Winterwundernacht. Группа авторовЧитать онлайн книгу.
Kinderlein kommet“. Großvater las mit brüchiger Stimme die Weihnachtsgeschichte aus der Bibel vor. Wir Kinder taxierten die Geschenkestapel.
„Und jetzt die Geschenke!“, rief Nicole.
Onkel Bernd erhob sich und erklärte, an Weihnachten komme es nicht auf die Geschenke an, sondern auf Werte wie Frieden und Harmonie. Er stellte sich vor den Tannenbaum und zündete sich eine Zigarette an, wobei er, vermutlich um das Licht der Lichterkette zu nutzen, mit dem Feuerzeug nahe an den Tannenbaum heranging. Zu nahe.
Eine der kleinen Zündschnüre eines der kleinen Päckchen fing Feuer, glomm, mehr oder weniger unsichtbar.
Onkel Bernd erklärte, die Familie sei so unheimlich wichtig, und darum seien wir ja hier zusammen, in Eintracht und …
Da zischte es kurz, es gab einen kleinen Funkenregen und knallte: Das Päckchen, welches er gezündet hatte. Und dieses eine kleine Päckchen rief eine ungeheure Kettenreaktion hervor. Innerhalb kürzester Zeit zischte und knallte und funkte es am ganzen Baum, er schien regelrecht zu explodieren.
Onkel Bernd sprang zur Seite, die Tanten kreischten, meine Oma schrie nach Wasser.
Mein Vater raste los und kam mit einem Wassereimer wieder, den er über dem Tannenbaum ausleerte. Es gab einen Knall, dann war es dunkel im Haus.
„Oh“, machte meine Mutter.
„Kurzschluss“, knurrte Onkel Bernd. „Die elektrische Lichterkette.“
Dann holte er seinen Autoschlüssel hervor, an dem er eine kleine Taschenlampe hatte, und leuchtete meinem Vater den Weg zum Sicherungskasten. Bald war der Schaden behoben. Die Frauen trockneten den Boden unterm Tannenbaum, wir Kinder sahen mit großen Augen zu.
Na ja, das Fest ging eigentlich ganz nett weiter. Mein Vater meinte, Onkel Bernd sei zwar ein Ekel, aber man könne mit ihm auskommen. Tante Käthe erklärte, wir Kinder seien zwar ungezogen, aber eigentlich lieb.
Wir zankten uns ein bisschen, packten unsere Geschenke aus und vertrugen uns wieder.
Aber am Abend, da hörte ich meine Oma zu meinem Opa sagen, das nächste Mal feierten sie Weihnachten wieder alleine. In Ruhe und Frieden. Und das will ich auch hoffen.
INKEN WEIAND
Zoff im heiligen Stall
Es gibt riesengroße Krippen. Ich hörte von einer Krippe in Südamerika, deren Figuren über 40 Meter groß sein sollen. Auch soll es irgendwo eine Krippenlandschaft geben, deren Fläche 25 000 Quadratmeter umfasst.
Die Krippe der Peter-und-Paul-Kirche in Niederauerbach ist nicht so groß. Aber offensichtlich sehr arbeitsintensiv. Zumindest behauptet das der Herr Küster, der Hausmeister dieser beschaulichen alten Kirche. Er sagt, dass die Wochen zwischen dem Ewigkeitssonntag und dem Dreikönigstag die schlimmsten des ganzen Jahres sind. Nach diesen Wochen fühlt er sich jedesmal vollkommen ausgelaugt und überarbeitet. Und jedes Jahr jammert er seiner Frau die Ohren voll. Die zeigt sich stets verständnisvoll, denn die Krippenfiguren der Peter-und-Paul-Kirche in Niederauerbach sind tatsächlich ein wenig unhandlich. Sie sind aus massivem Erlenholz geschnitzt, tragen edle Gewänder aus schweren Stoffen und sind fast so groß wie erwachsene Menschen. Außer natürlich das Jesuskind. Das ist so groß wie ein Baby.
Jedes Jahr lässt der Küster die Figuren einzeln mit Hilfe eines Flaschenzugs an der Außenwand des Glockenturms hinab. Unten zerrt er sie nacheinander auf eine Sackkarre und schiebt sie in den Altarraum. Auch wenn das anstrengend ist und der Herr Küster jedes Mal vom Auf- und Abbau einen gewaltigen Muskelkater am ganzen Körper bekommt, ist diese Arbeit an einem Tag erledigt. Aber das ist nicht der Grund, warum er immer so fertig ist.
