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Die kleine Stadt. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Die kleine Stadt - Heinrich Mann


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… Die von mir en­ga­gier­ten Künst­ler sind da, und nie­mand ruft mich? Herr Ad­vo­kat, ich muss Sie …«

      Der Ad­vo­kat klopf­te ihm auf den Rücken.

      »Mein lie­ber Dor­leng­hi, al­les geht gut, ich habe mich als Vor­sit­zen­der des Ko­mi­tees mit die­sen Her­ren be­reits ins Ein­ver­neh­men ge­setzt.«

      »Aber ich be­grei­fe nicht, wie man ohne mich … Dann füh­ren doch Sie den Ka­pell­meis­ter­stab!«

      »Sei­en Sie gut, Dor­leng­hi!« sag­te der Apo­the­ker, und Pol­li, der Ta­bak­händ­ler, mein­te:

      »Das al­les ist doch nicht der Mühe wert.«

      Der Mu­si­ker warf die Arme noch hö­her.

      »Nicht der Mühe wert! Ah! Ca­va­lie­re: denn ich irre mich nicht, Sie sind der Ca­va­lie­re Gior­da­no, und ich hei­ße En­ri­co Dor­leng­hi und bin Di­ri­gent ei­ner Dorf­ka­pel­le, nichts wei­ter. Ich habe in mei­nem Zim­mer ge­ses­sen, da hin­ten in ei­nem Win­kel der Stadt, wo man nichts hört noch sieht, und habe an ei­ner Mes­se ge­schrie­ben, die ich noch die­sen Herbst in der Kir­che auf­füh­ren soll. In­zwi­schen ern­ten die­se Her­ren die Frucht mei­ner Be­mü­hun­gen; denn ich bin stolz, Sie, Ca­va­lie­re, un­se­rer Büh­ne ge­won­nen zu ha­ben, Sie und Ihre Kol­le­gen. Nicht der Mühe wert! Wenn Sie ahn­ten, welch ein Er­eig­nis für einen Ver­bann­ten, Ge­op­fer­ten …«

      Er ging mit dem al­ten Sän­ger um den Post­wa­gen her­um; sei­ne keu­chen­de Stim­me ver­sank manch­mal, denn das Volk schrie ihm zu. Vie­le schri­en auf ein­mal: »Bra­vo, Mae­stro!« an­de­re: »Seht, er ist ver­rückt ge­wor­den!« Und die meis­ten wuss­ten nicht, wer ge­meint war, und rie­fen: »He, Ma­set­ti!« nach dem Kut­scher, der, stimm­los vom Schel­ten, an den Pfer­den zerr­te. Er saß mit ih­nen fest; Jun­gen kro­chen zwi­schen den Bei­nen der Men­ge her­vor und knif­fen ihn. Er schlug aus … In­zwi­schen ward der Ka­pell­meis­ter wie­der sicht­bar, noch im­mer fuch­telnd. Plötz­lich stand er vor der Pri­ma­don­na. Wie der Ca­va­lie­re sie nann­te, sa­hen sie sich an. Der Mu­si­ker war auf ein­mal ver­stummt, die jun­ge Sän­ge­rin sah aus, als göl­te es: und die Hän­de, die sie sich hät­ten rei­chen sol­len, noch in der Schwe­be, tra­ten bei­de ein we­nig zu­rück. Dann be­grüß­ten sie sich: er ro­sig von ver­le­ge­nem Ehr­geiz, sie mit dem ent­schlos­se­nen Blick von Macht zu Macht, den sie auch auf das Volk ge­rich­tet hat­te. Der Ka­pell­meis­ter sag­te:

      »Ich wür­de mich an die ›Ar­me To­ni­et­ta‹ nicht her­an­wa­gen, hät­te ich für die Haup­trol­le nicht Sie ge­won­nen, Fräu­lein Flo­ra Gar­lin­da.«

      Sie lä­chel­te gnä­dig.

      »Auch Ihr Name, Mae­stro, fängt an, sehr be­kannt zu wer­den. Noch neu­lich in So­g­lia­co sag­te der Di­rek­tor Cre­mo­ne­si …«

      Er hat­te ein Ge­sicht wie ein Hun­gern­der. Aber ihre Wor­te gin­gen aus, wie er kaum an­fing, sie zu ver­schlin­gen. Der Gast­wirt Ma­land­ri­ni bot ihr eins sei­ner bei­den Zim­mer an. Der große be­leib­te Mann war laut­los, man wuss­te nicht wie, durch das Ge­drän­ge ge­langt, lä­chel­te breit und glatt und kann­te schon je­den beim Na­men.

      »Ih­nen, Ca­va­lie­re, mei­nen Ehren­sa­lon! Gera­de muss ich den Hand­lungs­rei­sen­den ha­ben, der im­mer her­kommt; und zu­dem ist ein Frem­der da, der nichts tut: sonst wür­de ich alle die­se Da­men und Her­ren zu mir ein­la­den. Sie aber, Fräu­lein Flo­ra Gar­lin­da …«

      Die Pri­ma­don­na lehn­te ab; sie sei zu arm, um ins Gast­haus zu ge­hen.

