Der Meerkönig. Balduin MöllhausenЧитать онлайн книгу.
des Allmächtigen belohnt werde.«
Als die Blicke der Gräfin auf die verwunderungsvoll zu ihr emporschauenden Augen des Kindes fielen, wich die Scheu vor einem Gefühle des unendlichsten Mitleids, der tiefsten Theilnahme.
»Armes Kind!« sagte sie mit einem Ausdrucke, der ihren väterlichen Freund veranlaßte, schnell nach seiner Dose zu greifen und demnächst mit dem Taschentuche über sein Gesicht hinzufächeln. »Aber tröste Dich, liebe Kleine, Dir soll ein besseres Loos zu Theil werden,« fuhr sie fort, dem vor Erstaunen sprachlosen Kinde die Hand reichend; »ich will Dich mit mir nehmen ...«
»Nicht doch, nicht doch,« unterbrach sie der Doctor, dessen gutes Gesicht vor Stolz und Freude über seinen Liebling leuchtete, »das ist nicht die rechte Art, Gutes zu thun. Man muß nicht blindlings den ersten Herzensregungen folgen, oder man fesselt sich die Hände zu sehr, um auch noch Anderen nachdrückliche Hülfe zuwenden zu können. Prüfen, mein liebes Kind, prüfen und wie ein kluger Arzt nach dem Sitze des Leidens forschen, und dann mit Ueberlegung helfen und rathen, anstatt bei Einzelnen die Vorsehung zu spielen, sie mit einem ganzen Füllhorn voll ungeahnter und ungehoffter glänzender Wohlthaten zu überschütten und darüber andere, vielleicht geignetere, um nicht zu sagen: bedürftigere Unglückliche zu vernachlässigen. Das arme Kind hier vor uns möchten Sie plötzlich, wie in einem Märchen, in schimmernden Glanz versetzen; wer sagt Ihnen aber, daß dadurch sein Glück begründet würde? Wer sagt Ihnen, daß Sie im Sinne seiner kranken Mutter handelten, oder seines Vaters ...?«
»Ich habe keinen Vater, er ist lange todt,« unterbrach das Kind den Doctor schüchtern.
»So hast Du wenigstens noch eine Mutter,« fuhr dieser bedauernd fort, indem er auf die kranke Frau wies, die sich krampfhaft unter ihrer dürftigen Decke wand, »und die würde es gewiß nicht gern sehen, wenn Du von ihr getrennt lebtest. - Nein, meine liebe Renate, wir müssen anders zu Werke gehen, wir müssen den Leiden der unglücklichen Frau auf den Grund zu kommen suchen und bei ihr auch mit unserem Beistande beginnen. Und sehen Sie dieselbe nur an, sie leidet sehr.«
»Gewiß leidet sie furchtbar,« pflichtete Renate bei, indem sie näher an das Lager der Kranken herantrat, wie um sich zu überzeugen, daß Alles Wirklichkeit sei; »Gott, mein Gott, wie ist es möglich?« sprach sie sodann leise. »Arme Frau, Ihnen soll geholfen, Ihre Lage soll erleichtert werden; aber es fehlt Ihnen an Allem, sagen Sie daher, welches Ihre nächsten Wünsche sind, und ich will mich beeilen, dieselben zu erfüllen.«
Seit dem Eintritte des Doctors und dem ersten Anblicke der Gräfin hatte die Unglückliche sprachlos da gelegen.« Sie erwartete, in dem von dem Arzte mitgebrachten Zeugen einen vielleicht eben so alten Mann zu finden, und statt dessen trat ein junges Mädchen vor sie hin, dessen Liebreiz sie fast blendete. Als Renate aber in so herzlicher Weise zu ihr sprach, als sie Worte der Theilnahme und des Wohlwollens vernahm, wie deren seit vielen Jahren nicht an sie gerichtet worden waren, da krampfte ihr Herz sich schmerzhaft zusammen, und bittere, heiße Thränen entströmten ihren Augen.
O, was hätte sie darum gegeben, aufrichtig und vertrauensvoll zu dem betrübt zu ihr niederschauenden holdseligen Wesen sprechen zu dürfen! Allein diese Erleichterung war ihr nicht gegönnt, die Blicke ihres grausamen Manne waren durch die Thürspalte auf sie gerichtet, und nur zu genau wußte sie, daß derselbe seine Drohung ausführen, auf die leiseste Andeutung ihres Geheimnisses aus seinem Verstecke hervorbrechen und den Doctor sammt seiner jugendlichen Begleiterin aus der Thür weisen würde.
Das Schweigen wäre ihr nicht so schwer geworden, allein daß sie diejenigen, die gekommen, um ihre Noth zu lindern, hintergehen und täuschen sollte, wie das Kind sie bereits getäuscht hatte, das war es, was sie in die grenzenloseste Verzweiflung trieb, sie förmlich betäubte. Und wäre es ihr wirklich gelungen, um Erbarmen für ihre Tochter zu flehen, das Herz der Fremden trotz des brutalen Auftretens ihres Mannes zu erweichen, mußten dieselben nicht zurückbeben vor der Verderbtheit eines Kindes, welches ruhig seinen Vater verläugnete, während derselbe lauschend nur wenige Schritte von ihm saß? Alle diese Gedanken bestürmten auf einmal den Geist der Unglücklichen, und selbst die Thränen, welche ihren Augen in Fülle entströmten, verschafften ihrem gequälten Herzen keine Erleichterung.
