Taxi nach Paris. Ruth GogollЧитать онлайн книгу.
Augen glatt rückwärts aus dem Raum getrieben. So, wie sie es betont hatte, war es eine geradezu obszöne Frage, die ich sicher nicht stellen würde. Ich schwieg.
Sie zog die Augenbrauen hoch. Wenn sie das noch einmal tat, würde ich sie küssen, und wenn ich dafür bezahlen müsste! »Alle wollen das wissen. Du bist sicher keine Ausnahme.« Sie sah zum Fenster hinaus. »Fast immer, wenn ich mit einer neuen Kundin das erste Mal zusammen war, stellt sie die gleiche Frage.«
Ich zuckte zusammen. Eine ›neue Kundin‹ wollte ich eigentlich nicht sein. Und so fühlte ich mich auch nicht.
Sie sah mich gleichgültig an. »Willst du es wirklich nicht wissen?« Ich schüttelte den Kopf. »Na ja, es macht eh keinen Unterschied. Ich beantworte die Frage nie.«
Ich merkte, dass sie mich los sein wollte. Sie fing an, unruhig zu werden. Gleich würde ihr eingefallen sein, womit sie mich am schnellsten loswerden konnte. Und da war es auch schon!
»Und – hast du den Gegenwert bekommen, den du erwartet hast?« Sie sah mich ganz geschäftsmäßig an. Ich erwartete fast, sie würde hinzufügen: »Darf’s ein Viertel mehr sein?«
Ich musste schmunzeln. Instinktiv – oder vielleicht auch ganz überlegt – hatte sie das Thema gewählt, das mich unter normalen Umständen sicher am meisten abschrecken würde. Aber was waren schon ›normale Umstände‹ im Zusammenhang mit ihr? Dieser ganze Abend und die ganze bisherige Nacht waren mit nichts zu vergleichen, was ich je erlebt hatte. Und diese Frau würde mich nicht so einfach loswerden!
Sie wurde ungeduldig. »Warst du zufrieden?« Sie maß mich mit einem prüfenden Blick. »Oder habe ich etwas falsch gemacht?« Mein Schweigen machte sie nervös. »Ich weiß, es ist nicht alles so gelaufen, wie du es dir vorgestellt hattest.« Sie machte ein zerknirschtes Gesicht. Gut konnte sie das! Ich wettete, die Frauen schmolzen reihenweise dahin, wenn sie diese Show abzog. Sie griff nach einem Terminkalender auf dem Nachttisch. »Wir können einen Termin ausmachen, der dir passt, und du sagst mir, was dir nicht gefallen hat.« Sie schlug das schwarze Lederbändchen auf und blätterte durch die Seiten.
Das war wirklich nicht zu fassen – sie bot mir eine Nachbesserung an!
»Wovor hast du Angst?«, fragte ich.
Sie blieb mitten in der Bewegung stecken. Ihre Augen sagten mir deutlicher als ihre Reaktion und alle Worte, dass ich einen wunden Punkt getroffen hatte. Sie zog sich auf ihr ureigenstes Terrain zurück, um sich wieder zu fangen. »Sollen wir also keinen Termin ausmachen?«, fragte sie ziellos blätternd. Sie wandte mir wieder ihr Gesicht zu.
Ihre Augen hatten jetzt diesen Ich-weiß-gar-nicht-was-du-willst-Ausdruck. Sie erinnerten mich an die großen Limousinen mit den Scheinwerfer-Wisch-Waschanlagen. Eben noch dreckbespritzt – ein Wisch, und sie waren wieder klar.
Jetzt lächelte sie verständnisheischend. »Wenn du Grund hast, dich zu beklagen, ist das schlechte Publicity. Und schlechte Publicity ist schlecht fürs Geschäft.«
Ich fühlte mich an ein Gespräch mit einem Autoverkäufer erinnert, das ich kürzlich geführt hatte. Er hatte sich ganz ähnlich ausgedrückt. Allerdings hatte er mir ein Auto verkaufen wollen und nicht seinen Körper.
»Du kannst mich auch anrufen.« Sie zog eine Karte hervor.
»Oh nein!«, stöhnte ich. »Jetzt gib mir nicht auch noch deine Geschäftskarte!«
Sie lachte vergnügt. Es hörte sich ziemlich echt an. »Ich wusste, dass du das hassen würdest«, sagte sie. Sie nahm einen Stift und schrieb etwas auf die Karte. Sie reichte sie mir. Es war eine elegante weiße Karte aus Büttenkarton. Sie war völlig leer bis auf die großen geschwungenen Zahlen in der Mitte. Kein Name, keine Adresse, nur die Zahlen. Das war wirklich das Äußerste an Diskretion.
Ich sah sie an. In ihren Augenwinkeln kräuselten sich die Lachfältchen. »Geschäftskarten sind in meiner Branche nicht üblich«, erklärte sie immer noch vergnügt. »Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen.«
Da saßen wir, zwei nackte Frauen, die vor Kurzem miteinander geschlafen, hatten in einem Bett, und sprachen miteinander, als säßen wir gemeinsam beim Kaffeetrinken auf der Kö oder sonst einer Prachtstraße.
