Taxi nach Paris. Ruth GogollЧитать онлайн книгу.
schon auf das nächste Papier fiel, das unter seinem zum Vorschein gekommen war. Meine Gedanken wanderten ab zu Variantenvorschlägen und Lösungen. Ich hatte mit der Arbeit begonnen.
Sie lenkte mich den Tag über auch wirklich gut von dem Erlebnis der letzten Nacht ab. Danach jedoch war der Rest des Tages nur noch eine einzige Tortur. Wo ich ging und stand, sah ich ihr Gesicht vor mir. Ihre Augen, wie sie mich angeblitzt hatten, und manchmal ihre Hände, wie sie . . . Bloß nicht darüber nachdenken! Ich sehnte mich nach ihr, ich konnte sie nicht vergessen. Körperlich kam ich mir vor wie eine Süchtige auf Entzug. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn mir auf dem Nachhauseweg jemand Dope angeboten hätte. Verliebt in eine Nutte – na wunderbar!
Ich hatte es mir so gesittet vorgestellt, unser nächstes Wiedersehen. In ein paar Wochen würde ich durch die Stadt gehen. Zufällig würde ich sie treffen. Wir würden uns freundlich begrüßen, im Eiscafé einen Bananensplit zusammen essen, über unsere gemeinsamen Erlebnisse plaudern – Weißt du noch, damals, als ich dich so schön befriedigt habe? – und uns für den nächsten Kaffeeplausch verabreden. Eine richtig nette, unkomplizierte Freundschaft. Das konnte ich in den Wind schreiben! In ein paar Wochen würde ich tot sein.
In der letzten Nacht hatte ich kaum geschlafen, auch nachdem ich zu Hause angekommen war. Den Tag über hatte ich vor lauter Arbeit nicht bemerkt, dass mein Appetit erheblich nachgelassen hatte, aber jetzt registrierte ich, dass ich selbst das übliche gemeinsame Mittagessen mit meinen Kollegen hatte ausfallen lassen. Kein Essen, kein Schlaf – wie lange hielt das ein Mensch wohl aus? In der irren Hoffnung, sie heute schon ›zufällig‹ zu treffen, rannte ich nun nach Feierabend ziellos durch die Stadt. Den Bananensplit aß ich auch – man muss dem Schicksal ja schließlich eine Chance geben.
Als es dunkel wurde, gab ich auf. Zu Hause in meinem Bett warf ich mich ruhelos herum. Ich hatte den Eindruck, ich hätte kein Auge zugetan, aber plötzlich war es Morgen. Ich kochte Kaffee, trank ihn, kochte noch mal Kaffee und trank auch den. Meine Nerven dankten es mir mit unterschwelligem Zittern. Seit vorgestern hatte ich nichts als diesen vorweggenommenen Bananensplit gegessen.
Ich rief in der Firma an und meldete mich ab. In diesem Zustand war ich nicht arbeitsfähig. Ich wollte nicht in die Stadt gehen, das würde mich wieder dazu verleiten, sie zu suchen. Also lief ich wie eine wildgewordene Tigerin im Käfig in meiner Wohnung herum. Vom Balkon zum Fenster, vom Fenster zum Balkon.
Ich sah auf die Uhr. Es war acht Uhr morgens. Viel zu früh, um jemanden wie sie anzurufen. Bis neun hielt ich es aus. Dann nahm ich die Karte mit der Telefonnummer hervor. Um Viertel nach neun rief ich sie an. Wahrscheinlich würde sie noch schlafen, bei den langen Nächten . . .
Sie meldete sich mit ihrer Nummer. Sie hörte sich ziemlich wach an.
Ich meldete mich auch, mit meinem Namen und weniger wach.
»Ja?«, fragte sie abwartend.
»Ich möchte . . .« Was sollte ich nur sagen? »Kann ich . . .?« Ich wollte doch keinen Termin von ihr, jedenfalls nicht ›offiziell‹.
»Du möchtest kommen?«, fragte sie ruhig.
»Ja.« Das war Schwerstarbeit. Ich atmete heftig aus.
»Wann?«, fragte sie wieder im selben ruhigen Ton.
Am liebsten sofort! Aber so konnte ich ihr das natürlich nicht sagen. »Heute?«, fragte ich deshalb, indem ich ihren Ton zu imitieren versuchte. Aber sie konnte es wesentlich besser.
»Ja, das geht. – Um elf Uhr?« Sie wartete auf meine Antwort.
»Ich wollte eigentlich jetzt gleich in die Stadt . . .«
»Nein.« Sie lehnte sehr bestimmt ab. »Vorher habe ich keine Zeit.«
Das hieß, sie hatte wahrscheinlich jetzt eine Kundin bei sich oder wartete auf eine! Kann man auf eine Nutte eifersüchtig sein? Ich konnte! Um antworten zu können, schluckte ich den Kloß in meinem Hals herunter. Mit halbwegs normaler Stimme – so hoffte ich wenigstens – sagte ich: »Gut. Also dann um elf.«
Sie legte auf. Ohne ein Wort. Sie war sicher nicht allein gewesen! Meine Phantasie gaukelte mir quälende Bilder vor. Während sie mit mir telefoniert hatte, hatte die andere Frau sie bereits ausgezogen, sie gestreichelt und geküsst. Aber hätte ich das nicht merken müssen? Ihre Stimme hatte so ruhig geklungen. Mach dir nichts vor! Sie ist eine Nutte – sie empfindet nichts dabei! So? Das hatte ich aber ganz anders in Erinnerung!
