Rettungskreuzer Ikarus 11 - 20: Verschollen im Nexoversum (und 9 weitere Romane). Sylke BrandtЧитать онлайн книгу.
»Wohin fährt der Wagen?«
»Zu einem Depot. Dort liefert der Fahrer die Kisten mit Recyclingprodukten und schmutziger Wäsche sowie den Wagen ab. Er freut sich auf das Ende seiner Schicht. Die aufmarschierten Soldaten interessieren ihn nicht. Er meint, dass sie immer irgendwen suchen und er nichts zu befürchten hat, da er sich nichts zuschulden kommen ließ.«
Das Fahrzeug stoppte plötzlich.
»Was ist los?« Jason zog seine Waffe und zielte auf die Klappe. Würde jemand sie öffnen …
»Einer von der Sicherheit hat den Wagen angehalten«, murmelte Shilla und furchte die Stirn. »Der Soldat will wissen, ob der Fahrer etwas Verdächtiges gesehen hat. Dieser verneint und …«, bange Sekunden verstrichen, »darf weiterfahren.«
Erleichtert ließ sich Jason gegen eine Kiste sinken, den Griff um den Strahler lockernd. Er zwirbelte seinen Kinnbart. »Ich fürchtete schon, das wäre es gewesen … Kannst du herauskriegen, wo das Depot ist? Es befindet sich nicht zufällig in der Nähe des Landeplatzes?«
»Wahrscheinlich nicht. Das Bild, das ich den Gedanken des Fahrers entnehmen kann, zeigt keinen Raumhafen oder einige der in der Nähe befindlichen Gebäude. Wir müssen damit rechnen, dass wir uns von der Celestine entfernen und es schwierig wird, unbemerkt zu ihr zurückzufinden, ganz zu schweigen davon, an Bord zu gelangen. Bestimmt ist das Schiff umstellt und die Reparaturarbeiten sind abgebrochen worden. Es würde mich nicht wundern, wenn sie bereits dabei sind, alles auseinanderzunehmen, um unsere Identität zu erfahren.«
Jason seufzte. »In dem Fall werden sie eine unangenehme Überraschung erleben.«
»Du hast doch nicht etwa die Selbstvernichtung aktiviert?«, fragte Shilla mit aufgerissenen Augen.
»Nur den Verteidigungsmodus. Wenn die Sensoren Waffen registrieren oder jemand versucht, die Kontrollen zu manipulieren, werden die Luken geschlossen und der Schutzschirm aktiviert. Alle an Bord befindlichen Personen werden durch Gas betäubt. Sie können natürlich die Celestine durch massiven Beschuss vernichten, doch ich glaube nicht, dass sie so weit gehen werden, da sie viel zu neugierig auf uns sind und aus einigen Klumpen Schlacke keine Antworten herausholen können.«
Shilla seufzte. »Was unternehmen wir als Nächstes?«
»Wir ruhen uns aus«, erklärte Jason. »Je weiter wir vom Hotel wegkommen, umso besser. Bevor wir das Depot erreichen, steigen wir aus und versuchen, uns irgendwie zum Raumhafen durchzuschlagen. Alles Weitere hängt davon ab, wie es um unser Schiff bestellt ist. Warum schläfst du nicht ein wenig? Du musst erschöpft sein nach unserer Flucht und dem fortwährenden Gebrauch deiner Gabe.«
Shilla schenkte ihm ein sanftes Lächeln und bettete ganz selbstverständlich ihren Kopf auf seine Schulter.
Wie von allein fand Jasons Arm den Weg um ihre Taille. Die Erinnerung an ihren Kuss blitzte auf, doch sicherheitshalber dachte er an … nichts. Das war wieder die alte Shilla, ungezwungen, aber distanziert, als hätte es die leidenschaftliche Umarmung gar nicht gegeben. Seltsam …
Er gestand sich ein, dass er nicht wusste, welche Shilla ihm lieber war: die vertraute, kühle, aber zuverlässige Kameradin oder ihr geheimnisvolles, leidenschaftliches Alter Ego …
Verdammt, was war nur los mit ihr?
