Eugénie oder Die Bürgerzeit. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.
nichts. Nachsicht mit der Armen stimmte ihn um. Er war schon halb im Aufbruch gewesen. Jetzt blieb er noch, und Leutnant von Kühn stellte die Frage, die vorhin in ihrem Innern alle erhoben hatten.
»Ist Napoleon wirklich tot?«
Professor von Heines setzte sich wieder. »Der Kaiser starb diesen 9. Januar 1873 zu Chislehurst in England. Schon auf der Höhe seiner Macht hatte ein Unbekannter ihm das Haus eingerichtet, wenn er stürzte. Wirklich ist er dort gestorben. Aber Sie haben es vergessen. So wird auch der Ruhm vergessen«, sagte er nicht ohne Vorwurf zu dem Konsul, der aber die Achseln zuckte.
»Man erinnerte sich wirklich des Mannes kaum noch«, meinte der Konsul.
»Nur er selbst erinnerte sich an alles«, sagte Heines. »Zuletzt hielt er die Hand seines Arztes und stöhnte: ›Sie waren mit bei Sedan.‹«
Der Dichter beschattete die Stirn, als sähe er zuviel. »Der Sterbende«, sagte er, »gedachte nicht der Tuilerien, nicht der Feste, auch seiner Siege nicht. Wir sterben, und als letztes haftet in unserem Geist das Unglück.«
Dies überraschte. Man hörte nachträglich noch immer den Dichter seine unbegrenzte Verehrung des Glückes bekunden. Jetzt nannte er das Unglück mächtiger.
»Seine Frau war nicht im Zimmer«, sagte Gabriele. Es schien ihr die natürliche Erklärung.
»Doch. Sie war zugegen.«
Da wußte auch Gabriele keine Erklärung mehr. Professor von Heines berichtete, getragen, wie er von seinem Leben sprach:
»Einst trat ich als Gast vor das kaiserliche Paar in seiner Größe –«
»War es ein Maskenball?« rief Gabriele sogleich. »Was trug Eugénie? Nun? Wie schade. Ich hätte mir gewünscht, daß Sie uns neue Maskenkostüme beschrieben. Wir kennen nur immer dieselben.« Sie verzog den Mund. »Zigeunerin, Odaliske, was noch?«
Die anderen waren belustigt, gewiß durch Gabriele, aber auch über Heines. Nicht einmal die Griechinnen, die er doch geliebt hatte, konnte er in seinen Gesichten von Kopf bis Fuß beschreiben, – sie aber verlangte von ihm die Trachten des Pariser Hofes!
Er entschuldigte sich übrigens für seine Unwissenheit, denn er lobte die Fragende.
»Ihr eigener länglicher Gesichtsschnitt, Madame, ja, das Blond Ihrer Haare ist das Ihrer früheren Kaiserin, – die aber nicht Ihre großen Augen hat«, schloß er mit Verbeugung.
Der Konsul dagegen fragte, als sei ein großer Arzt zugegen:
»Ist sie so kindlich nur geblieben, weil sie von dort unten kommt? Hat es denselben Grund, daß ich ihr immer nur gute Nachrichten bringen darf?« fragte er über den Tisch gebeugt, hinter der Hand.
Der Dichter aber antwortete öffentlich. Er wandte sich geradezu an die Dame selbst.
»Ihre schöne Kaiserin, der Sie ähnlich sehen, war keine schlechte Natur. Sie war von Grund aus unschuldig, war nicht ohne Freundlichkeit. Selbst ihre Gefallsucht glich dem Wunsch, zu erfreuen. Freilich verwandelte die mächtige Stellung, die sie einnahm, all dies nur zu bald in Herrschsucht. Das Spiel mit wechselnden Masken begünstigte ihre Launenhaftigkeit. Um sie her verfielen die Sitten.«
»Hu!« machte Gabriele.
»Auch die Angelegenheiten des Staates hielt sie bald nur noch für ihr Kostüm und ihre Laune, ja, sogar bei höchster Gefahr. So wurde sie der böse Geist ihres Gatten.«
Alle stimmten zu, denn es war bekannt, Eugénie habe den Krieg gewollt.
Die Konsulin bewegte die Schultern wegwerfend. »Laßt doch den Krieg! Sie hat ihn verloren, eure Eugénie, wir haben ihn gewonnen. Jetzt stellt sie keine lebenden Bilder mehr, wir aber könnten sie stellen!« rief sie hocherfreut.
