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Arabidopsis – ein Leben ist nicht genug. Gottfried ZurbrüggЧитать онлайн книгу.

Arabidopsis – ein Leben ist nicht genug - Gottfried Zurbrügg


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Luft bekam. „Dort, dort!“ Er zeigte auf die kleine Sprayflasche, die unerreichbar für ihn auf dem Schreibtisch stand. Gelassen stand Meyer auf, nahm das Spray, kam zu ihm, nahm seinen Kopf, beugte ihn nach hinten, öffnete mit geschicktem Griff den verkrampften Mund und sprühte die Flüssigkeit hinein. Sofort ließ der Husten nach. Scherrer holte tief Luft und atmete freier. Die Nebel verzogen sich. Er sah nach Meyer. „Danke, dass Sie mir geholfen haben. Sie kennen sich aber aus! Sind Sie auch Arzt?“

      „Könnte man fast meinen“, bestätigte Meyer. „Ich habe neben dem genetischen Fach auch medizinische Seminare besucht. Wer sich mit dem Tod beschäftigt, muss viele Kenntnisse haben.“

      „Sie beschäftigen sich mit dem Tod?“, fragte Scherrer.

      „So wie Sie“, sagte Meyer. „Seit ich ihm begegnet bin, kommt er mir nicht mehr aus dem Sinn. Ich fühle mich ihm nahe und ich glaube, dass wir mit der modernen Forschung die Möglichkeit haben, ihn zu entschlüsseln.“

      „Glauben Sie?“, fragte Scherrer. „Glauben Sie wirklich?“

      „Professor Scherrer“, sagte Meyer. „Erinnern Sie sich an Ihren Aufenthalt in Ägypten?“

      Plötzlich war Scherrer wieder dort. Ein Sandsturm tobte mitten in der Wüste. Der Staub legte sich auf alles. Eine feine, gelbe Schicht überzog die Windschutzscheibe des Jeeps. Vergeblich versuchten die Scheibenwischer gegen den Staub anzukommen. Nubi, sein Freund und Geschäftsmann aus Luxor, kannte die Wüste wie kein Zweiter, aber in diesem Sturm war jede Orientierung unmöglich. Feiner gelber Staub legte sich auch auf den Sarkophag, der auf der Ladefläche des Kleinlasters stand, als wolle die Wüste ihr Eigentum zurückholen. Scherrer öffnete das Seitenfenster, um mit der Hand die Windschutzscheibe zu reinigen. Sofort breitete sich der Staub auch im Innenraum des Autos aus. Entsetzt drehte er die Scheibe hoch.

      „Wir müssen anhalten, Scherrer“, sagte Nubi. „Wir haben keine Chance mehr weiterzukommen. Gebe Allah, dass der Sandsturm sich bald legt.“

      „Was ist, wenn sie uns einholen?“, fragte Scherrer.

      Nubi drehte sich um, wickelte den Turban langsam vom Kopf und sah den jungen Wissenschaftler lächelnd an. „In dem Falle gnade uns Gott. Du kennst die Beduinen nicht.“

      Scherrer versuchte aus dem Fenster zu sehen, aber der feine Staub machte jede Sicht unmöglich. „Warum haben sie uns den Sarkophag verkauft, wenn sie uns nun verfolgen, um ihn uns wieder abzunehmen?“, fragte er.

      Nubi nahm die Hände vom Lenkrad und bückte sich nach vorne, um eine Flasche Wasser aus dem Handschuhfach zu nehmen. Er hielt sie Scherrer hin. „Trink, mein Freund! Deine Lungen sind den Staub nicht gewöhnt. Er könnte dir schaden.“

      Scherrer nahm die Flasche, öffnete sie und hielt sie hoch wie ein Weinglas. „Auf unsere Freundschaft. Möge sie ein Leben lang so ungetrübt wie dieses Wasser sein.“

      Nubi lachte. „Du wählst einen guten Trinkspruch. Klares Wasser ist die größte Kostbarkeit in der Wüste. Unsere Freundschaft ist auch für mich eine Kostbarkeit, sonst hätte ich mich auf dieses Abenteuer nicht eingelassen.“

      Scherrer genoss das klare Wasser und reichte seinem Freund die Flasche zurück. „Der Sturm wird unsere Spuren auch für den besten Fährtensucher verwischen.“

      „Auch die Straße“, ergänzte Nubi. „Uns bleiben nur die Sterne, wenn der Sturm bis zur Nacht abflaut. Der Sirius wird dann unser Leitstern sein. Wenn wir Luxor erreichen, sind wir in Sicherheit. Der weitere Transport ist dann kein Problem.“

      „Warum verfolgen uns die Beduinen?“, wiederholte Scherrer seine Frage. „Haben sie nicht ein gutes Geschäft gemacht?“

