Eugénie oder Die Bürgerzeit. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.
ich in Bordeaux. Wir wohnten beim öffentlichen Garten, in einer kurzen Straße mit Bäumen, Cours de Gourgue, Sie kennen sie?«
»Auch dorthin trugen mich meine Sängerfahrten. Die alten Häuser werden von Bäumen beschattet«, wiederholte der Dichter. Er warf den Kopf, sein Blick sah Erhabenes.
»Den öffentlichen Garten säumen lange Terrassen mit stolzen Palästen. Ein stärkerer Himmel dunkelt über der Orangerie, den tiefen Alleen.«
So war es; sie mußte wohl sein Glas, das er hinhielt, mit dem ihren streifen. Sie war beglückt, wenngleich eifersüchtig auf sein Wissen. Seltsam, seine durchdringenden Worte entfernten sie auch von Haus und Mann, die ihr gehörten. War ihre arme Mutter dort unten gestorben, der Vater hatte sie doch aus einer anderen Heimat in diese gebracht, und die war wieder ihr. Sie entgegnete:
»Am Hafen dort roch es genau wie hier am Hafen.«
Es hieß: ›Ich habe die Heimat nie verloren. Hier ist sie wieder.‹
Ihr Gatte sagte: »Natürlich. Dieselben Schiffe fahren hin und her.«
Da lächelte sie ihn dankbar an.
Hier kehrte das Gespräch, niemand sah klar warum, aus der Welt in die Nähe zurück. Der Konsul erwähnte Pidohn.
»Ich weiß, wer er ist«, sagte der Konsul. »Ich kenne seine Existenz, ich kann sogar berechnen, wie lange er sich beiläufig noch hält. Dennoch hatte er mich von seinen sinnlosen Hirngespinsten einen Augenblick lang beinahe überzeugt. Haben Sie dafür eine Erklärung, Herr Professor?«
»Er ist ein Spekulant, müssen Sie wissen«, bemerkte die Konsulin wichtig. »Ich habe sogar gehört, daß er alles Getreide der Welt kauft, damit das Brot ganz billig wird ... Oder ganz teuer?« fragte sie, unsicher geworden.
Der Konsul lachte leise, aber so heftig, daß es ihn schüttelte. Ohne Übergang ward er völlig ernst. »Er weiß es selbst nicht. Er sieht nur, daß durch Spekulation jetzt häufiger Vermögen entstehen, als mit gediegener Arbeit. Merkt er nicht auch, daß die Rückschläge schon häufiger werden – und uns näherkommen?« fragte der Konsul sichtlich nur sich selbst. Dann fielen ihm seine Zuhörer wieder ein. »Solchen Leuten fehlt die klare Vorstellung ihrer Grenzen. Auch ihrer Pflichten«, ergänzte er streng.
Kusine Emmy bestätigte es, nicht weniger streng. »Seine Frau lebt meistens bei ihren uralten Eltern, so sehr leidet sie unter ihm. Die Söhne meiden ihn tunlichst, die Villa gehört der Frau.«
»Jedenfalls führte der Herr unzulässige Reden«, behauptete Leutnant von Kühn. Sein Kamerad Kessel schloß:
»Eigentlich hätten wir ihn zur Verantwortung ziehen müssen.«
»Verantwortung!« rief der Konsul. »Daran liegt es grade. Er ist ihrer unfähig, sonst hätte er sich längst darauf besonnen, daß wir Kaufleute nicht nur da sind, unbegrenzt Geld zu verdienen. Wir sind Teile eines Ganzen, das in noch höherem Maße unsere Sorge sein muß als das eigene Wohl. Um so sicherer gedeihen auch wir.«
Er sagte dies mit noch helleren Augen, weil es nicht mehr ganz so wie früher die reine Wahrheit war – für andere nicht und bald auch für ihn.
Er versicherte sich, daß der verehrungswürdige Gast ihm zuhörte. Ein solcher Tischgenosse regte ihn an, seine Grundgedanken zu äußern, zu vertreten, was ihn bisher noch sicher und stolz machte. Ein letzter Nachdruck war seiner Rede noch zu geben.
»Der große Schlag, den Pidohn vor hat, kann ihn selbst zum Bettler machen. Es ist das Wahrscheinliche und es wäre verdient. Mit ihm gehen Ungezählte zugrunde, gut, ihre Sache. Und wenn er gewinnt? Auch dann. Er aber ist dann reicher, als man sein darf. Zu großer Reichtum ist selten achtbar«, endigte Konsul West.
Der Dichter nickte um so verständnisvoller, je weniger er alles dies jemals bedacht hatte. Er bekundete aber, was er wirklich wußte:
»Jener Mensch ist ein Unglücklicher. Noch sehe ich ihn, schattendunkler als natürlich schien, in der Dämmerung den Gartenweg entlang kommen«, sagte er im Ton seiner griechischen Gesichte. Jetzt erhob er Stimme und Blick. »Das war die Miene des Unglücks schon. Das war schon der Morgen von Sedan.«
Die Offiziere nickten. Das Wort war eindrucksvoll, den Konsul überlief ein Schauder. Einen Augenblick vor einer Stunde oder mehr war er trotz allem in Versuchung gewesen!
