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Die kleine Stadt. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Die kleine Stadt - Heinrich Mann


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hin­ab. Er dort am Ende hielt die Arme nicht mehr ver­schränkt, und sein wan­ken­des Lä­cheln such­te in den Schlei­er ein­zu­drin­gen, zu je­nem ver­schwim­men­den Oval aus fer­nem Ala­bas­ter …

      Ein Au­gen­blick, dann en­de­te das Läu­ten, die Men­ge schloss sich wie ein Tor, und auf­schre­ckend sah der Te­nor all die Ge­sich­ter zu­rück­ge­kehrt, die er ver­ges­sen hat­te.

      Sein Ka­me­rad, der Ba­ri­ton, stand vor ihm und sag­te:

      »Ich war im Ort um­her, nach Woh­nun­gen für uns. Wer sich be­gnügt, zahlt we­nig.«

      »Gad­di, wer war jene Frau?«

      »Schon eine Frau? Im­mer Frau­en! Ah, die­ser Nel­lo. Er ver­liert sei­ne Zeit nicht.«

      »Wer war sie?«

      »Ich habe nichts ge­se­hen, mein ar­mer Nel­lo. Was willst du: ich bin ein Fa­mi­li­en­va­ter vol­ler Sor­gen. Gleich wer­den die Mei­nen hier sein, vier Köp­fe, und es heißt ih­nen Ob­dach schaf­fen. Ich su­che einen ge­wis­sen Sa­vez­zo, der Zim­mer ha­ben soll.«

      »Nichts ge­se­hen! Und du musst – nein, blei­be! Dies ist wich­tig: ganz nahe musst du an ihr vor­bei­ge­kom­men sein.«

      »An wie vie­len Frau­en bin ich vor­bei­ge­kom­men! Auch du, Nel­lo, wirst glück­lich an die­ser vor­bei­kom­men, wie noch an je­der. Ge­hab dich wohl.«

      Und der Mann mit dem Cäsa­ren­pro­fil nahm ge­setz­ten Schrit­tes sei­nen Weg wie­der auf. Der Te­nor drang plan­los in die Men­ge ein. »An ihr vor­bei­kom­men«, dach­te er. »Nie­mals wer­de ich an ihr vor­bei­ge­lan­gen. Wenn ich sie wie­der­fin­de, wer­de ich sie lie­ben: im­mer, im­mer.« Da schlug ein rie­si­ger Fe­der­fä­cher ihm eine par­fü­mier­te Luft ins Ge­sicht. Mama Pa­ra­di­si, flan­kiert von ih­ren bei­den Töch­tern, ver­sperr­te dem jun­gen Man­ne den Weg.

      »Das ist er!« flüs­ter­ten sie laut, alle drei; sa­hen ihn starr lo­ckend an aus ih­ren brei­ten, wei­chen, ge­pu­der­ten Ge­sich­tern, lie­ßen die Fä­cher ru­hen und die durch­sich­ti­gen Blu­sen sich he­ben und quel­len. Der jun­ge Mann hat­te, be­vor er’s wuss­te, ent­ge­gen­kom­mend ge­lä­chelt. Mit Stim­men wie Fe­der­kis­sen ver­si­cher­ten sie ihm, dass sie um sei­net­wil­len ins Thea­ter zu ge­hen ge­däch­ten.

      »Wir lie­ben so sehr die Kunst. Wer­den Sie, wenn wir recht laut klat­schen, uns zu Ge­fal­len eine Arie wie­der­ho­len?«

      Er ver­sprach es, hin­ge­ris­sen, die Hand auf dem Her­zen, mit tie­fen Bli­cken in alle drei Au­gen­paa­re.

      Ein schreck­haf­ter Ruck in der Men­ge trenn­te ihn von den Da­men. Da­hin­ten, wo ein Paar wachs­blas­ser Hän­de durch die Luft schwan­gen, brach ein ho­hes, zor­ni­ges Jam­mern an.

      »Ihr wer­dets be­reu­en! Geht nach Hau­se, geht! Ah! ihr Ge­sin­del, den Ko­mö­di­an­ten lauft ihr nach, als hiel­tet ihr euch am Schwan­ze Sa­t­ans fest, um de­sto si­che­rer zur Höl­le zu fah­ren.«

      »Don Tad­deo ist heu­te nicht gut auf­ge­legt«, sag­te je­mand, und der Te­nor sah in ein Ge­sicht voll künst­lich ver­wirr­ter Lo­cken, mit ei­ner po­cken­nar­bi­gen Nase und ei­nem lin­ken Auge, das nicht still­hielt.

