Ein Mann will nach oben. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.
fähigen Zeichner, Herr Hartleben?« rief Herr Kalubrigkeit und deutete auf das Reißbrett des Jungen. »Dies Geschmier nennen Sie wohl eine Bauzeichnung?! Ich muß mich doch sehr wundern, Herr Hartleben, darüber sprechen wir noch –«
Und wahrhaftig, was da auf dem Reißbrett von Karl Siebrecht zu sehen war, sah nicht nach einer Bauzeichnung aus. Der Jackenärmel des hochfahrenden Jungen hatte gründliche Arbeit geleistet: es war Geschmier! »Ich verstehe es nicht«, stammelte der Oberingenieur. »Er hat sonst nie –«
Auch jetzt nicht die geringste Hilfe von Herrn von Senden. Dafür sagte Herr Feistlein schneidig: »Entschuldigen Sie die Unterbrechung, Herr Kalubrigkeit! Ich möchte feststellen, daß ich mehrfach die schwersten Bedenken gegen den Jungen bei Herrn Hartleben erhoben habe. Freilich ohne Gehör zu finden. Meiner Ansicht nach ist dieser Bengel faul, unfähig, vor allem aber zu Widersetzlichkeiten geneigt.«
»Und das lassen Sie sich gefallen, Herr Oberingenieur?!« rief Karl Siebrecht dem bedrückt Dastehenden zu. »Von diesem fetten Kerl, der raucht und säuft und sich immer, wenn Sie mal fort sind, von der Arbeit drückt?! Da meutern Sie nicht –?! Und Sie sagen kein Wort, wenn der feine Herr von Senden nicht verraten will, daß Sie mich auf seine Empfehlung eingestellt haben, jawohl, nur auf Ihre Empfehlung, Herr Rittmeister!«
»O heilige Einfalt ...« murmelte der Herr von Senden.
»Hübsche Dinge hört man da, hübsche Dinge«, meinte Kalubrigkeit. »Nun, darüber werden wir später reden, wir müssen jetzt hinauf zum Oberbaurat, Schwager. – Herr Hartleben, geben Sie diesem – Jungen seine Papiere und so viel Geld, wie er eben zu kriegen hat. In fünf Minuten ist er aus der Zeichenstube – verstanden?!«
»Jawohl, Herr Kalubrigkeit«, sprach der Oberingenieur.
Ein paar Minuten später stand Karl Siebrecht vor dem Oberingenieur. »Ich habe«, sagte er eilig, »dir auch ein Zeugnis ausgeschrieben, das ist alles, was ich noch für dich tun konnte.«
»Es tut mir leid, daß Sie so viel Unannehmlichkeiten meinetwegen haben.«
»Ach! Es geht schon in einem hin. Ich werde eben alt, mein Junge, du weißt noch nicht, was das heißt, und Herr Feistlein ist mehr nach dem Sinne unseres Chefs.«
»Der Rittmeister hätte Ihnen beispringen müssen«, sagte der Junge. »Ich hätte nie gedacht, daß er so feige ist!«
»Er will sich wohl bei seinem Schwager keine Läuse in den Pelz setzen. Der Kalubrigkeit ist eben der, der das Geld verdient. Und darum hängen wir von ihm ab und haben keinen Mut vor ihm. Das sind eben die Menschen, Karl.«
»Nein, das sind sie eben nicht!« antwortete der Junge. »Sie sind älter und viel klüger als ich, Herr Hartleben, aber das weiß ich nun doch besser. So sind die Menschen nicht, und so können sie auch gar nicht sein. Sonst kämen nur die Lumpen hoch und trampelten die anständigen Leute unter die Füße. Ich, ich werde anders hochkommen, und wenn ich hochgekommen bin, werde ich zu meinen Leuten anders sein.«
»Ich will es dir wünschen«, sagte der Oberingenieur trübe. »Also, mach es gut, Karl, du weißt, ich werde dich vermissen. Ich habe immer gerne an deinem Zeichentisch gestanden. Viel Glück, Karl!«
»Ich danke Ihnen auch schön, Herr Oberingenieur. Und ich wünsche Ihnen auch viel Glück!« Der Oberingenieur seufzte bloß. Die Tür des Zeichensaales schlug hinter Karl Siebrecht zu. Die hundert Jahre seines Sichersitzens waren vorüber.
