DER ELEGANTE MR. EVANS. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.
Der liebe Gott wurde dabei nicht gefragt.
George liebte das Geld um des Geldes willen. Die meisten Menschen erzählen einem, dass ihnen das Geld nichts ausmacht, bis auf die Dinge, die man damit kaufen kann. George mochte schlicht und einfach Geld. Er wollte alles Geld haben, das existierte, und es schien ihn schwer zu treffen, mit ansehen zu müssen, wie ein außergewöhnlich großer Betrag einfach an ihm vorbeilief. Er lebte sparsam, aß recht wenig und wechselte jedes Jahr seinen Trainer.
Wenn eines seiner Pferde nicht gewann und er Geld verlor, dann unternahm er alles Mögliche, außer sich bei den Stewards zu beschweren. Er behielt denselben Jockey niemals mehr als für drei Rennen, weil er glaubte, dass Jockeys Rennen »kaputt reiten« konnten und den Sieger unter sich ausmachten, um in die eigenen Taschen zu wirtschaften. Er glaubte auch, dass alle Trainer inkompetent seien und alle Jockeys, die nicht für seine Farben ritten, in einer Verschwörung zusammenhielten, um »gut auf alles aufzupassen«.
Wenn er gewann, (und das geschah recht oft), hatte er schon vor dem Rennen seinen Freunden erzählt, dass sein Pferd eine knappe Chance habe, und riet ihnen, nicht zu hoch zu wetten.
George hasste fallende Preise, weil er konstant seine Wetten bei den S.P. Büros platzierte. (S.P. = starting price, also der Wettpreis des Pferdes beim Start des Rennens, anstelle von geschätzten Quoten im zeitlichen Vorfeld. d.Ü.) Und wenn er gewann, spielte er den Überraschten und erzählte jedermann, wie nahe er daran gewesen sei, einen Fünfer zu setzen; aber nachdem er sich in einer ruhigen Minute das Ganze überlegt hatte, entschied er sich doch angesichts der fälligen Einkommensteuer, es sei eine beinahe kriminelle Geldverschwendung. Und es gab einige Leute, die ihm das abnahmen.
George hatte einigermaßen gute Laune, als er sich hinaus ins Hippoleum begab; denn gerade an diesem Morgen war er von Wiltshire gekommen, wo er einen Probelauf von »Blue Chuck« beobachtet hatte, der für ihn im Newbury Cup starten sollte.
»Blue Chuck« hatte die Pferde in diesem Vorlauf in Grund und Boden gelaufen und mit straff angezogenem Zügel um Längen gewonnen. Und keine einzige Person von der schreibenden Zunft hatte auf »Blue Chuck« getippt. Er war ein sicherer Tipp, als einer von den »anderen 100 : 6« zu starten, und George übte bereits sein völlig überraschtes Gesicht, das er seinen Bekannten präsentieren wollte.
In fröhlicher Erwartung, wie sich der Mittwoch so anließ, brach Mr. Canfyn auf, mit drei alten, aber kostenlosen Brandies, die seine innere Zufriedenheit noch ein wenig mehr bestärkten (aus einer Musterflasche, die ihm ein fehlgeleiteter Weinhändler überlassen hatte). Und dann kam das Unheil.
Drei Polizisten brachten ihn in die Hallam Street Station und hier hätte die Angelegenheit noch zu aller Zufriedenheit gelöst werden können, wenn nicht der dritte jener Brandies begonnen hätte, seine fatale Wirkung zu zeigen.
»Ihr Halunken! Dafür ziehe ich euch die Hosen vom Arsch!«, kreischte er, als sie ihn gründlichst durchsuchten. »Ich bin der ehrenwerte George Canfyn, der Sohn von Lord Llanwattock...«
»Wie lautet die Anklage?«, fragte der genervte diensthabende Sergeant, dem solche Aufruhr-Szenen nicht fremd waren.
»Betrunken und ungebührlich und tätlicher Angriff«, sagte der Polizist, der diesen Ausbund an Vornehmheit hereingebracht hatte.
»Ich bin nicht betrunken!«, röhrte George. »Lassen Sie diese Dinge da, wo sie sind. Das sind meine privaten Papiere! Und zählen Sie gefälligst das Geld – wenn da ein Penny fehlt, sorge ich dafür, dass Sie aus der Polizei hinausgeworfen werden...«
»Nummer acht«, sagte der Mann am Schreibtisch und man führte George hinunter.
»Oh, wie kann ein Mann nur seinen Feind in den Mund nehmen, dass der sein Gehirn wegfrisst«, murmelte der Inspektor im Türeingang zu seinem Büro. »Saufen ist etwas Schreckliches, Sergeant!«
»Ja, Sir«, antwortete der Sergeant und schaute zur Uhr an der Wand. Sie stand ganz knapp vor zehn.
