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Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy - Heinrich Mann


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unter seiner verjährten Untreue. Sie war schwach und launisch, und ich ertrug ihre Launen mit einer krankhaften Bereitwilligkeit. Kaum war sie gestorben, so heiratete ich einen schwindsüchtigen Engländer, ich hätte sonst das Leiden in meiner Nähe entbehrt.«

      »So gerne leiden Sie?«

      »Für jemand zu sorgen und zu dulden, ist mir unglücklicherweise ein Bedürfnis, dessen ich mich schäme.«

      »Und Sie selbst, Contessa, Sie möchten nicht in die Arme genommen und getröstet werden?«

      »Wenn ich mich nach einer Vergeltung meines Mitleids sehnte, wäre es dann noch etwas wert?«

      »Sie haben recht. Und so haben Sie also gelebt?«

      »Mein Mann, der Schriftsteller war, konnte wenig mehr arbeiten. Er lehrte mich diesen Erwerb, und ich schrieb als Contessa Blà anfangs Modebriefe, dann Plaudereien, schließlich sogar Politik, ich weiß nicht, warum mit katholischem Anstrich. Man sucht sich seinen Geist nicht immer selbst aus. Der Kardinal fördert gern Talente, er gibt mir jeden Mittwoch eine Portion Gefrorenes oder eine Tasse Tee, und wenn ich darum bäte, würde er mir anstandslos beides gleichzeitig verabfolgen.«

      Wie sie ankamen, äußerte die Herzogin lächelnd:

      »Wir sprechen miteinander, als ob wir uns liebhätten.«

      »Gleich in den ersten Minuten unseres heutigen Abends sind Sie mir lieb geworden«, erwiderte die Blà.

      »Wie ist es gekommen?«

      »Weil Sie lachten, Herzogin, weil Sie nach allem, was Ihnen begegnet ist, noch lachen konnten über die heuchlerischen, wichtigen Gebärden und Mienen der Bürger.«

      »Jetzt verraten Sie mir noch, was Sie mit ›Bürgern‹ meinen.«

      »So nenne ich alle, die häßlich empfinden und ihre häßlichen Empfindungen obendrein lügenhaft ausdrücken.«

      »Sie wollen mich liebhaben, das macht mir wahre Freude.«

      »Hoffentlich wird es Ihnen niemals Kummer machen. Von mir geliebt zu werden, ist ein fragwürdiger Vorzug. Bis jetzt haben eine leidende Grillenfängerin ihn genossen und ein englischer Phthisiker.«

      Noch in ihrer Gartenpforte, zwischen den beiden zueinander geneigten Zypressen, wiederholte die Herzogin:

      »Wir wollen recht oft einander sehen.«

      Sie empfing den Besuch des Monsignor Tamburini, der ihr sagte:

      »Der Kardinal ist von der Ankunft Eurer Hoheit ganz entzückt.«

      »Ich danke Seiner Eminenz aufrichtig.«

      »Er unterhält jeden, der zu ihm kommt, von der berückenden Persönlichkeit der Herzogin von Assy. Ja, Herzogin, er ist begeistert von Ihnen und Ihrer Sache.«

      »Begeistert?«

      »Und wie sollte er es nicht sein? Eine so edle Frau und eine so große Angelegenheit! Die Freiheit eines Volkes! Dafür hegt der Kardinal das wärmste Mitgefühl. Er betet für Sie.«

      »Betet?«

      »Und auch ich bete«, fügte er hinzu und gab sich Mühe, sein Organ des weltlichen Fettes zu entkleiden.

      Sie verstummte. ›Er sagt stärkere Unwahrheiten‹, dachte sie, ›als die Höflichkeit ihm vorschreibt. Warum?‹ Er rechtfertigte sich:

      »Die Kirche begünstigt bekanntlich jede Art werktätiger Liebe, und wie viele schöne Gesinnungen treten hier in den Dienst eines unglücklichen, von Tyrannei und Armut darniedergedrückten Volkes. Sie, Frau Herzogin, sind die hehre Liebe selbst. Uneigennützige Gotteskämpfer wie der Marquis von San Bacco tragen das Feuer ihres Mutes herzu. Und darf der christliche Priester fehlen, wo Staatsmänner wie Pavic und Finanzleute wie Rustschuk eine wahrhaft biblische Gesinnung hegen? Sind sie doch klug wie die Schlangen und unschuldig wie die Tauben.«

      »Besonders Rustschuk«, meinte sie, ohne das Gesicht zu verziehen.

