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Der Meerkönig. Balduin MöllhausenЧитать онлайн книгу.

Der Meerkönig - Balduin Möllhausen


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daß er mehrfach seine Zuflucht zu der Tabaksdose nehmen mußte und sich sogar nicht entblödete, einen stillen Accord auf seinem spanischen Rohr zu blasen und dem kleinen Mädchen, welches, starr vor Erstaunen, mit weit geöffneten Augen zu ihm emporschaute, demnächst einen leisen Schlag mit demselben spanischen Rohr auf den Rücken zu geben.

      Als Renate zum zweiten Male fragte, war er eben im Begriff, mit festen Schritten und geräuschvoll aufgestoßenem Stocke einen Kreis auf dem ihm zu Gebote stehenden beschränkten Raume zu beschreiben; doch schien ihm dabei kein einziges der zwischen der Gräfin und der Kranken gewechselten Worte entgangen zu sein. Er kehrte sich nämlich kurz um, und neben der unglücklichen Frau niederknieend, ergriff er deren Hand, um sich von ihrem Pulsschlage zu überzeugen.

      »Noch immer Fieber,« sagte er, ohne indessen in seinem Wesen Bedenken zu verrathen; »aber es kann nicht anders sein. Aufregung und Noth tragen das Ihrige dazu bei; im Ganzen erscheint mir der Zustand nicht besorgnißerregend und mehr aus einer furchtbaren Erschöpfung, welche ein Wechselfieber stets mit sich führt, zu entspringen. Entbehrungen und Mangel an geeigneter Pflege haben Sie vorzugsweise so weit heruntergebracht. Also Muth, liebe Frau, das soll anders werden, und zwar bald, wenn auch nicht mehr heute Abend, denn Alles auf einmal läßt sich nicht machen. Die erste Noth ist gehoben, und damit müssen wir vorläufig zufrieden sein; ich habe Ihnen übrigens Arznei mitgebracht, die Sie genau nach Vorschrift nehmen müssen.«

      Nachdem er sodann mittels des eisernen Löffels, den das Kind herbeibrachte, der Kranken von der Arznei verabreicht, breitete er die beiden Decken sorgfältig über sie hin, wobei Renate ihm hilfreiche Hand leistete, und dann sich an das Kind wendend, rieth er diesem, für die nächste Nacht ebenfalls seine Zuflucht an der Seite der Mutter unter den Decken zu nehmen.

      »Und nun, meine gute Frau,« redete er darauf die Kranke wieder an, »ist Alles geschehen, was nur immer geschehen konnte. Sie dürfen sich vollständig über die Zukunft beruhigen, und erinnere ich Sie daran, daß diese liebe Dame hier der Zeuge ist, den mitzubringen ich versprach. Sie können also rückhaltlos sprechen und Ihr Herz, ohne Scheu vor irgend welchen nachtheiligen Folgen, erleichtern und vor uns ausschütten; denn nicht als Richter sind wir gekommen, sondern als Aerzte des Leibes und des Gemüths. Fassen Sie sich daher und seien Sie überzeugt, wenn es in unseren Kräften steht, dann soll das Unrecht, auf welches Sie bei meinem ersten Besuche hindeuteten, gesühnt und ausgeglichen werden.«

      »Ich als Zeuge?« fragte Renate befremdet, jedoch so, daß nur der Doctor sie verstand.

      »Ja, mein liebes Kind; erschrecken Sie nicht, es handelt sich nicht um eine öffentliche Gerichtssitzung, sondern um die Möglichkeit, vielleicht auch noch anderen Bedrängten mit Rath und That zur Hand zu gehen - aber was ist Ihnen?« wendete er sich darauf an die Kranke, als diese wieder heftig zu schluchzen begann; »Ihre Ruhe müssen Sie bewahren, meine gute Frau. Weshalb sich beunruhigen, wenn man sich unter Freunden befindet? Ueberwinden Sie die Scheu, sprechen Sie die ersten Worte, und Sie werden sehen, daß die anderen leichter nachfolgen.«

      »Ja, ich will, und mag Gott meinem armen Kinde gnädig sein!« rief die Frau laut aus, indem sie sich halb emporrichtete.

      Da knackte die Kammerthür leise. Es erklang, als ob die zunehmende Wärme in dem Gemache die feuchten Breter zusammengezogen und dadurch das Geräusch verursacht habe.

      Dem Doctor und seiner jungen Gefährtin war das Geräusch entgangen; auf die Kranke dagegen übte es eine Wirkung aus, als sei dadurch plötzlich eine tödliche Krisis hervorgerufen worden.

      Mit einem tiefen Seufzer sank sie auf ihr Lager zurück, ihre Hände rangen sich in einander und starr waren ihre Blicke auf die geborstene Decke gerichtet.