Man mußte lachen über so viel Unbelehrbarkeit, – auch Professor von Heines lachte. Zu ihrem Gatten sagte er, wie vor einer Person, die ihn nicht verstände:
»Hätten sie drüben den Krieg gewonnen, wäre sie jetzt Französin. So ist Ihre Frau. Sich selbst rechnet sie immer dorthin, wo das Glück ist.«
So kannte der Konsul sie, es machte ihm manchmal Bedenken. Um so leichter klang seine Antwort.
»Versuchen Sie mit ihr fertig zu werden, Herr Professor!«
»Wollen Sie es?« fragte Heines. »Verlangen Sie es geradezu? Dann passen Sie auf!«
Viertes Kapitel
»Ich sehe jemanden kommen«, sagte Professor von Heines, er spähte angelegentlich in den dunklen Garten. Man erschrak, wenn man ihm zusah.
»Schon wieder Herrn Pidohn?« fragte die junge Hausfrau.
»Nein, den toten Kaiser Napoleon«, sagte er, – und als sie aufschreien wollte, befahl er:
»Still! Sie selbst sind seine Gemahlin.«
»Ach so, Sie dichten«, bemerkte Gabriele mit Erleichterung.
»Sie treffen ihn nach der Niederlage bei Sedan.«
»Dann war es doch vielleicht unser Pidohn?« schlug der Konsul vor. »Denn das kaiserliche Paar ist sich nach Sedan nicht begegnet.«
Heines war aufgestanden. Er ging zuerst nur durch den Hintergrund des Zimmers. Allmählich drang er bis zur halboffenen Gartentür vor. Er schien die Nachtluft nicht mehr zu fühlen. Übrigens war sie warm und duftete. Der Dichter beschloß:
»Das tragische Paar wäre einzig und allein auf Schloß Wilhelmshöhe zusammenzuführen.«
Er rang es sich ab, selbst schon gespannt durch sein Wagnis.
»Eugénie gelangt bis zu dem Gefangenen nach Deutschland. Wie? Verkleidet? Mit falschen Pässen? Vielmehr, weil ein Mächtigerer sie begünstigt – sie benutzt für seine eigenen Pläne?«
Er hielt an und sann. Dies währte so lange, daß jemand, ohne es selbst zu merken, fragte:
»Wer mag das sein?«
Der Dichter beschloß:
»Es kann nur Kaiser Wilhelm sein.«
Den Namen hörten die beiden Offiziere und rückten sich gerade.
»Oder glauben Sie«, fragte der Dichter sie besonders, »daß Kaiser Wilhelm, was auch vorhergegangen sei, den andern gern stürzen sah? Auch dort hatte ein Thron gestanden.«
Er unterbrach sich. »Herr Leutnant von Kühn, Sie spielen Kaiser Wilhelm.«
»Zu Befehl«, rief Kühn, sprang auf und setzte sich wieder. Die Augen des alten Dichters blitzten, er schien eine Schlacht zu lenken. Man mußte gehorchen.
Die Konsulin sah alle nacheinander an. »Das wird ein Stück! Wir wollen ein Stück spielen!«
Sie klatschte in die Hände. Der Dichter hielt auf ihr seinen leuchtenden Blick an, sie nahm es für Tadel. Er fand aber grade bei ihrem Anblick, was er brauchte.
»Sie ist trotz allem Erlebten nicht bis in ihren Seelengrund ernst. Noch immer könnte die Unglückliche lachen. Sie fühlt sich in ihrem Herzen nach wie vor erhaben über das Unglück. In ihrem ersten Auftritt mit Napoleon behandelt sie nur ihn, nicht aber sich selbst wie das Opfer.«
»Sie hätte sogar gewollt«, bemerkte jemand, »daß er bei Sedan fiel.«
»Jetzt«, rief der Dichter, »weiß sie etwas Besseres. Ihn zurückzuführen nach Paris! Mit Hilfe des bisherigen Feindes die Revolution besiegen! ... Furchtbares, liebe Freunde –« der Dichter kam dem Tisch näher mit Schritten, deren jeder eine große Nachricht brachte, »Furchtbares bereitet sich vor. Eugénie tritt vor Wilhelm.«
»Geben Sie mir den Kaiser heraus!« rief Gabriele und sprang schon auf.
»Die Ehre des deutschen Namens verbietet es mir!« antwortete er begeistert.
»Ich will es. Einst fanden Sie mich liebenswürdig.«
»Sie