      »Rustschuk ist ein hochbedeutender Mann! Wir verfolgen seine Tätigkeit seit langem. Das Übergewicht, das ihm seine Geschicklichkeit unter den Kapitalisten des südöstlichen Europa verschafft hat, beschäftigt uns.«

      »Also so wichtig ist mein Hausjud?«

      »Hoheit! Ohne ihn oder gar gegen ihn ist in Dalmatien nichts auszurichten. Bedenken Sie, all das Geld!«

      Er wiederholte aus vollen Backen:

      »All das Geld! ... Wer wirken und herrschen will unter den Menschen, braucht Mut, Klugheit und Geld: diese drei. Das Geld ist aber das höchste unter ihnen.«

      »Monsignore, jetzt vergessen Sie die Liebe!«

      ›Eben war er ehrlich‹, sagte sie sich und hörte ihn wieder süß werden. Er schwelgte in den seelischen Reizen einer großen Dame, die, noch im jugendlichen Alter, den Eitelkeiten der Welt den Rücken wendet.

      »Standen Sie nicht in der Fülle alles Glanzes, den eine vornehme Geburt, Reichtum, Schönheit und Anmut verleihen? Sie aber, Frau Herzogin, erachteten das alles für nichts. Noch in sehr jugendlichem Alter entsagten Sie und wurden Mutter, Trösterin und Fürsprecherin der Witwen, Verlassenen, Waisen und Bedrückten, der Darbenden und Hilflosen ... Speiserin und Stillerin der Hungernden und Dürstenden, Schwester der Siechen ...«

      Er nannte alle Zustände des menschlichen Elends, die ihm einfielen, und alle evangelischen Tugenden, zu denen sie Gelegenheit gaben. Seine Finger mit quadratischen Nägeln hoben und senkten sich nachzählend auf seinem schwarzen Gewande. Endlich hatte er seine Gefühle genügend aufgemuntert, um auszurufen:

      »Am Krankenbett der Menschheit stehen Sie, Frau Herzogin, als dienende Magd, in der Glorie christlicher Demut!« Sie fand sich angewidert:

      »Ich bin weniger demütig, als Sie glauben. Auch handle ich ohne Vorschrift, also unfromm.«

      Er sah sie an, mit offenem Munde und stockendem Verständnis. Doch faßte er sich gleich.

      »Daher Ihre Prüfungen!« erklärte er triumphierend.

      »Sie tun viel Lobenswertes, ich leugne es nicht. Aber Sie tun es ohne den rechten Glauben. Und Gott sieht auf das Herz allein. Erkennen Sie dies, solange es noch Zeit ist!«

      Staunend hörte sie ihn in einen barschen, landläufigen Predigerton verfallen.

      ›Er ist ein Bauer‹, bemerkte sie im stillen. ›Man kratze den Prälaten, und zum Vorschein kommt ein Landpfarrer.‹

      »Noch hat er Sie nicht verworfen, denn er ist überaus langmütig. Verbannung, Armut, Verlassenheit sind seine sanften Lockungen, daß Sie ihm folgen sollen. Folgen Sie ihm! Unterwerfen Sie sich der Gnade! Tun Sie es schon aus Klugheit! Sie sollen sehen, wie Ihnen dann alles gelingt! Ein wie reicher Lohn winkt Ihnen alsdann!«

      Sie warf dazwischen:

      »Wer hat ein Recht, mich zu belohnen?«

      Doch überhörte er es. Er sang jetzt und wimmerte und warb in der schulmäßigen Abstufung und unter der mimischen Begleitung, die ihn für seinen Beruf gelehrt war. Sie kannte Tamburini kaum noch. Seine Augen rollten aus schiefem Kopf verdreht und weiß zur Decke. Seinem sehr irdischen, noch kürzlich mit guten, gehaltvollen Speisen angefüllten Leibe entstieg eine völlig unvorhergesehene Verzückung. Auf die Dauer erfaßte sie bei seinem Anblick eine Art Scham und etwas wie Verschüchterung. Sie folgte seinen Blicken: dort oben hing eine Muttergottes, ältlich, mit grellblauem, weit ausgebreitetem Mantel. Fromme Frauen und Heilige knieten verkleinert darunter, gleich untergekrochenen Küchlein.

      »Sub tuum praesidium refugimus!« rief Tamburini aus, und die Herzogin mußte zugeben, er habe die begleitenden Umstände für sich. Die häßliche dunkelgrüne Tapete mit ihrem leisen Weihrauchduft, die schwarzen, vom Gebrauch geglätteten Möbel, die zusammengestoßen nur noch gedämpft rumpelten – alle die dumpfen Erinnerungen in den geschlossenen Zimmerchen dieser Priesterwohnung berechtigten seine Aufführung. ›Er ist an seinem Platze‹, sagte sie sich. ›Ich weniger.‹


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