Der Inspektor ging seufzend in sein Büro zurück. Der große Schreibtisch war mit Karten und adressierten Briefumschlägen übersät und der Inspektor ein älterer Herr und rechtschaffen müde. Für einen langen Augenblick betrachtete er die Anhäufung von Arbeit, die erledigt werden musste, bevor um Mitternacht die Post hinausging.
Inspektor Pine betätigte sich, neben anderen Tätigkeiten, als Sekretär der »Bruderschaft des Rennplatzes zur Unterdrückung der Spielsucht«. Und die Karten enthielten Einladungen zu einer Versammlung der Bruderschaft, auf der das Programm des kommenden Jahres besprochen werden sollte. Leider fehlte bis jetzt noch auf jeder der Tausenden von Karten der Hinweis, dass wegen eines dringenden Termins der Bischof von Chelsea nicht werde teilnehmen können.
Pine war völlig in die Betrachtung des unfertigen Werkes vertieft, als nach kurzem Anklopfen der Müller den Raum betrat.
»Es ist ein Wunder geschehen, Sir«, sagte er. »Ich habe drei ehrbare Leute gefunden, die beschwören können, dass Evans sich so gut wie in ihrem Sichtbereich befand, als der Diebstahl begangen wurde. Mr. Isaacheim, der bekannte und angesehene Kommissionär...«
»Ein Buchmacher«, murmelte Inspektor Pine vorwurfsvoll.
»Immerhin, er zahlt seine Steuern und auch die Kommunalsteuer«, sagte der Müller anstandshalber. »Und obwohl das Glücksspiel für mich so eine Art krimineller Verrücktheit darstellt, müssen wir seine Aussage zur Kenntnis nehmen,. Und Mr. Corgan vom ‚Blue Hart’...«
»Ein Kneipenwirt«, sagte der alte Pine bekümmert.
»Und ein alter Sünder. Aber er ist ein sehr bekanntes Mitglied des Stadtrates. Kann ich dem Wärter sagen, er solle Evans gehen lassen?«
Inspektor Pine nickte und seine Augen kehrten zu der unerledigten Arbeit zurück.
»Ich nehme an, dass Sie niemanden kennen, der mir helfen könnte, diese Karten in die Briefumschläge zu stecken?«
Es hörte sich an wie ein SOS-Ruf: Ein Aufruf, an den Müller persönlich gerichtet.
»Nein, Sir«, erwiderte der Müller prompt; und dann, als ihm ein bestimmter Gedanke kam: »Warum fragen Sie nicht den Evans? Er ist ein Mann von Bildung und wäre bestimmt froh über eine Pause von einigen Stunden.«
Educated Evans hatte fünf schlaflose Stunden in einer großen und hygienisch einwandfreien Zelle verbracht, dort wechselweise über die Ungerechtigkeit der Menschen gegenüber einem einzelnen nachgedacht wie über den erschöpften Zustand seiner Barschaft. Denn seine Besitztümer bestanden aus ganzen zwölf Shilling und Sixpence für eine Bahnfahrt nach Newbury und die Eintrittskarte. Um noch in irgendeine Wette zu investieren, reichte es einfach nicht. Man stand erst am Anfang der Saison und seine Kundschaft hatte sich wegen seiner fehlgeschlagenen Versuche, einigermaßen durch den Winter zu kommen, beinahe aufgelöst. Er würde wohl bis zum Tag der Jubilee-Veranstaltung brauchen, bis er ihr Vertrauen zurückgewonnen hatte.
Der Klang einer verärgerten Stimme ließ ihn durch das Gitter des Ventilators blicken; so erkannte er den ehrenwerten George Canfyn, der soeben in seine Zelle abgeführt wurde. Als der Wärter sich entfernt hatte: »Entschuldigen Sie, bitte, Mr. Canfyn!«, sagte Evans völlig aufgeregt und mit heiserem Flüstern durch den Ventilator.
»Was wollen Sie?«, grollte es aus der Nachbarzelle.
»Ich bin Johnny Evans, Sir, besser bekannt als Educated Evans, der berühmte Turf-Ratgeber. Was ist morgen mit Ihrem Pferd, ‚Blue Chuck’?«
»Gehen Sie zum Teufel!«, donnerte die Stimme des Mitgefangenen.
»Ich kann da vielleicht etwas Gutes tun«, bohrte Evans weiter. »Ich habe einen...«
»Scheren Sie sich doch zum Teufel, Sie...«
In all seinem Ärger bedachte er Evans mit etlichen Beschimpfungen.
Der meditierte soeben über die seltsamen Wege des Schicksals, das den Sohn eines Millionärs in die Zelle Nr. 8 gebracht hatte, als das Schloss seiner eigenen plötzlich aufsprang.
»Du kannst gehen, Evans«, sagte der Müller leutselig. »Ich habe