Der Minutenzeiger der Uhr schien auf Stunden eingestellt zu sein. Jedes Mal, wenn ich hochblickte, schien es mir, als hätte er sich kaum bewegt. Ich zog mich mindestens fünfmal um. Obwohl in meinem Kleiderschrank nicht allzu viel Abwechslung herrschte.
Hemden und Hosen in verschiedenen Variationen. Röcke oder Kleider besaß ich eh nicht. Zuerst erschien mir die Jeans zu leger, dann wieder die Bundfaltenhose zu fein. Das karierte Flanellhemd war zu rustikal und das seidene zu empfindlich bezüglich Schweißflecken.
Was glaubst du denn, was dich erwartet? Ach, lass mich doch! Du tust so, als würdest du zu einem Rendezvous gehen. Ach ja? Ich konnte mich nicht entscheiden, wie ich dieses Treffen einordnen sollte. Es stimmte, ich benahm mich wie bei einem Rendezvous, ich empfand es auch so, aber mein Kopf hatte recht: Es war keins. Es war eine Verabredung zu bezahltem Sex.
Endlich war es Viertel vor elf. Sie würde es nicht besonders mögen, wenn ich zu früh kam, und sie wohnte quasi bei mir um die Ecke. Also wartete ich noch fünf Minuten. Als ich vor ihrer Tür stand, war es eine Minute vor elf. Ich klingelte. Einen kurzen, entsetzten Moment lang dachte ich, sie hätte mich versetzt und wäre nicht zu Hause. Dann hörte ich Schritte. Was, wenn das ihre Kundin war, die sie verabschiedete? Nein, das würde sie nicht tun! Und wenn doch?
Die Tür öffnete sich. Sie war es. Sie hielt die Tür auf und trat zur Seite. »Komm rein«, sagte sie.
Ich ging an ihr vorbei. Ein dezentes Parfum streifte mich. Sie schien noch größer als das letzte Mal. Kein Wunder, bei den hochhackigen Schuhen! Sie war offensichtlich für ihre Kundinnen angezogen. Sie trug einen kurzen schwarzen Lederrock, Schuhe, die sie fast zehn Zentimeter größer machten, und eine Lederweste, unter der sie offenbar nichts anhatte. Es war nichts eindeutig Nuttiges. Viele Frauen auf der Straße waren so angezogen, aber ich stellte mir vor, wie die Frau, die vor Kurzem noch hiergewesen sein musste, diese Kleidung als aufregend empfunden hatte, wie sie die Weste aufknöpfte . . .
Sie ging ein paar Schritte – dass sie überhaupt auf diesen Schuhen laufen konnte! –, dann deutete sie auf das Sofa. »Setz dich doch und nimm dir was zu trinken.« Sie lächelte. »Ich glaube, du hättest es lieber, wenn ich mich umziehe.«
Ich sah ihr nach, wie sie durch eine Tür nach links verschwand. Mir wurde klar, dass ich bis jetzt angenommen hatte, dies sei ein Ein-Zimmer-Appartement. Weil das Bett hier stand. Aber natürlich – das war berufsbedingt. Sie hatte noch ein Schlafzimmer, in dem sie wirklich schlief – allein.
Was würde ihr Umziehen zutage fördern? Ein durchsichtiges Negligé – Strapse? Was glaubte sie, dass ich erwartete? Ich hatte mich eindeutig als Kundin angemeldet, und sie würde mich dementsprechend behandeln. Zum Teufel damit! Aber was hätte ich anderes tun sollen?
Die Tür öffnete sich, und sie kam wieder herein. Mit Negligé und Strapsen hatte ich mich verschätzt. Sie trug einen bodenlangen weißen Morgenmantel, etwas, das jede gute Ehefrau in ihrem Kleiderschrank hätte haben können, wenn auch vielleicht nicht in dieser Luxusausführung aus Seide.
Sie sah mich an. »Hast du nichts gefunden?«
Zuerst wusste ich nicht, was sie meinte. Dann bemerkte ich ihren Blick in Richtung Bar. »Ich mache mir nicht viel aus Alkohol«, sagte ich schnell.
Sie lachte und ging hinüber. »Ich auch nicht, aber ich habe auch Nicht-Alkoholisches.« Sie goss etwas in ein Glas, kam herüber und blieb vor mir und dem Sofa stehen. »Willst du mal probieren?« Sie bot mir ihr Glas an.
Ich sah zu ihr hoch. Ich wollte etwas ganz anderes probieren!
Sie sah, dass ich nichts trinken würde, und nahm einen Schluck. Dann stellte sie