Traumwandler. Julia SkyeЧитать онлайн книгу.
und ich fühlte mich wieder halbwegs normal. Ich holte mein Handy aus meiner Tasche, um die Uhrzeit zu checken.
Und sah, dass ich fünf verpasste Anrufe hatte.
Von meiner Schwester.
Mein Herz rutschte mir erneut in die Hose. Melody rief mich nie an. Nie.
“Was ist?”, fragte Caro. Ich musste wie ein paralysiertes Kaninchen geguckt haben.
Ich schluckte. “Hmm? Nichts.” Mit möglichst neutraler Miene steckte ich mein Handy zurück. Mein Herzschlag wollte sich nicht wieder verlangsamen.
Ich wartete darauf, dass Caro zum Taxistand laufen würde. Stattdessen atmete sie plötzlich tief durch und stellte sich vor mich hin.
“Hey”, beschwerte ich mich, als sie meine Schultern packte. “Was zur Hölle -”
“Hast du irgendwas genommen?” Ihre Stimme war ungewöhnlich harsch.
“Was?” Mein Gehirn war immer noch zugefroren.
“Ob du irgendetwas genommen hast? Tabletten? Pillen? Drogen?”
“Wie bitte?”, sagte ich entrüstet. “Das glaubst du doch selbst nicht!”
“Rose, ich mein’s ernst!” Sie sah mich eindringlich an. “Nicht nur hast du in den letzten Tagen so ziemlich jedes Getränk verschüttet, dass du gekauft hast. Vorhin hast du wie eine Irre neben mir herum gekreischt. Du siehst seltsame Tattoos auf alten Weibern und aus dem Flugzeug bist du mehr getorkelt als gelaufen. Und seither ist dein Blick abwesend und warum zum Teufel ist deine Haut so kalt?!”
“Wegen dem Schnee!”, stieß ich aus. Wie immer war mein Mund mal wieder schneller als mein Gehirn.
Sie war so baff, dass sie mich losließ. “Welcher Schnee?”
Ihr Blick ließ verlauten, dass sie in Gedanken schon dabei war, die nächstbeste Therapeutin anzurufen.
“In meinem Traum.” Ich versuchte, geduldig und möglichst nicht hysterisch zu klingen. “In meinem Traum war ich...ich weiß nicht, wo...aber da war Schnee...und Blut...und ein Wolf.” Ich merkte selbst, wie verrückt das klang und meine Stimme wurde immer lahmer, bis ich schließlich verstummte.
Sie starrte mich an. “Ein Wolf?”, wiederholte sie.
“Ja, ein Wolf”, blaffte ich, nun auch verärgert. “Ein Wolf ist kein Einhorn, okay? Und auch kein fliegender Elefant, also hör bitte auf, mich anzustarren, als wäre ich verrückt!”
“Naja”, sagte sie. “Für mich klingt das schon irgendwie, als hättest du irgendetwas intus.”
“Ich. Habe. Keine. Drogen. Genommen”, sagte ich laut und deutlich. Am liebsten hätte ich es ihr ins Gesicht geschrien, aber immerhin befanden wir uns immer noch am Flughafen und ich wollte nicht, dass irgendjemand anders von unserem kleinen Disput hier etwas mitbekam.
Sie seufzte. “Na schön. Ich glaub dir ja. Aber was sollte dann das alles?”
“Was meinst du?”, sagte ich. “Ich hab schlecht geträumt. Ich hab geschrien. Ist doch nichts dabei. Ich weiß ja, dass es hochgradig peinlich war, aber ich glaube, nun bist du diejenige, die aus einer Mücke einen Elefanten macht.”
Ich sah ihr an, dass sie mir dabei nicht zustimmte.
Schließlich stieß sie einen langen Seufzer aus und nickte. “Na schön”, sagte sie. “Na schön.” Dann warf sie mir einen weiteren eindringlichen Blick zu. “Aber wenn noch einmal so etwas passiert, dann erzählst du es mir, verstanden?”
Ich widerstand dem Drang “Ja, Mama” zu sagen. Stattdessen nickte ich einfach nur müde. “Klar”, sagte ich. Unwillkürlich musste ich an die verpassten Anrufe meiner Schwester denken. Ein Teil von mir wollte es ihr sogar erzählen.