      »Ich bin der Sa­vez­zo; Ihr Kol­le­ge Gad­di wird bei uns woh­nen. Üb­ri­gens bin auch ich ein Künst­ler, wir wer­den uns schon ver­ste­hen.«

      Nel­lo Gen­na­ri gab ihm zer­streut die Hand. »Was woll­ten sie von mir, die­se Wei­ber? Ach, im­mer das­sel­be. Und im­mer gehe ich ih­nen auf den Leim. Es fängt an, mich zu ekeln … Aber sie? Wer war sie?«

      »Hö­ren Sie, Herr Sa­vez­zo, ich sah vor­hin …«

      Aber die schwa­che wü­ten­de Stim­me, die Stim­me je­ner in der Luft ste­hen­den, rück­wärts ge­krampf­ten Hän­de fuhr da­zwi­schen; sie klang, als renn­te sie in ei­nem hek­ti­schen An­sturm al­les nie­der.

      »Fort mit ih­nen, ehe es zu spät ist! Sonst frisst die Sün­de um sich, ihr ver­brennt dar­in! Wehe de­nen, die die­se Leu­te ge­ru­fen ha­ben! Und ver­dammt sei, wer sie bei sich auf­nimmt!«

      Meh­re­re Frau­en­stim­men ant­wor­te­ten:

      »Recht hat er, wir wol­len nicht ver­dammt wer­den.«

      Der jun­ge Sa­vez­zo hob die Schul­tern.

      »Was will denn der? Wa­rum soll­te ein Bie­der­mann wie der Herr Gad­di …«

      »Herr Sa­vez­zo, ich sah vor­hin eine Frau in den Dom tre­ten, wer war sie?«

      »In den Dom? Es tre­ten so vie­le in den Dom …«

      »Ein schwar­zer Schlei­er, ein kup­fer­ro­ter Haar­kno­ten.«

      »Wir ha­ben hier kei­nen kup­fer­ro­ten Haar­kno­ten. Wie die­ser Pries­ter schreit! und im­mer das­sel­be, man ver­steht ein­an­der nicht.«

      »Sehr schlank, von sehr wei­ßer Haut«, sag­te fle­hend der Te­nor. Die Mie­ne des an­de­ren blieb ver­schlos­sen. Plötz­lich wen­de­te er sich ab und mach­te zwi­schen den Zäh­nen »oho!«

      »Was steht ihr und reibt euch am Las­ter! Packt euch! Oh! möch­te doch der Him­mel euch ein Zei­chen ge­ben der Ge­fahr, ihr Blin­den!«

      Und die Hän­de dort über den Köp­fen schie­nen mit dem Him­mel zu rin­gen in letz­ter Not, wie hei­li­ge Jung­frau­en beim Ster­ben.

      »Solch ein Fa­na­tis­mus wirkt ab­sto­ßend«, sag­te der Ad­vo­kat Be­lot­ti er­stickt. »Die Da­men zwei­feln doch nicht, dass uns trotz die­sem trau­ri­gen Herrn aus der Sa­kris­tei sehr wohl be­kannt ist, was wir der Kunst schul­den. Ich für mei­nen Teil wer­de mir jetzt erst recht die Frei­heit neh­men, Ih­nen, Fräu­lein Flo­ra Gar­lin­da, mein Haus zur Ver­fü­gung zu stel­len.«

      Die Pri­ma­don­na er­wi­der­te:

      »Ich dan­ke Ih­nen. Aber es wür­de sich für mich nicht zie­men.«

      Da wag­te der Apo­the­ker Ac­qui­sta­pace sich vor.

      »Wenn das Fräu­lein denn zu ei­nem Jung­ge­sel­len nicht ge­hen will: ich bin ver­hei­ra­tet, wir sind eine sehr ehr­ba­re Fa­mi­lie, und wir wis­sen wohl, dass die Kunst und das Las­ter zwei­er­lei ist …«

      »Ro­mo­lo!« rief es sehr scharf hin­ter ihm.

      »Mei­ne Lie­be?« – und die Stim­me des al­ten Krie­gers ver­such­te tap­fer zu blei­ben.

      Plötz­lich kreisch­te al­les auf; die Men­ge schwank­te und be­kam Ris­se; ei­ni­ge Jun­gen lie­fen heu­lend da­von.

      »Der Pries­ter hat sie ins Ge­säß ge­tre­ten«, sag­te der Ad­vo­kat. »Er geht zu Ge­walt­ta­ten über. Soll man sei­ne Kin­der von die­sem Elen­den miss­han­deln las­sen?«

      Da­bei zog er selbst sich ganz lei­se ge­gen den La­den des Bar­biers No­nog­gi zu­rück. Der Apo­the­ker war fort, und vie­le der nächs­ten hat­ten sich un­auf­fäl­lig in das ge­lich­te­te Volk ge­mischt. Vor den Sän­gern lag ein frei­er Halb­kreis. Der Schnei­der Chia­ra­lun­zi durch­maß ihn al­lein. Er trat vor die Pri­ma­don­na hin; aber ohne den letz­ten Schritt zu be­en­den, halb schwe­bend, als woll­te er ihr sei­ne Ge­gen­wart leicht ma­chen, be­gann er zu spre­chen. Er rieb sei­ne großen wei­ßen Hän­de mit den Bal­len an­ein­an­der, und sein Lands­knecht­schnurr­bart schau­kel­te.

      »Weil näm­lich doch das


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