Virginia und der ehescheue Graf. Barbara CartlandЧитать онлайн книгу.
Genevieves kleines Haus in Mayfair wurde Tag und Nacht von zahllosen Verehrern belagert.
Daß sie ein Auge auf den Earl of Helstone geworfen hatte und fest entschlossen war, sich ihn zu angeln, überraschte niemanden.
Der Earl war nicht nur einer der reichsten, sondern nach Ansicht vieler Frauen auch der bestaussehende Mann in ganz England.
Dennoch hieß er bei seinen Freunden und Bekannten der ehescheue Graf. Und dieses Prädikat trug er nicht zu Unrecht.
Seit Beendigung seiner Studien war er sowohl von ehrgeizigen Müttern als auch deren heiratsfähigen Töchtern regelrecht verfolgt worden. Es gab überhaupt erstaunlich viele Frauen, die von seinem markanten, männlich-schönen Gesicht genauso magisch angezogen wurden wie von seiner stets prall gefüllten Brieftasche.
Aber alle Bemühungen, ihn in das Netz der Ehe zu locken, waren bisher an seinem hartnäckigen Widerstand gescheitert.
Allerdings hatte seine Skepsis gegenüber einer Ehe ihn nicht davon abgehalten, Lady Genevieve - die schönste Frau bei Hof - ihren Verehrern und Liebhabern vor der Nase wegzuschnappen. Das bereitete ihm Vergnügen.
Lady Genevieve hatte kein Geheimnis daraus gemacht, daß er nicht der erste Mann war, der ihr Herz eroberte. Und er war auch nicht der erste Liebhaber, dem sie nach dem Tode des Gatten ihre Gunst schenkte.
Doch während der Monate, die sie miteinander verbrachten, gab sie ihm sehr deutlich zu verstehen, daß sie nichts dagegen hätte, wenn er der Letzte wäre.
Lady Genevieves Herz war ein rätselhaftes Ding, und der Earl hatte zumindest starke Zweifel, ob ihre Liebesbekundungen wirklich einer tiefen inneren Empfindung entsprangen. Jedenfalls gab es genügend Anzeichen dafür, daß Genevieve echte Zuneigung mit dem Bedürfnis nach größtmöglicher materieller Sicherheit und nach einer gesellschaftlichen Stellung verwechselte, die außerhalb des Königshauses ihresgleichen suchte.
Die Helstones hatten tatsächlich königliches Blut in den Adern.
Und es war bekannt, daß ihr Stammbaum mit seinen unzähligen Verästelungen selbst den Experten der Wappenkunde Kopfzerbrechen bereitete.
Doch abgesehen davon hatte der Earl sich aufgrund eigener Verdienste eine so wichtige Position im Oberhaus erworben, daß er als eine der einflußreichsten Persönlichkeiten in England galt, als ein Mann, mit dem man rechnen mußte und dessen Meinung sogar der Premier nicht unbeachtet ließ.
Außerdem gab es niemanden im ganzen Land, der es wagen konnte, die führende Rolle des Earl im Reitsport zu bestreiten.
Er verfügte über die größte Vollblutzucht der Insel. Und um das eigene Gestüt mit frischem Blut zu versehen, hatte er wie die alten Züchter echte Araberhengste importiert.
So war Delos, der Gewinner des Rennens von Newmarket Heath, ein direkter Abkömmling des berühmten Eclipse, des Vaters vieler bekannter Rennpferde, von dessen legendären Erfolgen man in Reitsportkreisen nur mit angehaltenem Atem sprach.
Eclipse - oder Sonnenfinsternis - erhielt seinen Namen von der großen Sonnenfinsternis, die 1764, dem Jahr seiner Geburt, die Menschen in Aufregung versetzte. Sein Züchter war William, Duke von Cumberland, der im Jahr danach das Zeitliche segnete.
Nach dem Tode des Duke wurde das Tier für fünfundsiebzig Guineas an Mr. William Wildeman verkauft.
Seinen ersten Auftritt auf dem Rennplatz hatte Eclipse im Jahr 1769 beim Noblemen and Gentlemen's Plate in Epsom. Er gab dort eine atemberaubende Vorstellung, und von diesem Augenblick an war es jedem Kenner klar: Hier hatte man es mit einem Tier zu tun, dessen phänomenale Vorzüge in der Geschichte des Rennsports einmalig waren.
Wenn der Earl von Helstone an Delos oder die anderen Pferde aus seinem Gestüt dachte, hatte er das Gefühl, wenigstens eines davon würde es seinem weltberühmten Urahn einmal gleichtun.
Wirklich sicher konnte man allerdings erst sein, wenn das Tier bei einer Anzahl großer Rennen einen Sieg nach dem anderen geholt hätte.