Was dem armen Herrn Küster jedes Jahr aufs Neue zu schaffen macht, ist der Umstand, dass die Figuren nicht dort bleiben, wo er sie abstellt. Jeden Morgen stehen ein paar von ihnen ein wenig anders als am Abend zuvor. Auch der Ausdruck ihrer Gesichter scheint sich zu verändern. Da der Küster aber nicht für verrückt gehalten werden will, sagt er niemandem etwas von seinen verstörenden Beobachtungen. Auch nicht seiner lieben Frau.
Als der Küster noch ein paar Jahre jünger war, hatte er versucht herauszufinden, was die Figuren nachts so trieben. Aber immer, wenn er sich ins Kirchenschiff schlich oder von außen durch eines der bunten Fenster spähte, taten die Figuren nichts. Rein gar nichts.
Wenn der Herr Küster über die bei Menschen absolut nicht vorhandene Gabe verfügt hätte, sich unsichtbar zu machen, hätte er sofort herausgefunden, was die Figuren nachts taten; sie schliefen nicht. Schlafen taten sie immer vom Dreikönigsfest im Januar bis zum Ewigkeitssonntag Ende November, wenn sie in Stroh verpackt, im Raum direkt unter den Kirchenglocken, auf ihren nächsten Einsatz warteten. Selbst das regelmäßige Glockengebimmel konnte sie dann nicht wecken. In den langen Nächten der Advents- und Weihnachtszeit hingegen, wenn kein Mensch sich mehr im Inneren der Kirche aufhielt, taten sie alles andere als schlafen.
Eines Nachts, der vierte Advent war bereits vergangen, geschah Folgendes:
Maria, eine zarte Frauengestalt mit edlen Gesichtszügen, die andächtig mit gefalteten Händen vor der Krippe kniete, ließ den Kopf kreisen, um ihren steifen Nacken zu lockern. Dabei sagte sie mit einer sanften Stimme: „Verflixt, meine Knie, mein Rücken, alles tut weh.“
„Jammer nicht!“, sagte Josef daraufhin.
„Ja, du kannst zufrieden sein mit deiner entspannten Pose. Du darfst schließlich stehen“, schimpfte Maria.
„Ich muss die ganze Zeit diese blöde Laterne hoch halten, weißt du, wie das in die Arme geht?“, fragte Josef vorwurfsvoll.
„Hast du sie deshalb heute Morgen in die andere Hand genommen?“, fragte das Jesuskind.
„Ja!“, sagte Josef.
„Das war blöd“, stellte der kleine Jesus fest. „Sie hat mir den ganzen Tag direkt in die Augen gestrahlt.“
„Ab und zu muss ich mal wechseln“, beharrte Josef, „es sieht ziemlich peinlich aus, wenn der rechte Arm aussieht wie der eines Gewichthebers und der linke wie der eines Schwächlings. Immerhin verkörpere ich einen Zimmermann.“
Maria zog sich ächzend am Rand der Krippe hoch, rieb ihre Knie und schüttelte ihre Arme und Beine. Der Hirte nahm das Lämmchen, welches er tagsüber ununterbrochen auf seinen Schultern trug, herunter, und es flitzte blökend durch das Kirchenschiff. Und auch die drei Weisen aus dem Morgenlande legten die Geschenke für das Jesuskind aus den Händen, lockerten die steifen Glieder und machten es sich auf der vordersten Kirchenbank bequem.
Jesus hatte den Kopf gehoben und sah streng in die Runde.
„Morgen früh muss das ein bisschen besser klappen mit euren Posen. Der Herr Küster ist heute ganz blass um die Nase geworden, als er uns gesehen hat. Das gilt besonders für dich, Gabriel!“
„Pfff“, machte Gabriel, der Verkündigungsengel, der, im Gegensatz zu seinem Verhalten, sehr würdevoll aussah.
„Was heißt hier, Pfff’“, schimpfte Jesus. „Wir sind nicht hier, um die Menschen in den Wahnsinn zu treiben!“
„Warum spielst ausgerechnet du Baby dich hier so auf?“, fragte Gabriel. „Sei still, wenn erwachsene Figuren reden!“
„Ich bin hier die Hauptfigur und deshalb bin ich auch nicht still“, quakte das Jesuskind.
Das machte Gabriel sauer. „Im Gegensatz zu mir liegst du Tag und Nacht bequem im Stroh. Ich steh mir die Beine in den Bauch. Meine Arme brechen fast ab, und dann muss ich auch