Gabriele fühlte es traurig werden, ja, sie selbst hätte fast schon wieder jene drohenden Laute gehört, von den heiligen Frauen, die das Unglück suchen. Schnell übertönte sie alles, lachte hoch auf und fragte, warum man durchaus ernst sein wolle. »Dieser Tag war so heiter gewesen«, sagte sie bittend, damit ihre jungen Spielgefährten sich darauf besännen.
»Auch morgen ist wieder schönes Wetter und Frau Konsul lassen sich schaukeln«, verhieß der arme Kessel, schwermütiger als er selbst wußte. Nur der Dichter verstand ihn. Er ahnte einen demütigen und reinen Frauendienst, ihm ging von eigenen Erinnerungen das Herz auf. Kaum bedacht, schlug er an sein Glas, stand auf und sprach.
Er habe fremde Menschenart erfahren, viel Buntes, Wildes auf seinen Sängerfahrten. Blicke seien ihm eröffnet worden in die Abgründe violetter Meere und auch in Herzen, nicht weniger finster und stürmisch. Am Ende von allem aber wolle er allein noch seine Heimat kennen. Hier wirke Rechtlichkeit, heller Sinn, hier werde Maß gehalten, Gesundheit des Leibes und der Seele verbürge hier so Dauer wie Glück. Sie betrachteten ihn, sie wunderten sich, daß er es nicht in Versen sagte. Denn seine Augen leuchteten weihevoll, der Ton schwang sich hinan oder grollte. Freilich warf er den Kopf auch wie ein Schwan, sein blütenweißer Knebelbart stieg in die Luft, um seine Glatze tanzten vom Luftzug weiße Büschel. Im Grunde belächelten die Zuschauer ihn milde, nur wußten sie es selbst kaum bei ihrer Befangenheit. Sie blieben vor ihm befangen: sie dachten, weil er berühmt sei. Aber was ihre Geister ihm gefügig machte, saß tief, wie ein Glaube, der Glaube mehrerer Geschlechter an ihre Dichter.
Seine Rede inzwischen näherte sich ihnen, sie betrat dies Bürgerhaus selbst, atmete seinen Frieden, seine Zuversicht, sie ruhte in der Anmut grade dieser Frauen, und der Mut dieser Männer belebte sie. Dem Dichter ward das Auge feucht. Er verschmolz mit den Seinen, und sein waren alle, hier angefangen das Land auf und ab. Ihnen hatte er lange gesungen, ihnen schon vorzeiten ihr gemeinsames Schicksal gedeutet, vorhergesagt am Leibe Deutschlands die blutigen Einschnitte und den endlichen Sieg.
Der Sieg errungen, die deutsche Einheit heimgebracht, was blieb dem Alten übrig, als in die Hände der Jungen sein Amt zu legen. »Ich führte das Schwert wie ihr«, sagte er zu den jungen Kriegern ihm gegenüber. »Ich erhielt es so lange rein und stark, bis ihr den letzten Streich tatet.« Auch hierzu nickten die Offiziere.
Im stillen zweifelten sie, ob er nicht ein Wort zu viel sagte. Die Schlachten hatten sie allein geschlagen, beim Ernstfall hatte der Dichter immerhin gefehlt!
Er widerlegte ihre Gedanken auf der Stelle. Was war der Sieg – wenn nicht die Frucht und der Segen des Glaubens an unser Volk! Den Glauben hatte auch er selbst verbreitet. Ohne, daß für uns der Gedanke stritt, wo wären wir!
Jenes Schreckensbeispiel hatten wir vor Augen. Ein Krieg, den kein Geist und Dichter mitgekämpft hatte, nahm unserem geschlagenen Gegner sein Reich, er mußte den Weg des Elends ziehn.
»Ja, als Verbannter, verzweifelt schied er dahin am Anfang dieses Jahres!«
Hier horchten alle neu auf. Die Rede endete, bevor sie eine solche Höhe verlassen hätte. Der Trinkspruch umfaßte dies Haus, seine Herrin, die Freunde, die es hatte, besonders aber sein Land, das Land, das dem Hause Frieden und Wohlstand verbürgte. Er beschwor das Glück. Bleibe ihnen treu, o Glück, denn sie selbst, Haus und Land, sind treu.
Konsul West antwortete leicht, sogar witzig. Als er den Dichter stutzen sah, entschuldigte er sich. Wie hätte er nach einem solchen Redner noch aufstehen dürfen, außer um nichts zu sagen! Denn er war zum Sprechen vom Stuhl aufgestanden, damit nicht der Alte allein feierlich gewesen sei. Der Konsul trank auf den Ruhm. Er sagte, vollkommen ernst geworden, daß in der Welt, wie er sie kenne, das zugleich Geheimnisvollste und Glänzendste der Ruhm sei. Hier streckte er sein Glas dem Gast entgegen.
Blieb