19. Kalli Flau tritt auf
Schon auf dem Wege zu Felten hatte Karl Siebrecht den Entschluss gefaßt, Rieke vorläufig nichts von seiner Entlassung zu erzählen. Er würde am Morgen wie sonst losgehen und sich den Tag über nach einer neuen Arbeit umsehen. Vorläufig hatte er den Felten und mit ihm zwanzig Mark in der Woche. Dazu hatte er den ganzen Tag frei, er würde noch einen zweiten Laufburschenposten annehmen, zwanzig und zwanzig macht vierzig, dann stand er schon beinahe wie vor seiner Entlassung aus der Zeichenstube! Er kam fast zwei Stunden früher als sonst zu Felten, und das war nur gut, denn die Pakete und Ballen türmten sich dort schon. »Nun mal ein bißchen fix, Karl!« sagte Herr Felten verdrießlich. »Auf die Dauer geht das wirklich nicht so mit den paar Abendstunden. Die Kundschaft klagt auch, daß du immer erst so spät kommst.«
»Vielleicht«, sagte Karl Siebrecht vorsichtig, »vielleicht kann ich jetzt ein paar Tage lang auch vormittags kommen, Herr Felten, wir haben im Augenblick nicht so viel zu tun.«
»Ach nein?« sagte der Felten sehr aufmerksam, und der Junge wußte sofort, daß er einen Fehler gemacht hatte. »Da haben Sie dich wohl rausgesetzt?«
»Keine Spur!« rief Karl Siebrecht. »Was Sie bloß denken, Herr Felten. Ich müßte auch erst den Oberingenieur fragen. Sicher ist noch gar nichts.«
»Soso. Na ja, denn mach mal schnell, Karl. Du mußt heute mindestens viermal fahren.«
»Es würde auch eine Kleinigkeit extra kosten, wenn ich dann vormittags käme«, bohrte Karl Siebrecht weiter.
»Was, noch mehr?!« rief Herr Felten. »Kommt gar nicht in Frage, Karl! Zwanzig Mark sind mir schon lange viel zu viel!«
»Meine Arbeit ist bestimmt zwanzig Mark wert!«
»Stimmt! Alles, was wahr ist! Aber rechnen kannst du nicht, Karl! Wenn ich mir nun einen Laufburschen für zwölf Mark nehme –«
»Was der schon tut für zwölf Mark in der Woche! Das ist doch Bruch, Herr Felten!«
»Gewiß wird er weniger tun als du, Karl. Aber der ist dann zehn, elf Stunden hier, und in der Zeit schafft er für seine zwölf Mark eben doch so viel wie du für deine zwanzig in vier Stunden! Da habe ich doch recht, Karl?« Karl schwieg. »Na, ich will nicht so sein, Karl. Ich will dich ja auch nicht auf zwölf Mark runtersetzen, aber von der nächsten Woche an sagen wir fünfzehn, was? Ich kann doch kein Geld an dir verlieren!«
Karl Siebrecht war so verblüfft über diesen unerwarteten Ausgang seiner Forderung auf Lohnaufbesserung, daß er eine ganze Weile schwieg. Dann sagte er ärgerlich: »Tut mir leid, Herr Felten. Für weniger als zwanzig Mark arbeite ich nicht. Dann mache ich Schluss!«
»Du wirst es dir überlegen, Karl«, sagte Felten gleichmütig. »Jetzt, wo das Fest vorbei ist und wir den stillen Januar haben, gibt es Laufburschen wie Heu.«
Während Karl Siebrecht mit seinem vollen Dreirad mühselig gegen den feuchten Wind anstrampelte, mußte er immer an die letzten Worte von Felten denken: der Mann hatte ja recht! Es war Januar geworden, es war nicht mehr die überhastete Weihnachtszeit. An vielen Geschäften ging die Ladenklingel nur für die Umtauschenden, faule Geschäfte, stille Zeit. Es war ein verdammt schlechter Zeitpunkt, den sich Karl Siebrecht da zum Arbeitswechsel ausgesucht hatte. Schließlich mußte er in den sauren Apfel beißen und sich mit den fünfzehn Mark einverstanden erklären. Aber nein, das tat er nicht, den Gefallen tat er dem Felten nicht! In der nächsten Woche würde ihn der Mann auf zwölf Mark heruntersetzen und so immer weiter! Felten hatte es eben doch gerochen, daß auf der Zeichenstube Schluss war. Es war eine Dämlichkeit gewesen, den Mann erst auf diesen Gedanken zu bringen – aber darum willigte er doch nicht ein. Zwanzig Mark oder Schluss. Und was dann? fragte eine leicht besorgte Stimme. Ach was! Gerade als Karl Siebrecht dies »Ach was!« dachte, kippte das Dreirad. Von Natur kippen Dreiräder, namentlich wenn sie stark belastet sind, nicht leicht. Aber das Pflaster war durch den nassen Wind von einer leichten Eisschicht überzogen, bei der Fahrt um eine Ecke war das Rad erst gerutscht, dann gegen die Bordschwelle geschlagen, an dieser Bordschwelle kippte es ...
Ach was! hatte Karl Siebrecht gerade gedacht, und laut rief er: »Da haben wir den Salat!« Da lag er schon auf dem Bürgersteig, halb begraben unter seinen Stoffpaketen.
»Da hast du den Salat!« antwortete ihm eine andere lachende Stimme, und jemand machte sich daran, die Pakete von ihm abzuräumen.
Sofort dachte Karl Siebrecht an den Handwagen in der Wiesenstraße und den Dieb Fritz Knill. Mit einem Ruck machte er sich frei, sprang auf die Beine und schrie: »Hände weg von meinen Paketen!«
»Sachte,