Rettungskreuzer Ikarus 11 - 20: Verschollen im Nexoversum (und 9 weitere Romane). Sylke BrandtЧитать онлайн книгу.
Ruck ließ Jasons und Shillas Gelenke knacken.
Eine Etage nur. Der Lift hatte angehalten. Glück gehabt.
»Hat das Gebäude ein Untergeschoss?«, fragte Jason.
Shilla schwieg, während sie die Gedanken in ihrer Umgebung sondierte. Schließlich antwortete sie: »Es gibt ein Vorratslager, eine Küche und eine Wäscherei. Die Einrichtungen sind auf zwei Kelleretagen verteilt. Warum?«
»Die Sicherheitstruppen arbeiten zu unerfahren und unkoordiniert. Ich bin überzeugt, sie haben nicht alle Eventualitäten berücksichtigt. Man wird kaum erwarten, dass wir uns ohne Kenntnis der Lokalität ausgerechnet in den Keller zurückziehen. Das könnte unsere Chance sein. Bestimmt gibt es dort einen Eingang für Lieferanten. Und ein Eingang ist zugleich ein Ausgang …«
»Hast du die Posten vergessen, die draußen Wache halten? Sobald wir uns auf dem Gelände blicken lassen, wird man Alarm schlagen.«
»Mir wird schon etwas einfallen …«
Jason hatte keine Ahnung, wie viele Etagen sie hinter sich ließen. Seine Arme und Beine bewegten sich bereits mechanisch und fühlten sich wie Gummi an, als Shilla endlich verkündete, dass sie die Ebene des Empfangs erreicht hatten. Der Lift hatte sich noch zweimal bewegt.
»Wie schaut es unten aus?«, erkundigte sich Jason.
»Ausschließlich Personal, soweit ich feststellen kann. Um diese Uhrzeit ist bloß eine kleine Mannschaft da. Ich schätze, von ihnen haben wir nichts zu befürchten.«
»Gut.« Jason nickte zufrieden. Er zog den Kommunikator aus der Hemdtasche und streifte die Kette über den Kopf. Der Würfel klickte leise, als er gegen die Lampe schlug. »Die Edle Bevollmächtigte wird die Küche inspizieren und ihr Herrlicher Lakai die Fragen stellen. Du kontrollierst die Gedanken des Personals.« Etwas besorgt fügte er hinzu: »Geht es noch?«
»Ja.« Es klang erschöpft, doch ließ sich die Vizianerin nicht anmerken, wie sehr es sie auslaugte, die unbekannten Gedankenmuster zu analysieren.
Er sandte ihr gedanklich ein aufmunterndes Lächeln.
Taisho wimmerte leise, als ihn ein Soldat in der oliv-braunen Uniform der Sicherheit mit dem Abzeichen des untersten Ranges grob an den Schultern packte und auf die Beine zerrte.
»Was ist passiert? Na los, sag schon! Wo sind die beiden Subjekte? Wo sind sie hin?«, herrschte der dreibeinige Ptorianer den Kammerdiener an und schüttelte ihn.
»Der Herrliche Lakai hat mich geschlagen …«, jammerte dieser nur in wehleidigem Tonfall und presste eine Träne zwischen erstaunlich langwimprigen Lidern hervor.
Verächtlich blickte der Soldat auf den Bediensteten herab, den er um mehr als zwei Köpfe überragte. Der Kommunikator gab ein leises Knurren wieder. Dann ließ der kräftige Mann Taisho los und schaute mit boshaft funkelnden Augen zu, wie dieser erneut zu Boden sank. Diese Humanoiden waren bis auf wenige Ausnahmen verweichlichtes Gesocks und ein Schandfleck des Nexoversums. Sollte sich der Nexus eines schönen Tages zu einer Säuberungsaktion entschließen, würden die glorreichen Ptorianer hoffentlich mit dieser Aufgabe betraut werden und alle minderwertigen Rassen in die Roten Hallen führen dürfen.
Nur für Taishos Ohren hörbar murmelte er: »Abartige Kreaturen wie du sollten gleich nach der Geburt enthirnt werden.«
Mit hüpfenden Schritten drehte sich der Soldat um und wischte sich seine haarigen Hände an der Uniform ab, als müsse er sich von der Berührung säubern.
