Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig BechsteinЧитать онлайн книгу.
wie eine Oblate, und der neue
Gesell lachte, daß die Gewölbe erbebten. Als die andern
Braugesellen darüber sich erzürnten und ihn prügeln
wollten, rannte er dicht vor ihnen her, und
plumps, lag er im Braubottich, und plumps, purzelten
drei, viere, die ihm dicht auf den Fersen waren, auch
hinein und verbrühten sich elendiglich. Der lange
Wappers aber schaute plötzlich aus einer Trebernbütte
heraus und lachte, daß alle hohlen Fässer dröhnten.
Eines Tages kam ein Mann zu Antwerpen die
Straße entlang, der schrie: Kauft Muscheln, kauft Muscheln!
Vor einer Türe saßen vier Frauen, die riefen
den Mann an und hatten Lust, Muscheln zu kaufen.
Er öffnete eine zur Probe, die war aber faul, er öffnete
eine andere, die war desto besser. Die eine der Frauen
führte sie zum Mund und wollte schmecken, ob sie
gut sei. Da krabbelte es ihr im Munde, und sie spie
das Eingenommene aus, da war es eine große, ganz
schwarze, haarige Spinne. Die Frau brach vor Ekel
alles aus dem Leibe heraus, der Tückebold lachte und
verschwand samt seinen Muscheln.
Zahllos sind die Sagen, die vom langen Wapper im
Volke zu Antwerpen umgehen, es war nicht gut, ihn
zu nennen, es ging mit ihm wie mit dem Weiberwetzstein
zu Wendhausen in Franken, den keiner loben
und keiner schelten durfte, und wer seinen Namen
nannte, tat mehr übel als klug. Häufig hielt dieser
Geist sich unter einer Brücke auf, sie heißt heute noch
die Wapperbrücke, machte sich klein wie ein Schulbube,
nahm der Abwesenden Gestalt an, absonderlich
gegen die Dämmerung, wenn die Knaben spielten,
und spielte ihnen selbst allerlei Schabernack. Der
lange Wapper konnte sich so hoch und lang strecken,
daß er bequemlich den Leuten in den höchsten Häusern
in die obersten Stockwerke hineinsehen konnte.
Da rief er denn denen, die er drinnen erblickte, und
nicht immer in allertugendsamster Hantierung, manches
erschreckende Wort zu. An vollen Tafeln saß er
als Gast und zechte mit; ehe man es sich versah, besonders
aber wenn der Teller umging, um die Zeche
zu zahlen oder eine Auflage für Arme zu machen, hörten
die andern sein Gelächter, er selbst war verschwunden.
Gern weilte er bei Spielgesellen, spielte
mit, verlor die größten Summen, dann hatte er nichts
zu zahlen, begann Streit, lockte die Mitspieler vor die
Türe, hetzte sie aneinander, daß sie zu den Messern
griffen, und wollte sich totlachen, wenn ihrer einer
oder etliche auf dem Platze blieben.
Nur eifriges Gebet konnte und kann der lange
Wapper nicht vertragen, das ist nicht seine Farbe.
Damit war er leichtlich abzutreiben; so auch waren
ihm Christus- und Marienbilder sehr zuwider. Als die
Leute zu Antwerpen solches merkten, stellten sie
deren Bilder an allen Straßenecken und schier in allen
Straßen auf, da gab der lange Wapper der Stadt Antwerpen
Valet und machte sich nach der See zu und
hat seinen Spuk mit Fischern, Schiffleuten und Matrosen.
149. Der Geist Osschaert
Ganz Holland ist voll Spukgeister, Kobolde und Tükkebolde;
die stillen Flächen, die weiten Ebenen, die
tiefen Gewässer – das flüsternde Röhricht, das murmelnde
Wellenrauschen – aus allen brechen und sprechen
die Stimmen der Natur geheimnisvoll, und des
Volkes eigner Sinn gibt sich dem geisterhaften Geheimnis
gern gefangen.
Im Wanslande geht ein Geist um, der Osschaert
heißt, der treibt viel mannigfaltigen Spuk, guten und
schlimmen, recht nach Koboldnatur. Er teilt alle Eigenschaften
des Kludde, des Lodder und des langen
Wapper, macht sich groß, macht sich klein, macht
sich sichtbar, macht sich unsichtbar, wandelt in Tiere
sich um, wirft Trunkenbolde zur Abkühlung ihrer
Saufhitze in manch ein kaltes Bad, äfft als Esel die
menschlichen Esel, legt sich den Bezechten auf den
Rücken, daß sie ihn huckepack tragen müssen, wie
die Vollzapfen im thüringischen Städtchen Ruhla
ihren Bieresel, so daß sie, wenn sie es schon satt
haben, es noch satter kriegen, und dabei lacht er auch
so herzlich, so laut und so wunderschön, wie nur
immer ein Esel lachen kann; noch lieber aber kommt
er vom Esel aufs Pferd als vom Pferd auf den Esel,
wie so viele Gute zu kommen pflegen. Des Osschaerts
Natur ist echt holländisch-amphibisch, er ist, gleich
seinen gespenstischen Kumpanen, die oben genannt
wurden, zu Land und zu Wasser heimisch; er handhabt
Wasser und Land ganz nach seinem Belieben.
Eines Tages ging ein alter Gärtner vom Dorfe zur
nahen Stadt. Es war noch früh am Tage, aber dunkel,
denn es war Winterzeit. Da sah er ein greulich Ding
auf sich loskommen und simulierte aus, das möge
wohl gar der Osschaert sein, wich ihm aus – sprang
etwas hastig neben den Weg auf eine Wiese. Das
Ding sah ihm nach und verschwand. Wie der Gärtner
von der Wiese wieder auf die Heerstraße lenken wollte,
fand er sich abgeschnitten und zwischen lauter
Wassergräben, die in Holland das Allerhäufigste sind,
was dort zu finden. Nun hatte aber der gute Mann
Eile und war ihm gar nicht einerlei, daß er zwischen
den Kanälen von einem zum andern irrte und doch
über keinen hinwegkommen konnte, denn sie waren
alle zu breit, und wie tief sie waren, das konnte man
so eigentlich nicht wissen, gerade wie jener gute
Schulrat bei einer Schulmeisteramtskandidatenprüfung
sagte, als er die Frage nach der Höhe des Berges
Sinai zur Beantwortung aufstellte und neben denen,
die sie nicht beantworten konnten, er sie selbst auch
nicht