Eugénie oder Die Bürgerzeit. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.
»Stürzen wir uns in neue Schlachten!«
Grade hier erblickte er Konsul West, den noch niemand kommen sah.
Er nahte mit wiegenden, schnellen Schritten, in hellen Beinkleidern, dunklem Rock, und über einem Arm lag sein Mäntelchen, mit dem seidenen Futter nach außen. Er hielt den steifen, grauen Hut in der Hand. Aus dem Hause lief ein Dienstmädchen und nahm ihm beides ab. Er begrüßte die Gesellschaft mit Würde und Leichtigkeit. Seine Frau küßte er auf die Wange, dann hob er seinen Jungen zu sich auf. Der Fünfjährige mußte berichten, womit er den Tag verbracht habe. Er wurde gefragt, wer in der Stadt drinnen, rechts und links von ihrem Stadthause und die ganze Straße entlang ihre Nachbarn seien.
»Und hier draußen, junger Freund, im Sommer?« fragte seinerseits Herr Pidohn.
Es fiel auf, daß er sich vordrängte. Der Konsul begegnete ihm gemessen, mit schwer erkennbarem Spott. Nur Gabriele verstand den Ausdruck ihres Mannes genau. Pidohn war eine Persönlichkeit, die noch geschont werden mußte, im Grunde achtbar war er nicht.
Beiseite sagte sie dem Mädchen: »Decken Sie den Tisch für fünf Personen. Unser Nachbar kann nicht bleiben.«
Inzwischen gelang es diesem, den Konsul von den übrigen abzutrennen. Sogleich teilten die beiden jungen Offiziere einander ihre Zweifel mit. War es von der Ehre geboten, jenen Herrn wegen seiner auffallenden Äußerungen zur Rede zu stellen? Fräulein Nissen, die es hören konnte, deutete eifrig und stumm auf ihre Stirn, aber sie wollten ihr nicht glauben. Erst Frau Konsul West, die zurückkehrte, brachte durch ihre lustige Nachahmung des Sonderlings die Herren zum Lachen. Sie rückte wichtig den Kopf umher; bei ihr freilich war es mehr ein Vögelchen, das getrunken hat, als der großartige Mann. Gleichviel, sie lachten gern und blickten von ihr zu ihm. Dort drüben entfaltete Pidohn sich vor dem Konsul.
Er fing klein an, befangen sogar – versuchte, sein Gegenüber am Knopf zu fassen, was aber der Konsul geschickt vereitelte. Gabriele lachte lauter, ihr Gatte verständigte sich mit ihr von fern durch die Augen. Er hatte blaue, sehr klare Augen, sie blickten selbstbewußt und heiter. Das runde Gesicht zeigte noch Jugendblässe. Die dunkelblonden Haare schlugen über der Stirn eine Welle, an den Schläfen stießen sie in zwei dichten Büscheln nach vorn. Sein Schnurrbart endete in lang ausgezogene Spitzen.
Er konnte auf seinem niedrigen, umgelegten Kragen den Kopf ein wenig schräg tragen, so wirkte er vollends romantisch. Das hatte, als sie ihn kennen lernte, auch Gabriele gewonnen, sie selbst nach vielen anderen. Seine Erfolge hatten ihm bei ihr nur genützt, besonders aber, wie er sie trug, seine Selbstverständlichkeit, sein Takt. Sie sah in ihm den schönsten Mann, ohne je zu vergleichen, und das Unangemessene Glück, obwohl sie kein schlechteres in Betracht zog. Auch der liebliche Tag um sie her war da, und sie atmete ihn einfach.
Wie liebenswürdig und in der Form wie sicher blieb Konsul West bis jetzt gegenüber den Zumutungen des Spekulanten. Er schien mehr oder weniger besorgt um ihn, vielleicht auch um die von jenem verletzten Konventionen. So verhielt sich ein wohlgeratener, vom sicheren Geschick getragener Mann zu einer verdächtigen Existenz, die gegen das hergebrachte Wahrscheinliche ging.
Es trat deutlich hervor, sogar für die beiden Leutnants. Emmy Nissen erinnerte unter dem Eindruck an dunkle Hintergründe, die Herrn Pidohn nachgesagt wurden. Er sollte in abgelegenen Teilen der Stadt unter falschem Namen bekannt sein, ja, nicht einmal mehr die äußere Maske des ehrbaren Kaufmanns wahrte er dort. Die Echtheit seiner dicken, schwarzen Backenbärte ward aus solchen Gründen angefochten.
