Rettungskreuzer Ikarus 11 - 20: Verschollen im Nexoversum (und 9 weitere Romane). Sylke BrandtЧитать онлайн книгу.
»Also gut. Das Wie und Warum interessiert mich im Moment herzlich wenig. Wir werden die Celestine reparieren, herausfinden, wo wir sind, und dann die Heimreise antreten.« Dass er weit weniger optimistisch war, als er vorgab, wollte er Shilla nicht zeigen. Tatsächlich konnten sie wer weiß wie weit von der Milchstraße entfernt sein und im ungünstigsten Fall Jahre benötigen für den Rückweg.
»Ob es Sentenza und seine Leute geschafft haben?«
Augenblicklich versteifte sich Jason. »Dem Lackaffen und seinen Weicheiern geht es vermutlich besser als uns. Übrigens, ich warte immer noch auf eine Erklärung, was mit dir los war. Also? Bringen wir es hinter uns!«
Die Vizianerin zog eine sichelförmige Braue hoch. »Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Und ob du das weißt!« Mit einer Handbewegung drehte er ihren Sitz zu sich herum, sodass sie ihn ansehen musste. »Ich habe immer geglaubt, wir sind Partner … Ich habe dir vertraut! Aber ab dem Moment, als Skyta auftauchte, hast du mich behandelt wie einen Fremden. Du bist mit ihr auf und davon, als wäre sie deine beste Freundin, die du schon dein ganzes Leben lang kennst. Du wolltest mir nicht einmal verraten, weshalb dich die ganze Angelegenheit plötzlich interessiert. Du bist Seiner Pestilenz Prinz Joran nie begegnet. Die politischen Intrigen des Multiperiums, des Freien Raumcorps und all der anderen betreffen weder dich noch dein Volk. Was ist los?« Jason brach ab, selbst überrascht von seinem Ausbruch.
Keine Antwort. Mit gesenkten Lidern saß Shilla vor ihm.
»Was ist auf Seer’Tak mit dir passiert?«, fragte er und zwang sich zur Ruhe. »Du warst … verändert. So habe ich dich noch nie erlebt.«
Die Vizianerin blieb weiterhin stumm.
»Wir haben nie viel geredet, nicht wahr?«, fuhr Jason sanft fort. »Über uns, meine ich. Wahrscheinlich war das ein Fehler. Jeder von uns behielt seine Geheimnisse für sich, und keiner stellte dem anderen Fragen – es gab kein wirkliches Vertrauen. Als du entführt wurdest und ich befürchten musste, dich nicht mehr lebend wiederzusehen, dachte ich, wenn wir eine zweite Chance bekommen würden, werde ich es besser machen. Das hier ist unsere zweite Chance. Ich will sie nicht verstreichen lassen.« Jason ließ seinen Appell kurz wirken. »Wer und was bist du? Woher kommst du? Wonach suchst du? Im Gegenzug bin ich bereit, all deine Fragen zu beantworten. Das ist das ein faires Angebot, oder nicht?«
Zögernd hob Shilla den Kopf. In ihren tief violetten Augen schimmerten Tränen, die Jason am liebsten fortgeküsst hätte. »Ich wünschte, ich könnte dir alle Antworten geben, die du hören möchtest – aber ich kenne sie selbst nicht. Ich … ich weiß wirklich nicht, was auf Seer’Tak mit mir geschehen ist.«
Endlich sprach sie mit ihm! Spontan ergriff Jason ihre verkrampften Fäuste und drückte sie ermutigend. Eine intimere Geste hätte bloß die mühsam kontrollierte Xenophobie der Vizianerin die Oberhand gewinnen lassen und zur Folge gehabt, dass sie sich umso mehr verschloss. »Das glaube ich dir sogar, frag mich nur nicht, warum. Aber … kannst du mir denn gar nichts sagen?«
Shilla seufzte und erlaubte Jason, ihre Fäuste zu öffnen.
»Meine Worte werden wenig Sinn ergeben, doch ich will dir alles erzählen.
Vor einiger Zeit registrierten wir Vizianer eine Veränderung. Da war etwas, das einerseits eine Begierde in uns weckte, uns andererseits jedoch abstieß – ein Gefühl, das jeder von uns empfand, es sich jedoch nicht erklären konnte, weil es eine völlig neue Erfahrung war.
Schon bald bildeten sich zwei Parteien, von denen eine verlangte, diese merkwürdigen Emotionen zu ignorieren, während die andere forderte, die Ursache für das Phänomen zu erforschen. Die Repräsentanten der zweiten Fraktion stützten ihr Ersuchen auf alte Aufzeichnungen, in denen von einem Feind die Rede ist, der unser Volk schon einmal manipulierte. Sie wiesen auf die Gefahren hin, die uns drohen, wenn sich unser Aufenthaltsort als nicht sicher genug erweist und wir unvorbereitet mit diesem Gegner konfrontiert werden.