»Eine neue Nachricht von Crii-Logan ist soeben eingetroffen, Sir«, meldete Sessha. »Wir haben sie bereits entschlüsselt.«
Charkh entfaltete seine Beine und bedachte das Hashura-Weibchen mit einem Blick aus vier seiner aufmerksamen, schwarzen Augen. »Ich höre.«
»Ein Teil der Fracht befindet sich bereits an Bord seines Bootes. Er wartet nun auf die noch ausstehenden Gehirne. Crii-Logan schätzt, dass er spätestens in zwölf Stunden starten wird. So weit der offizielle Teil. Ferner lässt er uns wissen, dass das Schiff der Fremden repariert wurde. Kurz nachdem sich die Techniker zurückgezogen hatten, tauchten Soldaten auf und umstellten den Raumer, der daraufhin selbstständig alle Schotten schloss und einen Schutzschirm aufbaute. Bislang haben die Sicherheitskräfte noch nicht auf diese Maßnahme reagiert.«
Für einen Moment schwieg Charkh und rieb seine pelzigen Beine aneinander, das einzige Zeichen für seine wachsende Unruhe. Dann murmelte er: »Unsere Vermutung war also zutreffend. Die Fremden sind keine Gesandten des Nexus, sondern …«
»Sondern?«
»Unser Mann wird es herausfinden.«
»Bestimmt.« Sesshas Lippen umspielte kurz ein versonnenes Lächeln, und ihre Stimme wurde eine Nuance weicher. »Er ist gut.«
»Ja.«
Sie zog beide Augenbrauen hoch. Wie meinte Charkh das? In seiner Antwort schien ein ironischer Unterton zu schwingen. Wusste er etwa …? Eine zarte Röte überflog ihre Wangen.
»Ob die beiden zu einer anderen Gruppe gehören?«, fuhr sie hastig fort, um ihre Verlegenheit zu verbergen. »Erstaunlich, es hat nie eine abtrünnige Angeli gegeben, in all den Jahrhunderten nicht, nicht wahr?«
Charkh ließ sich diesmal Zeit mit einer Antwort. »Ich habe das Gefühl, die Lösung ist nicht so einfach, Nummer zwei. Gibt es auch Nachrichten von unserem Agenten?«
»Negativ, Sir.«
Plötzlich reagierten die Ortungsgeräte.
»Ein Schiff nähert sich mit großer Geschwindigkeit, Sir«, meldete ein Ptorianer. »Sein Ziel ist Reputus. Es wird gleich auf dem Panoramaschirm erscheinen.«
Charkh und Sessha wandten sich beide dem großen Monitor zu, der das Halbrund der Zentrale ausfüllte. Eigentlich war das nichts Ungewöhnliches, aber dass es gerade jetzt eintraf und schnell flog …
Zunächst war nur ein silbriger Strich zu sehen, der rasch größer wurde. Schon bald bestand kein Zweifel mehr an dem Typus. Die schlanke, elegante Form, die rachenartige Kluft am Bug, die an ein aufgerissenes Maul erinnerte, war eindeutig.
Alle Augen Charkhs richteten sich auf das Schiff. Das war eine Überraschung! Obwohl er mit etwas Derartigem tief in seinem Innern gerechnet hatte …
»Ein Schiff des Nexus«, flüsterte Sessha. »Hier sind sie doch noch nie gewesen …«
»Einen deutlicheren Beweis«, erwiderte der Arachnoid, »dass die Fremden nicht für sie arbeiten, kann es nicht geben. Sie müssen eine Gefahr darstellen, sonst würde der Nexus keines seiner Schiffe senden. Wer mögen sie sein?«
Eine knappe Stunde Pause war Jason und Shilla vergönnt. Der Wagen schaukelte durch das Labyrinth der Straßen und Jason konnte nach all den Abbiegungen beim besten Willen nicht sagen, in welcher Richtung sich das Hotel oder der Raumhafen befanden.
Er weckte Shilla aus ihrem tiefen Schlaf. Das Rütteln und Schütteln des unbequemen Fahrzeugs hatte sie nicht im Geringsten gestört, so müde war sie gewesen nach den Anstrengungen der letzten Stunden.
Jason hingegen hatte keine Ruhe gefunden. Nach einer Weile war er von der Langeweile übermannt worden, sodass er nachgeschaut hatte, was die Kisten enthielten. Gemäß der Angaben der Vizianerin befanden sich in diesen Abfälle des Hotels und ausrangierte Wäscheteile, die dem Recycling zugeführt wurden.
»Der Fahrer dürfte bald sein Ziel erreicht haben«, vermutete Jason. »Die Geräusche des Verkehrs sind leiser geworden, als würden wir uns auf einem weniger befahrenen Seitenweg befinden. Wir sollten die nächste günstige Gelegenheit nutzen, um abzuspringen. Bis du fit genug, um …?«
»… um die Umgebung zu sondieren?« Shilla schloss die Augen, wieder an Jason lehnend.
Er fand, dass sie sich wunderbar warm und weich anfühlte.
Sein Problem, das mehr psychischer als physischer Natur gewesen war, gehörte