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Der Meerkönig. Balduin MöllhausenЧитать онлайн книгу.

Der Meerkönig - Balduin Möllhausen


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befindliche Ritze, und Du wirst es finden! Aber wenn Du noch einer Probe von menschlicher Regung fähig bist, so gieb es mir zurück - gieb es mir zurück, und ich verzeihe Dir Alles, was ich durch Dich erduldet habe!«

      Die letzten Worte vernahm der Gauner nicht mehr. Er war bereits in die Kammer, einen dunklen, leeren Raum mit einer dürftigen Strohschütte, eingetreten, und schon in der nächsten Minute erschien er wieder mit einem sorfältig in einen unsauberen Zeugstreifen gewickelten Paketchen in der Hand.

      »Ist dies das rechte?« fragte er, indem er nach dem Feuerherde schritt.

      Die Frau nickte zustimmend und verfolgte mit ängstlichen Blicken die Bewegungen ihres Gatten.

      Dieser hatte sich unterdessen dem Feuer genähert und entfernte unter mancherlei Bemerkungen über die Sorgfalt, mit welcher seine Frau das wichtige Document gegen das Vermodern zu schützen gewußt habe, die sechsfache Hülle von dem Paketchen, bis er endlich nur noch ein altes, mit vergilbter Schrift bedecktes Papier in den Händen hielt.

      »Richtig, ein Blatt aus einem Kirchenbuche!« rief er frohlockend aus, nachdem er einen prüfenden Blick auf das auseinander gefaltete Folio-Blatt geworfen hatte, und dann begann er, die einzelnen auf demselben verzeichneten Namen für sich zu lesen.

      »Lauter Bauern,« sagte er nach einer Weile, als er die eine Seite zu Ende gelesen hatte, »davon ist's natürlich Keiner; doch halt, wen haben wir hier?« rief er plötzlich aus. Als er aber gewahrte, daß die Blicke seiner nunmehr gesättigten Tochter mit starrer Neugierde auf ihn gerichtet waren, ergriff er einen brennenden Holzspan, und sich zu seiner Frau niederneigend, deutete er auf einen Namen.

      »Nicht wahr, dieser hier ist's?« fragte er mit unterdrückter und vor innerlicher Freude bebender Stimme.

      »Ja, der ist's,« lautete die kaum verständliche Antwort; »aber nun gieb mir auch das Blatt zurück.«

      »Vielleicht später,« versetzte der Gauner gefühllos, indem er sich erhob und, das Blatt in seinen auf dem Rücken verschränkten Händen, mit gesenktem Kopfe in dem Gemache auf und ab zu schreiten begann.

      Wohl zehn Minuten verstrichen in tiefem Schweigen. In dem Gemache selbst war kein anderes Geräusch vernehmbar, als die schweren Schritte des Mannes, das lustige Knistern des kienreichen Holzes, das gepreßte Athmen der Kranken und das eigenthümliche Pfeifen, mit welchem das Kind, trotz der Nähe des Feuers, in seine braunen, schwieligen Hände hauchte, während aus den anderen Theilen des Hauses wüster Lärm von zankenden Weibern, scheltenden Männern und weinenden Kindern dumpf herüberschallte.

      Plötzlich blieb der Gauner mit einer so heftigen Bewegung stehen, daß die Frau, die ihn unausgesetzt, Verzweiflung in den Blicken, beobachtet hatte, erschreckt zusammenfuhr.

      »Ich habe mir die Sache überlegt,« hob er mit drohend entschiedenem Wesen an; »es wird sich daraus Etwas machen lassen, wenn man es geschickt anfängt.«

      »Du wirst das Blatt doch nicht behalten wollen?« fragte die Frau, sich vor Angst halb aufrichtend.

      »Mische Dich nicht in Angelegenheiten, die Du nicht verstehst,« entgegnete der Bösewicht ungeduldig; »allerdings behalte ich das Blatt, und zwar, um zu seiner Zeit guten Gebrauch davon zu machen, was wir schon längst hätten thun können, wärest Du nicht so beschränkten Geistes gewesen.«

      »Aber der Doctor, der Doctor, was soll ich ihm antworten, wenn er mir den ihm versprochenen Beweis abverlangt? Gieb mir das Blatt wieder, das Blatt, oder Du erlebst, daß ich zu Deinem und meinem Ankläger werde!«

      »Klage uns immerhin an,« hohnlachte der Gauner, »und die nächste Folge wird sein, daß man das Kind von Dir nimmt, Dich aber in's Zuchthaus schickt. Meine Person dagegen? Hahaha! mein Nein gilt so viel, wie Dein Ja, und wer würde wagen, einen unbescholtenen Mann, gegen den keine Beweise vorliegen, in Untersuchung zu ziehen? Hahaha! Noch mehr: Du erhältst das Blatt nicht nur nicht zurück, sondern ich verbiete Dir auch bei allen Strafen, denen ich Dich zu unterwerfen vermag, daß Du ein einziges Wort, sei es nun vor dem Doctor oder irgend einer andern Person, darüber verlauten läßt!«

