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Arabidopsis – ein Leben ist nicht genug. Gottfried ZurbrüggЧитать онлайн книгу.

Arabidopsis – ein Leben ist nicht genug - Gottfried Zurbrügg


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Es war eine lange Liste von neuen Eigenschaften, die man dieser kleinen, unscheinbaren Pflanze gegeben hatte. Arabidopsis konnte nun Kunststoff herstellen, Minen anzeigen, neue Wirkstoffe produzieren und langwierige Tests verkürzen. Scherrer sah die Nachrichten gelangweilt durch. So viele Universitäten arbeiten mit der gleichen Pflanze, dachte er. Die Ackerschmalwand, Arabidopsis thaliana, war wohl auch die geeignete Pflanze dafür. Das enorm kleine Genom machte sie so wunderbar manipulierbar.

      Plötzlich erschien eine Nachricht auf dem Display und unterbrach die Arbeit. Scherrer klickte sie weg, aber sofort war die Nachricht wieder da. Ärgerlich versuchte er das Handy auszuschalten. Anne Neidhardt und Sybille Walter verfolgten gespannt, wie Scherrer sich bemühte. Aber das Handy war nicht auszuschalten.

      „Was ist die wichtigste Frage in Ihrem Leben?“

      Eine Sekte?, dachte Scherrer amüsiert. Ausgerechnet bei mir? Vergeblich bemühte er sich, die Schrift zu löschen. „Drücken Sie auf Okay“, mahnte das Display. Weil alles andere vergeblich war, gab Scherrer nach. Sofort verschwand die Nachricht und Bilder erschienen. Ein Computerspiel?, fragte sich Scherrer interessiert. Aber die Bilder, die dort liefen, waren seine Bilder. Erinnerungen aus längst vergangenen Tagen tauchten auf. Er und Nubi, sein ägyptischer Freund, gemeinsam in der Wüste, im Sandsturm, ein Sarkophag auf einem Jeep, eine wilde Verfolgungsjagd. Beduinen auf weißen Pferden jagten dem Auto nach, das in Höchstgeschwindigkeit durch die Wüste fuhr. Schüsse fielen. Zum Glück trafen sie nicht. Dann hüllte eine Staubwolke Verfolger und Verfolgte ein. Scherrer erinnerte sich. Das war die wildeste Jagd, die er je erlebt hatte. Und trotzdem hatten sie es geschafft, den Sarkophag aus der Wüste nach Tübingen zu bringen.

      Das Gesicht der Göttin Hathor füllte den Bildschirm aus. Sie schien ihn anzusehen und ihm zuzuzwinkern. Dann verschwand Hathors Bildnis und der Eingang zu einem Grab erschien. Die Kamera lief den langen Gang hinunter, zeigte das Innere der leeren Grabkammer und leuchtete die Kammer aus. An den Wänden erkannte Scherrer Szenen aus dem ägyptischen Totenbuch. Die Seele des Pharao stand vor ihrem Richter. Auf der Waage lag das zitternde Herz des Menschen. Im Hintergrund wartete ein gieriges Krokodil auf das Urteil. „Möge dein Herz nicht schwerer sein als eine Feder“, murmelte Scherrer und sah gebannt weiter auf das Display.

      Die Kamera wandte sich einer Scheintür zu und blieb stehen. Ganz groß zeigte sie das Bild der geheimnisvollen Tür, die in jedem ägyptischen Grab aufgemalt war. Aber alle bisherigen Forschungen hatten gezeigt, dass sich nichts dahinter befand. Es war nie eine reale Tür und doch war sie so realistisch gemalt und wohl auch gemeint. „Möchten Sie weiter, dann klicken Sie Okay“, meldete das Display.

      Scherrer sah wie gebannt auf die Scheintür. Alle Fragen, die ihn unterschwellig beschäftigt hatten, waren plötzlich wieder da. Gab es einen anderen Weg als den Schritt durch diese geheimnisvolle Tür? Mit Bohrwerkzeugen konnte man der Lösung des Problems nicht näher kommen, das wusste Scherrer recht gut. Aber vielleicht kam man auf anderem Wege der Lösung näher. Deshalb hatte er damals den Sarkophag von den Beduinen gekauft und die wilde Verfolgungsjagd riskiert. Deshalb war er all die Jahre immer wieder in Ägypten gewesen und hatte Kunstgegenstände mitgenommen. Seine Sammlung war berühmt geworden, aber sie hatte auch keine Antwort gebracht. Seine brennende Frage: „Gibt es keine Möglichkeit, dem Tode zu entrinnen?“, hatte ihn nie losgelassen.

      Nun sah er die Tür wieder vor sich und die Lösung schien so nahe. Wie magisch zog ihn das kleine Feld auf dem Bildschirm an. Er holte die Pfeilspitze auf das „Okay“ und drückte. Sofort verschwand alles vom Bildschirm und eine tiefschwarze Fläche sah ihn an.

      „Herr Professor, wir müssen hier aussteigen“, sagte Anne Neidhardt und schüttelte ihren braunen Wuschelkopf.