Man schloss einen Kompromiss: Ein einziges Schiff wurde ausgesandt, um Informationen zu sammeln.«
»Das war also deine Mission«, erriet Jason. »Aber weshalb haben sie nur dich geschickt?«
»Es war ein Kompromiss«, nahm Shilla den Faden auf. »Ein Schiff, ein Wissenschaftler – mehr wurde nicht benötigt für diese Aufgabe. Die Wahl fiel auf mich, da ich nicht nur über die notwendigen Qualifikationen verfüge, sondern weniger …«, die Vizianerin sprach höchst ungern über diese Eigenart ihres Volkes, »xenophob bin als die meisten von uns. Ich sollte den Planeten, auf dem wir die Präsenz lokalisiert hatten, untersuchen und mit Fakten nach Vizia zurückkehren. Aber … ich wurde … angegriffen … mein Schiff vernichtet.«
Jason schluckte. »Wer hat dich angegriffen? Als ich dich fand, warst du das einzige lebende Wesen auf dieser Welt.«
»Sie waren bereits wieder fort.«
Sein Instinkt raunte Jason zu, dass Shilla ihm etwas verschwieg. Doch was? »Wer? Wer war fort?«
»Ich weiß nicht, wer sie sind. Ich kann sie nur fühlen. In den alten Schriften haben sie keinen Namen.«
Einesteils schien Shilla den Fragen auszuweichen, anderenteils schien sie wirklich nicht mehr zu wissen. Jason entschied, das Thema vorläufig fallen zu lassen. »Weshalb hast du mich nie darum gebeten, dich nach Hause zu bringen?«
»Meine Mission ist noch nicht beendet, deshalb kann ich nicht nach Vizia zurückkehren.«
Und obendrein darf niemand die Position deiner Heimat erfahren, ergänzte Jason in Gedanken. Zweifellos waren Besucher auf einer Welt voller Xenophober so erwünscht wie die Grüne Pickelpest.
»Und auf Seer’Tak hast du … ihre Präsenz wieder gefühlt«, erriet er.
»Genau. Da … auf Cerios und sogar auf Elysium, wenn auch nicht so deutlich wie in Seer’Tak-City. Sie haben Spuren hinterlassen. Ich war überzeugt, Prinz Joran wäre der Schlüssel, nachdem meine Recherchen ergeben hatten, dass ihm Besitzanteile von Elysium gehörten, er über Strohmänner die Juvenil-Forschung finanzierte und man von seinen dubiosen Geschäften in Seer’Tak-City im Zusammenhang mit dem Verschwinden zahlreicher Leute munkelte. Als dann das Haischiff auftauchte …«
Plötzlich wurde Jasons Griff um Shillas Handgelenke hart wie eine Stahlklammer. Er zerrte sie aus dem Sessel. »Joran? Du wolltest an ihn herankommen? Du wusstest all das über ihn? Du besitzt Informationen über eine Gefahr, von der die ganze Galaxis nicht einmal etwas ahnt – und wolltest niemanden warnen? Du … du hast mich benutzt … uns alle … für deine Mission. Und sobald du deine Forschungen abgeschlossen gehabt hättest, dann hätte ich wohl einen Tritt bekommen, du wärst zu deinen Leuten zurückgekehrt … und was aus dem Rest der Galaxis wird, kümmert euch stolze Vizianer mit der überlegenen Technologie einen Scheißdreck. Ihr seid schließlich in Sicherheit … wenn ihr Glück habt.«
Nun liefen die ersten Tränen über Shillas Wangen. »So ist es nicht. Wie hätte ich es dir erklären sollen? Wie hätte ich dir etwas begreiflich machen können, das ich selbst nicht verstehe? Ich habe keine Ahnung, was ich fühle, warum ich es fühle – und wer oder was dafür verantwortlich ist. Und vor welcher konkreten Bedrohung hätte ich die Völker der Galaxien warnen sollen? Niemand hätte meinem unzusammenhängenden Gestammel Beachtung geschenkt; stattdessen hätte man die verrückte Fremde in die geschlossene Abteilung eingewiesen. Die Gefahr … der Feind … das war immer nur ein Mythos. Niemand hat geglaubt, dass er real ist. Bei den Aufzeichnungen – ich habe sie gelesen – handelt es sich um Fragmente, kryptisch und verworren, aus einer finsteren Epoche, in der wir kaum mehr als … Tiere waren. Die Emotionen haben mich … verändert. Ja, ich habe Dinge getan, von denen ich nicht einmal ahnte, dass ich dazu fähig bin.« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Aber ich würde niemals etwas tun, das … dir schadet.«
Für einen Moment starrten sie sich an.
»Shilla …« Unvermittelt wurde Jason bewusst, dass seine Finger immer noch wie ein Schraubstock die Unterarme der Vizianerin zusammenpressten. Er gab sie frei. »Es tut mir leid.«