zu Mai.“

      „Gut für ihn.“

      „Danke. Warum blicken Sie mit solcher Wut auf dies arme hübsche Mädchen?“

      „Kommen Sie auf die andere Seite: Sie werden sehen.“

      Das Mädchen, das ohne Begleitung war, trat in das weitoffene, erhellte Gewölbe eines Tabakladens. Alle Männer wandten den Kopf nach ihr; die Stutzer, die am Ladentisch lehnten, wichen keinen Schritt breit. Das Mädchen verlangte etwas; aber so oft sie den Mund öffnete, ward gepfiffen.

      „Sie will Räucherkerzen, man sieht es,“ sagte Lola. „Was hat sie denn begangen, mein Gott?“

      Das Mädchen errötete plötzlich tief; die Männer lachten schadenfroh; der, der den Witz gemacht hatte, blähte sich. Das Mädchen stürzte, die Augen verwirrt und nass, ins Freie. Wie sie nahe kam, stieß Da Silva einen Pfiff aus. Sie floh weiter. Lola rief:

      „Das ist abscheulich! Ich will Sie nicht mehr kennen! Wenn die Ärmste niemand hat, schließe ich mich ihr an: ich!“

      „Vergessen Sie, dass Sie ein Mann sind? Reden Sie sie an, ists grade solche Beleidigung, wie wenn Sie pfeifen.“

      Lola blieb ratlos stehen. Zwei blonde Damen mit Spazierstöcken stelzten über das Pflaster und betraten gelassen denselben Laden, — wo alles ihnen Platz machte. Lola sagte sich, dass jeder sie auf die Stufe dieser beiden stellen, ihr die gleichen Rechte einräumen werde; und doch war sie der Misshandlung jener anderen mit einer Angst gefolgt als sei’s eine Drohung, die auch ihr gelte.

      „Es ist furchtbar,“ sagte sie, „unter euch eine Frau zu sein. Bei uns ist der Mann unser Kamerad.“

      „Bei euch? Sie sind keine Nordländerin. Sie haben etwas von jenem uns so erbitternden Reiz, gewiss. Wir Männer des Südens folgen allzu gern der zweideutigen Herausforderung, die von der befreiten Frau ausgeht. Wozu kommt ihr her? Ihr verderbt unsere Frauen, dass sie sich ohne unseren Schutz auf die Straße wagen und, wenn wir sie ließen, sich im Café mitten unter uns setzen würden. Ihr verderbt auch uns, dass wir den schlaffen Kitzel der Kameradschaft mit euch fühlen möchten, wie eure heruntergekommenen Männer. Ich will’s nicht. Ich will Ihr Herr werden.“

      „Manchmal reden Sie wie das Alter, das Sie wirklich haben;“ und Lola lachte gezwungen.

      „Nicht nur meine Worte, auch meine Muskeln sind die eines Fünfundzwanzigjährigen. Sie werden es fühlen.“

      Lola hob schweigend die Schultern. Nach einer Weile:

      „Jetzt gehen wir drüben in das Café: ich will mich mitten unter euch setzen.“

      „Ich bin Ihr Begleiter, aber ich verlasse mich darauf, dass Sie selbst wissen, wie weit Sie gehen dürfen.“

      „Sie werden mich als einen jungen Polen vorstellen, der in Paris studiert.“

      „Ich werde mich Ihnen empfehlen und es Ihnen überlassen, sich zu kompromittieren.“

      Aber er trat mit ein.