      Scherrer sah irritiert auf. Über dem Display hatte er die rumpelnde Straßenbahn und die Fahrgäste völlig vergessen. „Natürlich“, sagte er. „Natürlich! Vielen Dank, Frau Neidhardt.“

      Er ging mit den anderen Fahrgästen zur Tür und stieg aus. Dabei wirkte er etwas benommen und Anne fragte sich, ob sie ihm noch einmal Hilfe anbieten sollte. Aber dann wollte sie nicht aufdringlich sein und reihte sich in den Strom der Studenten ein, die zur Universität gingen.

      Sybille sah dem Herrn Professor aus dem Fenster der Straßenbahn nach. Immer noch ein faszinierender Mann, dachte sie. Ich möchte wissen, warum er hier in Karlsruhe ist, der ist doch einer von den ganz Großen.

      Scherrer ging zu seinem Institut. Bis auf die seltsame Unterbrechung in der Straßenbahn begann der Tag wie gewohnt. Scherrer hatte es eilig, in sein Büro zu kommen. Hatte sich jemand in seinen Computer eingeloggt und war deshalb die Liste der E-Mails auf dem Handy erschienen? Scherrer war erleichtert, als er die grünen Türen zu seinem Institut aufschloss und alles wie gewohnt vorfand. Anneliese, seine Sekretärin, saß noch nicht an ihrem Platz, aber auch das war ihm heute Morgen recht, denn so konnte er gleich seinen Computer anschalten. Auf dem Computer erschien aber kein Bild. Die gleiche schwarze Fläche sah ihn an, die ihn auch schon in der Straßenbahn auf dem Display seines Handys so erschreckt hatte.

      „Nichts?“, fragte sich Scherrer irritiert. „Oder kann ich nur nicht sehen, weil meine Augen an das Licht gewöhnt sind?“

      „So ist es“, sagte eine Stimme hinter ihm.

      Erschreckt drehte sich Scherrer um: „Wer sind Sie? Woher kommen Sie? Was tun Sie hier?“

      „So viele Fragen auf einmal und doch nur eine einzige Frage“, sagte der Mann im weißen Kittel, der in seinem Büro stand. „Ich bin Ihr neuer Mitarbeiter!“

      „Was tun Sie in meinem Büro?“

      „Ich möchte mich vorstellen.“

      „Aber ich habe niemanden angefordert. Sie wissen sicher auch, dass die Mittel sehr begrenzt sind.“

      „Es war Zeit, zu kommen, deshalb konnte ich mich nicht anmelden, was mir sehr leidtut. Mein Name ist Meyer. Ein ganz gewöhnlicher Name und doch mit einer Besonderheit, „ey“. Etwas Besonderes muss unsere Bekanntschaft schon haben.“

      „Was wollen Sie? Haben Sie nicht das Schild an der Tür gelesen?“

      „Doch, Professor Dr. Dr. Scherrer. Das heißt: Dr. rer nat und Dr. phil mit dem Spezialgebiet Ägyptologie. Sprechstunde nur nach Voranmeldung.“

      „Woher wissen Sie das?“, fragte Scherrer.

      „Was?“

      „Den Doktor der Ägyptologie.“

      „Ihre Arbeiten über das Totenbuch der Ägypter sind bemerkenswert.“

      „Aber sie sind in der Bibliothek und nicht allgemein zugänglich.“

      „Es gibt Wege, sich zu informieren“, lachte Meyer. „Jetzt enttäuschen Sie mich, Herr Professor.“

      Scherrer sah seinen Gesprächspartner ungehalten an. Das Gespräch lief nicht nach seinen Wünschen. „Was wollen Sie?“

      „Ich bin Ihr neuer Mitarbeiter. Die Forschungen …“

      „Was wissen Sie von unseren Forschungen? Wir hatten strengste Geheimhaltungsstufen in Tübingen“, unterbrach ihn Scherrer heftig.

      Meyer sah ihn mit schwarzen, unergründlichen Augen an. „Ihre veröffentlichten Arbeiten habe ich gelesen, und ich sagte schon, dass es verschiedene Wege gibt, Informationen einzuholen. Es ist Zeit, dass ich mit Ihnen persönlich zusammenarbeite.“

      „Sind Sie schon länger in der Gentechnik tätig?“, fragte Scherrer. „Nehmen Sie doch Platz!“

      Meyer setzte sich in den Sessel vor dem Schreibtisch und sah Scherrer unverwandt an. Der durchdringende Blick seines neuen Mitarbeiters ließ ihn stiller werden. Ich kann mich gegen ihn nicht wehren. Ich brauche ihn, und weiß nicht warum, dachte Scherrer.

      „Sie brauchen mich“, sagte Meyer und lächelte, „weil Sie ein Forschungsgebiet betreten, das neue Dimensionen erschließt.“

      Was weiß er wirklich?, überlegte Scherrer.

      Ein Kratzen im Hals rief einen Hustenanfall hervor, wie er ihn bisher noch


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