Nachdem sie sich endlich wieder einigermaßen gefaßt hatte, hob sie ihre Hände wie beschwörend zu Renaten empor.
»Liebe, junge Dame,« rief sie unter Schluchzen aus, und eine wilde Verzweiflung sprach aus ihren trüben Augen, »wie konnten Sie es wagen, diese Höhle des Elends zu betreten, sich der Gefahr auszusetzen, mit der verpesteten Luft dieses Hauses Ihre Gesundheit zu vergiften?«
»Lassen Sie das, gute Frau,« entgegnete Renate mit rührender, aufmunternder Freundlichkeit, »das sind Nebensachen; sprechen Sie nur gerade heraus, wo Ihnen Hülfe am meisten Noth thut. Aber Sie sind ja gräßlich gebettet, ein Glück, daß der Doctor auch daran dachte.«
So sprechend, eilte sie davon, um das in eine Decke eingeknüpfte Bündel, dessen Schwere ihre Kräfte fast überstieg, herbeizuschleppen.
»Was ich in der Geschwindigkeit zusammenraffen konnte, habe ich genommen,« fuhr sie geschäftig fort, indem sie das Bündel öffnete; »hier sind zuerst zwei wollene Decken, die Ihnen und Ihrem armen Töchterchen gut thun, wenigstens so lange, bis wir für ein regelmäßiges Bett gesorgt haben werden. Auch etwas Wäsche bringe ich mit; sie wird Ihrem Töchterchen zwar nicht passen, allein Sie müssen sich schon so lange damit behelfen, bis ich anderes Zeug habe anfertigen lassen. Eben so ist es mit den Strümpfen; aber nun beruhigen Sie sich auch und sagen Sie, ob Sie Hunger oder Durst empfinden, oder ob Sie für das Kind irgend etwas wünschen.
»Liebe, junge Dame,« brachte die leidende Frau endlich mit Mühe hervor, »wie könnte ich noch etwas wünschen, nachdem Sie mich so überglücklich durch Ihre reichen Geschenke gemacht haben? Gegessen und getrunken haben wir, auch zu morgen früh ist noch etwas Milch vorhanden, und das Geld, welches der Herr Doctor mir einhändigte, ist ebenfalls noch nicht ganz ausgegeben worden. Nur eine Bitte habe ich an Ihr edles Herz, meine liebe, junge Dame, es ist die Bitte einer um ihr Kind besorgten Mutter.«
»Sprechen Sie, gute Frau,« versetzte Renate freundlich; »ich bin ja nur hier, um Ihnen meinen Beistand anzubieten.«
»Ich bin krank, sehr krank; schon seit Wochen habe ich diese kalte Stelle nicht verlassen, und unsere wenigen Möbel mußten zerschlagen werden, um nur hin und wieder etwas Feuer und Wärme zu schaffen. Meine arme Tochter hat so viel zusammengebettelt, daß wir nothdürftig unser Leben zu fristen vermochten; aber auch ihre schwachen Kräfte müssen bei der schrecklichen Kälte schnell ihr Ende erreichen.
»Ja, ich fühle mich sehr krank, und wenn ich nun stürbe, was sollte dann wohl aus meiner verwaisten Tochter werden? Ich habe ihr, so lange ich lebe, freilich nichts Anderes zu bieten, als das tiefste Elend, allein sie weiß doch, wohin sie gehört und daß es wenigstens Ein Herz auf Erden giebt, welches in Liebe für sie schlägt. Bin ich aber erst todt, so wird sie von fremden Menschen herumgestoßen und geschlagen werden, bis sie endlich der Last erliegt und vielleicht unter freiem Himmel von ihren Leiden erlöst wird. Darum, liebe junge Dame, und auch Sie, lieber Herr, erbarmen Sie sich meines Kindes, und ich will in meinen letzten Augenblicken freudigen Herzens allen Segen des Himmels auf Sie herabflehen und mich ohne Murren von meinem Kinde trennen.«
»Trösten Sie sich, liebe Frau,« versetzte Renate, die Thränen des innigsten Mitgefühls von ihren Wangen entfernend, »um Ihr Töchterchen brauchen Sie nicht besorgt zu sein; es soll für dasselbe in angemessener Weise gesorgt werden. Aber denken wir jetzt an Ihren eigenen Zustand; Sie sind krank, man sieht es Ihnen an, doch vielleicht ist Ihr Zustand noch gar nicht besorgnißerregend - nicht wahr, Herr Doctor?« wendete sie sich darauf an diesen; »und wäre er wirklich besorgnißerregend, so giebt es Arzneimittel genug, jede Gefahr zu beseitigen und Ihnen Ihre volle Gesundheit wiederzugeben. Sind Sie nicht derselben Meinung, Herr Doctor?«
Als die Gräfin zum ersten Male fragte, schien der Doctor es gänzlich überhört zu haben. Ueberhaupt hatte Renate bisher das Wort allein geführt; denn sobald sie mit der Kranken das Gespräch begonnen hatte, war der Doctor leise zurückgetreten, und wie sein lieblicher Schützling beim Anblicke fremder Leiden Alles um sich her vergaß und nur an die schnelle Linderung der schrecklichen