»Die Räume sind leer, Sir«, erstattete er seinem Anführer Bericht. »Die Subjekte haben nichts zurückgelassen. Das Einzige, was wir finden konnten, ist dieser Chikuso. Man hat ihn niedergeschlagen. Er verfügt über keine nützlichen Informationen.«
Der höhere Dienstgrad nickte knapp, ebenfalls mit angewiderter Miene. »Es ist unwahrscheinlich, dass die Subjekte zurückkehren. Wir schließen zu den anderen auf.«
»Was soll mit dem Chikuso passieren?«
»Lassen Sie ihn liegen, Soldat. Wichtig sind allein die Subjekte. Wenn wir sie fassen, wird man uns zweifellos mit mindestens einem weiteren Jahr belohnen. Heil dem Nexus!«
Der Ptorianer gab einen zustimmenden Laut von sich und wiederholte die Formel.
Ihm lag sehr viel daran, die Aufgabe erfolgreich abzuschließen, denn er war bereits einundvierzig Jahre alt und hatte nur noch zwei zusätzliche Jahre gut bis zum Tag seiner Enthirnung. Wenn er dem Nexus weiterhin treue Dienste leistete, dann konnte er vielleicht sehr alt werden oder gar – welch erbauliche Hoffnung – eines natürlichen Todes statt in den Roten Hallen sterben.
Er und seine Kameraden folgten dem Anführer.
Taisho gab ein leises Schluchzen von sich und wischte mit dem Handrücken einen dünnen Blutfaden fort, der von seinem Mundwinkel aus über das Kinn rann.
Der Flur war leer. Das Geräusch der sich entfernenden Stiefel erstarb. Niemand kam zurück.
Geschmeidig erhob sich der Kammerdiener und ließ das bunte Gewand achtlos von seinen Schultern gleiten. Unter dem zeremoniellen Kostüm trug er einen locker sitzenden, grauen Anzug. Seine dunklen Augen waren plötzlich hart, die weichen Züge aus seinem schmalen Gesicht verschwunden.
Er schlich zurück in das Gemach des Herrlichen Lakaien und weiter in dessen Hygienezelle. Kopfschüttelnd klappte er den Deckel der Toilette zu. So ein Chikuso! Wieso hatte er die Warnung ignoriert? Es fehlte gerade noch, dass ihm ein Bashiri Ärger bereitete …
Mit dem Fuß angelte er einen Schemel herbei und stieg hinauf. Dann schraubte er flink das Lüftungsgitter ab, das sich unter der Decke befand. Der Schacht dahinter war kaum breiter als Taishos Schultern. Mit den Füßen voran schwang er sich hinein, drehte sich auf den Bauch und fixierte das Metallteil hinter sich.
Es war weniger schwierig gewesen, als Jason befürchtet hatte. Einige aufgeschreckte Köche und Reinigungshilfen hatten gezetert, als zwei Unbefugte in ihr Allerheiligstes eindrangen, das für Gäste tabu war, doch hatte sich das Geschrei sogleich in untertänigste Höflichkeit verwandelt, nachdem die Edle Bevollmächtigte erkannt worden war. Offenbar galten die Angeli und ihre Lakaien als recht exzentrisch, sodass man auch ihre sonderbarsten Befehle und Wünsche nie infrage zu stellen wagte.
Was die Leute über ihn und Shilla denken mochten, war Jason herzlich egal, doch entging ihm nicht, dass sie mit fast glasigen Augen die ehrwürdige Bevollmächtigte anstarrten und voller Entzücken den Anweisungen gehorchten. Es war fast, als wären sie umso empfänglicher für Shillas Pheromone, je geringer ihr Status in der Hierarchie war. Die Crew der Sentok und das Empfangskomitee hatten zwar auch gesabbert, aber nicht in diesem Ausmaß.
Einer der Köche führte die beiden zu einer Rampe. Von einem größeren Fahrzeug wurden gerade verschiedene Güter abgeladen.
Jason scheuchte ihren Begleiter zurück an seine Arbeit. Dann kauerten er und Shilla hinter einer Palette Kisten nieder und beobachteten, wie die Fracht mit primitiven Gabelstaplern ins Lager transportiert wurde. Nachdem die Ladefläche leer war, wurden andere Güter auf dieser verstaut. Schließlich verriegelte der Fahrer den Wagen, rief den Lagerarbeitern einen Gruß zu und stieg ein. Die anderen wandten sich ihren Aufgaben zu und verschwanden zwischen den meterhohen Regalen.
Jason nickte Shilla zu.
Wie Schatten huschten sie zum Fahrzeug hinüber, das mit einem lauten Rattern startete. Jason öffnete den Verschlag der Pritsche, half Shilla hinein und sprang hinterher. Der Wagen setzte sich langsam in Bewegung und verließ die Haltezone. Er passierte einen hereinkommenden Lieferanten, dann war er auf der Straße.
»Hat der Fahrer etwas bemerkt?«, fragte Jason atemlos.
»Er hat vergessen, dass die Kontrollleuchte ein Öffnen der Hecktür anzeigte«,