      „Du kennst die Beduinen nicht“, sagte Nubi. „Sie sind Kinder der Wüste, aber auch Nachfahren der Pharaonen. Jedenfalls empfinden sie sich so. Wenn sie Geld sehen, verfallen sie ihm wie wir alle, aber wenn sie wieder allein mit der Wüste sind, dann hören sie tausendfach Vorwürfe. Der Sand, die Ruinen, die Zelte wispern: ‚Was habt ihr getan? Sie sind eure Feinde! Sie haben euch betrogen! Der Geist des Pharao wird euch verfolgen!‘ Dann erwachen wieder die Gefühle für das Land, für die Tradition. Dann wird der Fremde zum Grabräuber, den man verfolgt und tötet.“

      „Sind sie nicht selber seit Jahrtausenden Grabräuber? Es gibt kaum eine Grabstätte, die nicht ausgeraubt wurde!“, regte sich Scherrer auf. „Diesen Widerspruch verstehe ich nicht!“

      „Sie holen das Gold aus dem Wüstensand, weil es sie lockt, weil es ein einfaches Leben verspricht, mein Freund. Menschen sind so. Zwischen religiösen Ansprüchen und der Wirklichkeit liegen auch bei euch Welten, oder?“, sagte Nubi.

      Scherrer nickte. „Das ist leider wahr. Aber der Sarkophag von Ammenemes VII wurde doch nie benutzt.“

      „Nein, dieser Ammenemes ist unbekannt. Trotzdem glaube ich, dass der Sarkophag echt ist. Wenn ein Pharao den Thron bestieg, begannen die Arbeiter mit den Vorbereitungen für sein Grab. Unsterblichkeit zu erreichen, die ewige Vereinigung mit Isis als Osiris, das war das wichtigste Lebensziel für den Pharao. Nur, wenn er mit allen verfügbaren Mitteln daran arbeitete und arbeiten ließ, war es vielleicht möglich, die Unsterblichkeit zu erlangen.“

      „Ewige Jugend und Unsterblichkeit“, sagte Scherrer, „der uralte Menschheitstraum.“

      „Du verwechselst da etwas“, sagte Nubi. „Unsterblichkeit ist ein Platz bei den Göttern und bedeutet nicht ewige Jugend sondern eher ein Aussteigen aus dem ewigen Kreislauf von Geborenwerden und Sterben. Aber jetzt lass uns schlafen. Hörst du den Sturm? Wir können nichts tun, aber nachher brauchen wir die volle Konzentration. Also jetzt keine unnützen Diskussionen mehr!“

      Nubi drehte den Sitz hinunter und schloss die Augen. Der treibende Sand schliff am Lack des Autos, der Wind heulte um die Karosserie ein eintöniges Lied. Scherrer gab der Müdigkeit nach.

      Stunden später hörte das gleichmäßige Schleifen auf und plötzlich umgab sie atemlose Stille. Die Stille ließ sie erwachen.

      „Wir müssen raus“, sagte Nubi. Er versuchte die Fahrertür zu öffnen. Der Wüstensand hatte eine hohe Barriere angehäuft. Nubi bekam die Tür gerade weit genug auf, um sich hinauszwängen zu können. Scherrer folgte ihm. Der Staub hatte sich gelegt, kein Windhauch wehte mehr. Rund um sie herum lag dicht der gelbe Sand. Der Jeep war weitgehend zugeweht, aber auch ihre Spuren. Von der Straße war nichts mehr zu sehen.

      „Es wird Nacht“, sagte Scherrer. „Wie du es vorausgesehen hast. Die Sterne gehen auf.“

      Nubi zeigte auf den hellsten Stern am Himmel. „Sieh dort den Sirius! Er wird uns sicher nach Hause leiten. Graben wir den Wagen aus!“

      Gemeinsam schaufelten die Männer den gelben Sand zur Seite. Nubi startete den Wagen und war erleichtert, als er problemlos ansprang. Scherrer band die Sandleitern vom Dach, legte sie vor die Räder und der Jeep rollte über sie auf festeren Boden.

      „Fahren wir los“, sagte Nubi. „Man wartet auf uns.“

      Scherrer schaute aus dem Fenster und versuchte die Straße auszumachen. „Wonach orientierst du dich?“, fragte er den Freund.

      „Nach dem Gefühl. In der Wüste musst du ein Gespür für den richtigen Weg haben. Das Ruckeln des Wagens, das Geräusch der Reifen, all das sagt dir, ob du auf festem Boden bist.“

      „Allein wäre ich verloren“, erkannte Scherrer.

      „Du bist kein Kind der Wüste“, sagte Nubi. „Du bist ein Träumer. Auf der Jagd nach einem ganz großen Traum. Du sehnst dich nach Unsterblichkeit. Wie kommst du nur auf solche Gedanken?“

      Scherrer sah in die Dunkelheit hinaus. Die Sterne leuchteten so klar wie nie über Tübingen. „Vielleicht möchte ich nicht Unsterblichkeit, sondern eher den Augenblick festhalten“, sagte er.

      „Werd ich zum Augenblicke sagen, verweile doch, du bist so schön?“, zitierte Nubi. „Faust?“, fragte er.

      „Vielleicht auch Faust. Es ist die Sehnsucht nach dem Leben und nicht die Angst vor


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