»Vielleicht gibt es für einen Mann kein höheres Ziel und keine größere Genugtuung im Leben, als ein Pferd wie Eclipse oder eins, das ihm ähnlich ist, zu besitzen«, sagte Lord Helstone jetzt mit halblauter Stimme.
Er blickte zu dem Gemälde über dem Kamin auf. Es war ein Bild von Eclipse, das der berühmte Pferdeporträtist George Stubbs gemalt hatte.
Das Fell des Hengstes war von einem dunklen Kastanienbraun. Auf der Stirn hatte er eine Blesse, und auch die Strümpfe der beiden Hinterhände waren leuchtend weiß. Gemessen am Standard seiner Zeit war es ein ungewöhnlich stattliches Tier, dessen Schulterhöhe 10 Handbreit und 3 Inches betrug.
Der Abstand von der Hüfte zum Sprunggelenk war auffallend groß, die Vorhand gedrungen und kraftvoll, der Widerrist vollendet ausgebildet.
Diesen Eigenschaften verdankte er die gewaltige Schnellkraft, die ihm, gepaart mit einem wilden, aggressiven Temperament, seinen ruhmvollen Platz in den Annalen des Pferderennsports eintrugen.
Lord Yaxley folgte dem Blick seines Freundes. »Ich muß zugeben«, sagte er, »Delos hat heute einen sensationellen Endspurt hingelegt. Glaubst du, er kann das Derby gewinnen?«
»Ich weiß nicht einmal, ob ich ihn überhaupt daran teilnehmen lasse«, erwiderte der Earl.
«Es wird dir gar nichts anderes übrig bleiben«, sagte Lord Yaxley.
»Du kannst sicher sein, daß ich in dieser Frage einzig und allein meinem eigenen Urteil folgen werde«, antwortete der Earl. »Bisher hat es noch nie jemand fertig gebracht, meine Entscheidungen zu beeinflussen. Und das wird auch in Zukunft so bleiben.«
Lord Yaxley blickte den Freund an. Er wußte besser als jeder andere, wie hart und unnachgiebig der Earl sein konnte, wenn er einmal einen Entschluß gefaßt hatte.
Die beiden ungleichen Männer waren Freunde seit ihrer Kindheit. Ihre gemeinsamen Erinnerungen reichten bis in die Zeit zurück, da sie noch im Kinderwagen gefahren wurden.
Sie hatten dieselbe Schule besucht, im selben Regiment gedient, und eigenartigerweise hatten sie auch im selben Jahr ihre Titel geerbt.
Doch während der Earl geradezu sagenhaft reich war und in der gesellschaftlichen Rangskala eine unvergleichlich höhere Stellung einnahm als Lord Yaxley, lebte der letztere dennoch in durchaus angenehmen und sorglosen Verhältnissen. Und es gab nur wenige angesehene Familien in England, die ihn nicht mit offenen Armen als Schwiegersohn begrüßt hätten.
»Es müßte doch ein Triumph für dich sein, den Sieger für das bevorstehende Derby zu stellen«, sagte Lord Yaxley. »Und nach dem, was ich heute von Delos gesehen habe, bin ich sicher, daß neben ihm kein anderes Pferd auch nur die kleinste Chance haben wird.«
»Da stimme ich dir zu«, versetzte der Earl. »Aber wenn ich Delos nicht mitlaufen lasse, gibt es immer noch Zeus oder Perikles.«
»Das Schlimme ist, daß du stets zu viele Rosinen im Pudding hast, mein Lieber.«
Lord Yaxley lächelte,
»Hast du mich immer noch auf dem Korn, Willoughby?«
Der Earl erhob sich aus dem Sessel und begann in dem kostbar möblierten Raum auf und ab zu wandern.
»Und nach dem Derby wird mir vermutlich der Gold Cup von Ascot und nach Ascot der von St. Leger in der Nase stecken, wie?«
»Warum nicht?« meinte Lord Yaxley.
»Es ist immer derselbe Teufelskreis, in dem ich mich befinde, und aus dem ich nicht herauskomme.« Die Worte des Earl klangen nachdenklich. »Du hast wirklich recht, Willoughby. Ich fange an, mich tödlich zu langweilen. Ich glaube, ich werde mal wieder auf Reisen gehen.«
»Auf Reisen?« rief Lord Yaxley überrascht und richtete sich in seinem Sessel kerzengerade auf. »Weshalb, um alles in der Welt? Und weshalb ausgerechnet während der Rennsaison?«
»Ich fürchte fast, es ist gerade die Rennsaison, die ich so fade finde«, gab der Earl zur Antwort. »Diese endlose Kette von