      »Der Di­rek­tor Cre­mo­ne­si«, sag­te angst­voll der Mae­stro, »gilt für ge­schickt.«

      Der Perücken­ma­cher No­nog­gi kam da­zwi­schen, die­ner­te auf ei­nem Bein und emp­fahl sich den Künst­lern. Er hielt einen Hau­ben­stock und rief zärt­lich:

      »Oh! welch schö­ne Perücke. Wie soll­te einen Mis­ser­folg ha­ben, wer sol­che Perücke trägt!«

      »Was höre ich?« sag­te der Wirt, »der Herr Ca­va­lie­re hat schon bei dem Herrn Ge­mein­dese­kre­tär ge­mie­tet? Aber das Fräu­lein Ita­lia Mo­le­sin? Ver­stän­di­gen wir uns, Fräu­lein! Sie sind die Schöns­te von al­len …«

      »Sein Ur­teil zählt«, sag­te der Ka­pell­meis­ter; »ich glau­be, dass er als Büh­nen­lei­ter heu­te …«

      »Und die Her­ren«, kreisch­te der klei­ne Bar­bier, »bit­te ich, mir nur ein­mal über die Wan­ge zu strei­chen und dann zu sa­gen, ob man ver­mu­ten wür­de, dass dort je ein Bart ge­wach­sen ist. So ra­sie­re ich!«

      »Ah! so ists recht: auch Sie, Herr Nel­lo Gen­na­ri. Das Fräu­lein Ita­lia und der Herr Nel­lo«, rief der Wirt, »das sind die ge­ehr­ten Gäs­te der Her­ber­ge ›Zum Mon­d‹. Ma­set­ti, das Ge­päck der Herr­schaf­ten! Ihr Leu­te, den Weg frei!«

      Die der­be Schwar­ze hieb ei­nem halb Be­trun­ke­nen, der sie be­tas­te­te, den Fä­cher um den Kopf. Dazu lach­te sie mit ih­rer di­cken Kehl­stim­me.

      »Ei, seht, die Lus­ti­ge!« schrie es. »Ist sie sym­pa­thisch!«

      »Aber seht das böse Ge­sicht der an­de­ren! Kann man so böse sein! Sie wird die He­xen spie­len«; – und die Frau­en tra­ten ganz dicht an die Pri­ma­don­na hin­an und starr­ten ihr tie­risch feind­se­lig in die Au­gen.

      »Ich wer­de dich nicht hei­ra­ten«, er­klär­te Alfò, der Sohn des Café­wirts, mit sei­nem tö­rich­ten Lä­cheln. Sie be­trach­te­te ihn ohne Spott, die Hän­de in den Man­tel­ta­schen.

      »Und ich dich nicht, du Schö­ner!«

      »Er ist nicht mehr schön«, sag­te eine Frau und schlug sich auf die Brust. »Der Schö­ne ist jetzt euer Te­nor.«

      »Man wür­de sa­gen, ein jun­ger Hei­li­ger!«

      »Wäre er mein Sohn! Mein Sohn ist häss­lich und schlägt mich.«

      »Zeig uns dein Ge­sicht! Ich will dich küs­sen.«

      »O du Scham­lo­se!«

      Und tief aus der Men­ge schall­te eine Ohr­fei­ge.

      »Bra­vo!« sag­ten Män­ner­stim­men. »Sie sind ver­rückt, die Wei­ber.«

      »Aber auch ich wür­de mich ver­lie­ben!« rief der bie­de­re Bass des Apo­the­kers Ac­qui­sta­pace; und vie­le hel­le Stim­men, auf al­len Sei­ten und weit­hin, ver­stört, se­lig, im Ton des Träu­mens:

      »Ah! sei­ne Au­gen. Er sieht mich an!«

      *

      Er stand al­lein; sei­ne Ka­me­ra­den wa­ren von ihm weg­ge­tre­ten wie auf der Büh­ne, wenn der Bei­fall nur ihm galt; und die Arme ver­schränkt, die Schul­tern hin­auf­ge­zo­gen, führ­te er sein leich­tes und den­noch be­schat­te­tes Lä­cheln über die Ge­sich­ter der Men­ge. Sie ant­wor­te­te:

      »Es lebe der Gen­na­ri!«

      Die Jun­gen kreisch­ten:

      »Er lebe!« – und ein Hän­de­klat­schen, ir­gend­wo aus­ge­bro­chen, griff um sich, sprang über den Platz.

      Es ward zer­ris­sen von ei­nem schwe­ren Glo­cken­schlag; und wie vom Turm nun das Ave stieg, wen­de­ten alle sich ab. Die Men­ge ent­fal­te­te, aus­ein­an­der­rau­schend, zwei wei­te Flü­gel; zwi­schen ih­nen, am Ende ei­ner stum­men Gas­se von Men­schen, lag vor dem jun­gen Sän­ger


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