      »Fassen Sie Muth, Frau,« versetzte der Doctor, nachdem er Renaten einen bedeutungsvollen Blick zugeworfen hatte; »Sie sehen hier meine Begleiterin; bedenken Sie, es ist beinahe Mitternacht, und ich darf das liebe Kind nicht zu lange Einflüssen aussetzen, die ihrer Gesundheit nachtheilig werden können. Fassen Sie also Muth und beginnen Sie.«

      »Herr Doctor,« stöhnte die Frau verzweiflungsvoll, ich kann nicht - nein, ich weiß nichts! Es war nichts, ich sprach im Fieber - ich sehnte mich darnach, Sie wiederzusehen! Um weitere Hülfe von Ihnen zu erlangen, nahm ich meine Zuflucht zu einer Nothlüge.«

      »Aber, liebe Frau, ich wäre ja auf alle Fälle wiedergekommen. Oder glauben Sie, ich hätte es über mich gewinnen können, Sie ohne Hülfe in Ihrem Elende sitzen zu lassen?« erwiderte der Doctor, und seine lebhaften Augen blitzten argwöhnisch hin und her, als hätte er die Ursache der so unerwarteten Sinnesänderung erspähen wollen; denn daß die Frau Etwas auf dem Herzen habe, was sie schwer bedrückte, bezweifelte er nicht, eben so begriff er aber auch, daß sie ihn in diesem Augenblicke aus irgend einem geheimnißvollen Grunde hinterging.

      »O, Sie sind so gut, so edel, so wohlthätig!« flehte die Unglückliche weiter. »Aber Herr Doctor, ich beschwöre Sie, dringen Sie nicht weiter in mich - denn - ich weiß nichts - als daß der Tod für mich eine Wohlthat wäre!«

      »Dann eignen sich Ihre Mittheilungen wohl nicht für das Ohr eines jungen Mädchens?« fragte der Doctor ernst, seine Stirn in sinnende Falten legend.

      »Ja - Nein - ich weiß nicht,« flüsterte die Kranke mit bebenden Lippen.

      »Nun nun, beruhigen Sie sich,« versetzte der Doctor wieder in milderem Tone, während er mit Renate einen Blick des Einverständnisses austauschte, »ich will ja nicht mit Gewalt in Sie dringen. Vielleicht fühlen Sie sich zu einer andern Zeit besser aufgelegt, und wir sind gern bereit, wiederzukommen. Was meinen Sie zum Beispiel zu morgen Abend?«

      Die geängstigte Frau sann eine Weile nach, bis das leise Knacken der Thür sich wieder vernehmen ließ.

      »Nein nein, nicht heute, nicht morgen!« rief sie flehentlich aus. »Lassen Sie mich unbeachtet verderben, lassen Sie die junge Dame nie wieder dieses Haus betreten, denn ich weiß nicht, was ich Ihnen mittheilen könnte!«

      »Tausend Welt noch einmal, es ist ja schon gut,« entgegnete der Doctor, indem er in einer Anwandlung von Ungeduld schnell einen Kreis in der Stube abschritt, »wir wollen ja gar nichts wissen! Aber nun trösten Sie sich, sonst hilft Ihnen die Medicin nicht und alle meine Mühe ist vergebens. Machen Sie, daß Sie bald einschlafen, und morgen im Laufe des Tages werde ich mich wieder nach Ihnen umsehen. Vielleicht bringe ich Ihnen noch einige andere Erleichterungen mit, nicht wahr, mein liebes Kind?« wendete er sich darauf an Renate, die mitleidig die sich krampfhaft windende Frau betrachtete.

      »Gewiß, Herr Doctor,« antwortete Renate, mit einer Stimme, welche ihre ganze Herzensgüte, ihre ganze Bereitwilligkeit, zu helfen, ausdrückte. »Aber soll ich nicht etwas Geld hinterlassen?«

      Der Doctor sann eine Weile nach.

      Plötzlich schritt er nach dem Feuerherde hin, auf welchem ein zusammengeknittertes Stück blaues Papier seine Aufmerksamkeit erregt hatte, und ohne sich um Renatens oder des Kindes verwunderte Blicke zu kümmern, führte er das Paier, nachdem er es geglättet und von beiden Seiten betrachtet hatte, an die Nase.

      Der Geruch desselben übte offenbar Einfluß auf seine Entscheidung aus, denn er warf das Papier in's Feuer, worauf er sich schnell wieder der Gräfin zuwendete:

      »Nein, mein theures Kind, geben Sie das Geld mir, ich werde das Nöthige besorgen und veranstalten, denn die Frau selbst ist nicht im Stande, ihr Lager zu verlassen, und das Kind? Das würden schöne Einkäufe werden, die ein acht- oder neunjähriges Mädchen besorgte! Nein, nein, bleiben wir bei meinem Vorschlage - und nun gute Nacht, beste Frau; noch einmal rathe ich Ihnen, versuchen Sie, zu schlafen. Morgen sehen wir uns wieder.« So sprechend, bot er Renate den Arm, und ohne dieser zu gestatten, noch besonders Abschied zu nehmen, oder die Ergüsse der Dankbarkeit von Seiten der Mutter abzuwarten, schritt er hastig der Thür zu, bei welcher sich das Kind bereits aufgestellt hatte, um sie nach der Straße hinaus zu begleiten.

      Kaum waren der Doctor und seine Begleiterin von dem kleinen Hofe in den finstern und schmalen Gang des Hauptgebäudes getreten, da schlüpfte der Gauner aus seinem Versteck, und nachdem er mittels der bekannten Klingel den übrigen Hausbewohnern das Zeichen gegeben, daß ›die Luft wieder rein sei‹, trat er


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