Die Gruppe der Beobachter versenkte sich in ihr spannendes Gespräch. Wie aber, als sie wieder hinsahen? Das Bild der beiden war verändert, es veränderte sich noch vor aller Augen. Der eine wuchs jetzt, er wollte wieder so hoch wachsen, wie in seinen anmaßendsten Augenblicken. Der andere ward im Gegenteil kleiner. ›Nein!‹ fühlte Gabriele, ›nicht kleiner. Aber er sieht nicht mehr her, er hält die Hand am Schnurrbart, senkt den Kopf, und Pidohn hat ihn, wo er will. Jürgen ist in Versuchung.‹
Sie fühlte dies ohne Worte. Ihr kam Angst, sie wußte nicht woher. Was jener dort redete, verstand sie nicht; statt dessen hörte sie, deutlich wie vorhin, seine verschönte, ernste Stimme sagen:
›Denken Sie an die heiligen Frauen, die alle Sünderinnen waren! Sie wurden groß durch das Unglück.‹
Es klang ihr abscheulich. Sie empörte sich, weil sie es noch einmal ertragen sollte. Daher ging sie hin und stellte sich an die Seite ihres Mannes.
»Herr Pidohn!« befahl Gabriele. »Mein Mann spricht mit mir niemals von Geschäften. Was aber Sie ihm jetzt sagen, will ich wissen.«
Vergebens versuchte Konsul West, sie zu besänftigen.
»Sie sagen ihm sicher abscheuliche Dinge!« rief sie zornig und melodisch. »Auch zu mir haben Sie etwas gesprochen, das ich noch jetzt höre und will es doch nicht. Sie sind ein Mann, der nicht hierher gehört. Ich hasse Sie!«
Dies waren nun Worte, die niemand mehr begriff. Man stand betreten. »Aber Gabriele!« murmelte der Konsul. Der Angegriffene selbst schrumpfte sofort zu seinen gewöhnlichen Maßen zusammen, ward eine Person wie jede andere und sagte:
»Das tut mir leid, Frau Konsul. Das tut mir innig leid. Gehaßt werden, das will ich nicht ...«
Er verbeugte sich, ging, wiederholte aber noch den ganzen Gartenweg entlang:
»Das war nicht meine Absicht, gehaßt zu werden. Bei Gott, das nicht.«
Alle sahen ihm nach, – wobei sie zum erstenmal bemerkten, daß es dunkel ward. Schon lange dämmerte es, die lange nordische Dämmerung. Aber selbst der Schatten blieb durchsichtig.
Der Abgehende hatte die Pforte erreicht, da mußte er in seinem Schmerz an noch jemand vorbei. Jemand stand dahinter.
Man erkannte ihn an seinem hohen Schlapphut und dem gefalteten Plaid über der Schulter. Jeder hätte ihn erkannt.
»Professor von Heines«, raunte Konsul West seiner Frau zu.
»O Gott!« rief sie gedämpft. »Will er denn zu uns?«
Sie grüßten ihn wohl auf der Straße; die ganze Stadt grüßte in dem alten Dichter ihren eigenen Ruhm. Aber er verkehrte bei ihnen nicht. Auf einmal stand er draußen, ja, wartete, daß sie ihn hereinholten. Hier half Emmy, dank ihren Beziehungen zur Kunstwelt.
»Herr Professor«, begann sie mit tiefem Knicks. Schon war auch der Konsul angelangt und erbat weltmännisch die große Ehre. Heines trat ein.
»Ich war auf einem Abendgang begriffen«, erklärte er, »als gewisse Beschwerden des Alters mich nötigten, zu rasten. Eine glückliche Fügung erlaubt, daß es geschehen darf im Licht der schönsten Jugend.«
»Ah!« machte der Konsul aus wahrer Bewunderung. Die Konsulin sah mit groß geöffneten Augen, ob ehrfürchtig oder befremdet, in die des Dichters, – bis er sich über ihre Hände beugte.
Er kam aus Ländern, wo man Damen die Hände küßte! Dort hatte er sein Leben verbracht, nur sein Alter gehörte der entlegenen Heimatstadt. Sie blieb im Grunde mit ihm unvertraut, sie hätte vergebens erraten wollen, welche Abenteuer, welcher Glanz oder unbekannte Schmerz fern hinter ihm verdämmerten. Seine Haltung drückte aus, daß er viel erfahren habe, aber stolz und keusch davon schweige. Sie drückte Abstand aus. Sein Gedicht und Geschick, das alle in Liedern lasen oder sangen, samt seiner Rolle als Herold der sich einenden Nation, alles erlebte er öffentlich und für ein Volk, nur war es keins in Atemnähe, es war ein innen angeschautes. Vor dem Leben hielt er zurück.
In den schönen Augen dieser Dame aber hatte er die Spur von Tränen erblickt, vergossen um jenen abgehenden Mann, der gleichfalls weinte. Der Mann war vom Unglück gezeichnet, die Dame schön und jung. Nur der Dichter sah und verband, was anderen ohne Sinn blieb.
Er dachte sich diesen Garten voll besonnten Jugendglückes, erst mit der Dämmerung schlich das Unglück sich ein, griff an und fand Entgegenkommen. Der alte Dichter wußte: Unglück wie Laster zogen an, sie lockten ungesund. Man ward wohl heftig, wie vorhin die junge Konsulin, im Grunde aber war man versucht. Das hatte gute Weile,