Trotzdem brachte ich den Mund nicht auf. Stattdessen folgte ich ihr zum Taxistand.
Wir setzten uns in das nächstbeste Taxi. Keiner von uns sagte etwas; ich nahm an, dass wir beide einfach nur zu müde waren. Ich hoffte, sie spielte nicht mit dem Gedanken, all das meinen Eltern zu erzählen. Immerhin wussten wir beide genau, wie empfindlich die beiden mit dem Thema Drogen waren.
Plötzlich vibrierte meine Hosentasche.
Caro blickte hinunter. “Ist das dein Handy?”
“Anscheinend.” Innerlich stieß ich einen Fluch aus. “Vermutlich meine Mum oder so.”
“Seit wann hast du es auf Vibration gestellt?”
Ich runzelte die Stirn. “Hab ich...eigentlich nicht”, murmelte ich und griff nun doch nach meinem Handy. Sechs verpasste Anrufe von Melody – und einer von einer unbekannten Nummer. Ich löschte sie und wollte dann mein Handy auf lautlos stellen.
“Was?” Caro klang langsam auch leicht hysterisch.
“Es ist schon lautlos gestellt”, sagte ich.
Sie sah mich fragend an. “Aber gerade -”
Mein Handy vibrierte wieder.
Ich widerstand dem Drang, es aus Panik heraus aus dem Taxi zu schmeißen. “Vermutlich hängt es einfach nur. Ist schon alt.” Ich klickte die unbekannte Nummer weg und schaltete es aus. Normalerweise schaltete ich mein Handy nie aus – meine Eltern wären stolz auf mich.
Ich war froh, dass wir beinahe schon an Caros Haus waren. Selbst wenn es von hier aus nur eine fünfminütige Taxifahrt war, bevor ich mich meinen Eltern stellen musste, konnte ich diese Zeit für mich alleine gebrauchen.
Keiner von uns sagte mehr etwas, bis wir an Caros Haus ankamen.
Während der Taxifahrer ihr Gepäck aus dem Kofferraum holte, umarmten wir uns. “Du schreibst mir, okay?”, sagte sie.
“Sobald mein Handy wieder angeschaltet ist”, versprach ich. “Und natürlich erst, wenn ich in meinem Zimmer bin, weg von meinen Eltern”, fügte ich noch hinzu.
Sie schüttelte den Kopf. “Ja”, sagte sie nur, in einem seltsamen Ton. “Man sieht sich.”
“Ja”, erwiderte ich genauso. Ich war erleichtert, dass nichts Krasses mehr passiert war, um das sie sich Sorgen machen musste.
Sie drehte sich gerade zum Gehen, als mein Handy erneut vibrierte.
Caro wandte sich wieder um, ihre Tasche in der Hand. “Ich dachte, du hast es ausgeschaltet?”
Ich versuchte, das mulmige Gefühl in meinem Magen zu ignorieren. Ich fühlte mich wie in einem von diesen Hacker-Horror-Filmen. “Ja”, sagte ich, um einen lässigen, neutralen Ton bemüht. “Vielleicht ist der Akku leer.”
Sie warf mir einen eindringlichen Blick zu, nickte aber nur. “Ja, okay”, sagte sie nur. “Naja, bis dann.” Sie lief zu ihrem Haus.
Ich konnte ihren Blick spüren, bis das Taxi um die Ecke gebogen war.
Meine Hand zitterte leicht, als ich mein Handy aus der Tasche holte. Es war angeschaltet.
Zehn verpasste Anrufe von meiner Schwester. Fünf von einer unbekannten Nummer.
Und eine Nachricht von der Nummer.
Es war ein Foto.
Ich musste mich zusammenreißen, um nicht zu schreien.
Auf dem Bild war ein Wald zu sehen. Links stand ein Wolf – der Wolf, den ich gesehen hatte. Er war wirklich gigantisch. Sein Fell war überdeckt mit Eiskristallen und Blut. Der Boden unter ihm war damit getränkt.
Was mich aber noch mehr schockte war, dass ich auf der rechten Seite des Bildes saß – überdeckt mit Blut. Es war genauso, wie ich es in Erinnerung hatte – als hätte jemand ein Foto von meinem Traum gemacht!
Ich kniete auf dem Boden und sah zu dem Wolf hoch, mit geschockter Miene.
Mein Herz raste.
Was