      „Welch Glück: da sitzt die Gelida. Machen Sie mich sofort mit ihr bekannt!“

      „Und der Kreis um sie her? Dabei sind Leute, die Sie kennen.“

      „Sie werden keinen Skandal erleben. Mut, armer Freund!“

      Sie wurden aufgenommen und setzten sich. Die Unterhaltung ward zu Ehren der schönen Kurtisane geführt, die, hinter sich ihre Dueña und ihre Magd, denen, die gut sprachen, ein wenig von ihrem Lächeln zuteilte. Lola begann darum zu werben. Man wendete die Stühle, um diesen jungen Menschen sprechen zu sehen. Wenn sie seine kleine kokette Hand weich durch die Luft streichen und bei einer seiner leichten, raschen Bewegungen seine Taille sich biegen sahen, schien den Männern ringsum sein Geist frischer, belebender. Er gab stürmische, junge Meinungen zum besten: „Die Liebe ist etwas sehr Einseitiges und eigentlich ein Mangel an Selbstzucht;“ — wobei alle die zuhörten, sich, sie wussten nicht warum, beglückt fühlten. Lola sah die Mienen, die sie bewegte, das schöne Gesicht der Gelida, aus dem ihr freundliche, wohlklingende Zustimmungen kamen; und sie hatte eine Empfindung von Leichtigkeit und Freiheit wie nie im Leben. Nie hatte sie Da Silva so ruhig ansehen können. Was kümmerten sie nun seine gefalteten Brauen. Bei allem was sie sagte, fühlte sie ihn neben sich als Besiegten; der Genuss, den sie von ihren Worten hatte, kam daher, dass sie gut waren, und dass er es hätte leugnen wollen; und diese Schauer des Sicherhebens, des Fliegens und Besonntseins daher, dass er so tief unten blieb.

      Das Diner war hergerichtet. Da Silva behauptete, er und sein Freund hätten eine dringende Verabredung. Warum er heute so mürrisch sei, ward er gefragt. Lola forderte ihn auf, zu gehen und sie zu entschuldigen. Sie saß bei Tisch neben der Gelida. Ein Dichter rezitierte. Da Silva versuchte ungeschickt, ihn zu kritisieren. Lola lächelte und sprach der Gelida von dem Jüngling, dem in seinen arbeitsamen Nächten manchmal die Phantome von Frauen über die aufgeschlagenen Seiten tänzelten, und der solchen beklommenen Stolz genieße, wenn er die Augen wegwende. Sie sah Da Silva seine Lippe kauen und in sich versinken. Wie alle durcheinander redeten, der Nachtwind an der Tür lauter mit dem Perlenvorhang klimperte und eine Glocke elfmal dröhnte, sprang Lola auf, ließ die Freiheit leben; und mit dem letzten Ruf war sie entschlüpft.

      Sie befand sich in einem Gässchen und sah am Ende der schmalen Häuserflucht, wie durch ein Rohr, die große Gestalt des Kolumbus von Sternen umwogt. In trunkener Wallung erhob sie beide Arme. Wie aber hinter ihr der Schritt, den sie kannte, vernehmlich ward, verwirrte es sie panisch, als breche auf einmal ein künstlicher Turmbau in ihr zusammen. Ernüchtert, kalt vor Furcht, versteckte sie sich in einem Portal; aber Da Silva fand sie. Wie unvorsichtig sie sei. Ob sie glaube, dass es den Helden der Nacht auf einen Mord ankomme. Lola, die an Da Silvas Seite weiterging, wünschte sich inständig, dass aus dem nächsten Schatten ein Befreier springe und sie töte.

      Denn sie hatte erkannt: Alles war umsonst. Begeistert meinte sie zu sein, und war nur berauscht gewesen. Den Geist, der sie von ihm erlösen sollte: eben der Drang nach ihm hatte ihn ihr eingegeben; und nie hatte er fester seine Hand auf ihr gehalten, als da sie ihn tief unter sich glaubte.

      Dabei durchmaßen sie den Quai.

      „Wohin geht’s?“ dachte Lola verstört; und: „Wenn ich den nächsten Straßenrand mit dem rechten Fuß erreiche, entkomme ich ihm heute noch. Sonst nicht. Sonst nicht.“

      Aber noch vor dem Ziel, das sie meinte, rückten ihre beiden Schatten nach vorn, und beim Heraufkommen seiner breiten Schultern schloss Lola die Augen. Das Schweigen folterte sie. Wie entsetzlich nervenstark


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