      »Mein Gott, was soll ich antworten, wenn er mich fragt?«

      »Thue, was Du willst,« versetzte der Mann trocken; »Du hattest keinen Auftrag, den Doctor in Dein Vertrauen zu ziehen, Du magst also auch zusehen, wie Du Dir aus der Verlegenheit heraushilfst. Sage ihm, er habe geträumt, oder Du habest geträumt; denke Dir irgend ein Märchen aus - aber nur eine Andeutung von der Wahrheit, und ich stürze aus der Kammer herein und werfe den Doctor sammt seinem Zeugen über Hals und Kopf zur Thür hinaus, und ob sie alsdann von unserer Thüre bis auf die Straße auf Rosen wandeln werden, wirst Du wohl ermessen!«

      Offenbar wollte die unglückliche Frau ihr Flehen erneuern, doch wurde sie durch den Schall einer auf dem Hofe angebrachten geborstenen, heiseren Klingel daran gehindert.

      »Da sind sie,« sagte der Gauner, indem er der Thür zuschritt; »es bleibt also dabei; kein Wort von dem Kirchenbuche!«

      Dann auf den Hof hinaustretend, zog er an einer andern, helleren Klingel, auf deren Ton der Lärm in den übrigen Theilen des Hauses, bis auf einige Kinderstimmen, sogleich verstummte, worauf er wieder in das Gemach zurückkehrte.

      »Riekchen,« wendete er sich an das zagend zu ihm aufschauende Mädchen, »Du kannst hingehen und die fremden Herrschaften hereinführen. Vergiß aber nicht: Du hast keinen Vater; es ist auch während des ganzen Abends Niemand hier gewesen - und bedanke Dich schönstens für das Abendbrod.«

      Das Kind nickte zum Zeichen des Verständnisses und entfernte sich; die Mutter wälzte sich stöhnend auf ihrem harten Lager, und der Mann begab sich in die Kammer, die Thür halb hinter sich zuziehend, durch die Spalte aber noch zu seiner Frau zurückspähend.

      »Was dem Kinde galt, gilt auch Dir; hast Du es gehört?« rief er im Flüstertone hinüber.

      »Ich habe gehört, daß Du Dein Kind in Lug und Trug unterrichtest,« antwortete die Frau leise.

      »Narrheiten! Was geht das Dich an? Also nur eine Silbe, die mir nicht paßt, und es giebt ein Unglück!«

      Die Frau schwieg; der Gauner lauschte nach dem Hofe hinüber, und als er endlich von dort her Stimmen vernahm, zog er die Thür fest heran, der größeren Sicherheit wegen die an derselben befestigte kurze Kette über einen in den Thürpfosten eingeschlagenen Nagel hängend.

      8. In der Höhle des Elends. (Fortsetzung)

      Das Klirren der den Riegel ersetzenden Kette war eben verstummt, als unter Riekchen's Hand die Thür sich öffnete und gleich darauf Doctor Bergmann's freundliche Stimme erschallte.

      »Fürchten Sie sich nicht, mein liebes Kind,« sprach er zu der von seiner Hand geführten Gräfin, und zugleich ließ er beim Eintreten das ihn in seinen Bewegungen hindernde Bündel, welches er so lange getragen hatte, fallen; »in den Wohnungen des Elends können Sie nicht erwarten, etwas Anderes, als nacktes Elend zu finden, und es ist immer gut, dergleichen kennen zu lernen, um das eigene Glück besser zu würdigen und sich vor strafbarer Ueberhebung zu bewahren.«

      »Doctor, wohin haben Sie mich gebracht?« flüsterte die Gräfin entsetzt, sobald sie nach ihrem Eintritt einen Blick um sich geworfen.

      »An eine Stelle, wohin Ihre gute Mutter mich ebenfalls begleitet haben würde, mein liebes Kind,« antwortete der Doctor, einen Augenblick stehen bleibend, um seiner Gefährtin hinreichend Muße zu gönnen, sich an ihre Umgebung einigermaßen zu gewöhnen - »an eine Stelle, wohin warme Herzen, wie das Ihrige, zeitweise gehören, um Qualen und Noth zu lindern, aber auch, um zu lernen. Ja, mein liebes Kind, lernen Sie hier, wie viele Menschen von Dem glücklich gemacht werden könnten, was von ihren bevorzugten Mitmenschen, der Eitelkeit und dem Hochmuthe fröhnend, leichtsinnig verschleudert, vergeudet und in den Koth getreten wird. Lernen Sie, wie viele Thränen getrocknet werden könnten mit den Schätzen, die vornehmen Lastern und sträflichen Neigungen mit verbrecherischem Leichtsinn geopfert werden. Lernen Sie; glauben Sie, die Blicke Ihrer verklärten Mutter seien jetzt gerade auf Sie gerichtet, und streben Sie,


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