»Möchten Sie noch etwas Zucker?«
»Ach nein, lieber noch einen kleinen Orgasmus. Aber nicht zu stark, ich muss heute noch zum Friseur.«
Es kam mir unwirklich vor.
Ich hatte keinen Grund mehr zu bleiben, so sehr ich mich auch vor der Erkenntnis verschloss. Aber ich wollte sie wiedersehen. Wie konnte ich das? Als ihre Kundin? Niemals! Hatte ich dann überhaupt eine Chance? Ich blickte noch immer auf die Karte in meiner Hand. Langsam wurde es mir ungemütlich in diesem Bett. Und es hätte so gemütlich sein können. Gemeinsam einschlafen, gemeinsam aufwachen, ein bisschen Schmusen, ein bisschen Sex . . . Ich spürte das Kribbeln neu erwachen.
Sie beobachtete mich. Ich schielte aus den Augenwinkeln zu ihr hinüber. Nein, das würde sie niemals tun, entschied ich. Und ich musste jetzt möglichst schnell weg von hier.
Sie musterte mich immer noch. Bevor ich über weitere Schritte nachdenken konnte, sagte sie: »Ich gehe jetzt unter die Dusche. Möchtest du vielleicht zuerst . . .?« Ihre höflich-professionelle Zuvorkommenheit kaschierte es nur schlecht: Das war der endgültige Rausschmiss. Ich schüttelte stumm den Kopf, ohne sie anzusehen. Sie stand auf. Ich sah ihr nach. Dieser anmutige Gang – jede ihrer Bewegungen war ein Genuss.
Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, sprang ich aus dem Bett. Ich zog mich schnell an. An der Tür drehte ich mich noch einmal um. Ich hörte das Wasser rauschen und sah auf das Bett. Diese Nacht würde ich sicher nicht so schnell vergessen.
Mein Büro wartete am nächsten Morgen um acht auf mich wie jeden Tag. ›Projektmanagerin‹ stand unter meinem Namen an der Tür. Zusammen mit zwei anderen Namen, denen meiner beiden männlichen Kollegen. Wir waren der sogenannte ›Projektleiterpool‹.
Meine Arbeit war mehr Teil meines Lebens, als ich es mir oft eingestehen wollte. Ich fühlte mich unwohl, wenn ich mich allzu lange davon fernhalten musste, zum Beispiel durch Urlaub oder Krankheit. Danach war ich oft wieder richtiggehend froh, wenn ich an meinen Schreibtisch zurückkehren konnte. Und oft hatte mir einzig und allein die Arbeit über meine privaten Krisen hinweggeholfen.
»Wo soll ich bloß anfangen? Guck dir das an!« Mein Kollege Markus ließ sein übliches Lamento los, sobald er mich sah.
Ich musste unwillkürlich lächeln. Auch wenn ich privat so gut wie nichts mit meinen Kollegen zu tun hatte, konnte ich mich doch nicht enthalten, sie auf eine gewisse Art zu mögen. Dass wir uns gut verstanden, erleichterte vieles.
»Ach, Markus, du bist doch nicht der Einzige, der viel zu tun hat. Wir sind schließlich alle mit Arbeit bis über die Ohren eingedeckt.« Meine Antwort entsprach seinen Erwartungen ebenso wie meinen üblichen Verhaltensweisen.
Es war schon ein eingespieltes Ritual. Er hörte mir nur mit halbem Ohr zu ebenso wie ich seine über den ganzen Tag verteilten ständigen Bemerkungen halb ignorierte oder automatisch beantwortete. Das gab uns ein Gefühl von Zusammengehörigkeit und lenkte uns nicht zu sehr ab. Arbeitsmäßig waren wir mit völlig verschiedenen Projekten beschäftigt, sodass ein inhaltlicher Austausch kaum stattfand.
Mein zweiter Kollege kam in seiner üblichen ruhigen Art durch die Tür und sah mich. »Guten Morgen«, sagte er, was – wie ich wusste – nur die Einleitung zu einem Arbeitsgespräch sein konnte. Ich hatte mich nicht getäuscht. »Hast du schon gesehen, was ich dir auf den Schreibtisch gelegt habe?«
Ich drehte mich um und sah seinen Bericht auf einem Berg anderer Papiere liegen, mit denen die Schreibtischunterlage bedeckt war. Ich schüttelte den Kopf. »Nein, habe ich nicht. Ich bin gerade erst gekommen.« Ich ging zum Schreibtisch und blätterte schnell durch die Seiten. »Du hast die Planung angepasst, wie wir es gestern besprochen hatten?«
Er nickte. »Und ich habe die Änderungen ins Konzept aufgenommen, die du wolltest. Ich glaube, damit wirst du das Projekt um 20-30 Personentage verkürzen. Das