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Der Meerkönig. Balduin MöllhausenЧитать онлайн книгу.

Der Meerkönig - Balduin Möllhausen


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Druck mit einem kurzen Knarren antwortete, prallte der kleine Schatten erschreckt zurück.

      Eine Minute blieb er mit einem Ausdrucke der Unentschlossenheit stehen, und erst als die Gasse wieder einmal auf kurze Zeit ganz menschenleer war, schlüpfte er einige Schritte weit von der Thür fort, und hastig und mit einer Gewandtheit, die man dem kleinen Wesen kaum zugetraut hätte, zog es einen lose eingefügten Stein aus dem nächsten von dem morschen Gebälk gebildeten Fache auf die Straße heraus.

      Offenbar hatte Riekchen, denn sie war es ja, schon vielfach auf diesem Wege, gleich anderen unglücklichen Kindern, Eingang in das verödete Haus gefunden, wenn des Vaters Schläge sie von dannen getrieben und das böse Wetter das Betteln zu beschwerlich und wenig lohnend machte; denn dem ersten Steine folgte der zweite bald nach, und noch keine Minute hatte sie bei dieser seltsamen Arbeit zugebracht, da war die Oeffnung groß genug, um mit Bequemlichkeit hindurchschlüpfen zu können.

      Einen scheuen Blick warf sie die stille Gasse hinunter. Die Beleuchtung der einzigen in derselben trübe brennenden Laterne traf sie nicht, kein menschliches Auge war auf sie gerichtet, und Zeit hatte sie nicht mehr zu verlieren, wenn sie den von der Mutter erhaltenen Auftrag gewissenhaft ausführen wollte. Schnell entschlossen hing sie daher das große Umschlagetuch über ihren Arm, und Kopf und Schultern in die Maueröffnung schiebend, verschwand sie mit einer Schnelligkeit im Innern, als ob sie plötzlich in die Erde gesunken wäre.

      Einmal im Innern, war es keine schwere Aufgäbe für sie, ihrem Vater unentdeckt nachzufolgen. Sie kannte ja jeden Zollbreit der alten Baracke, die ihr so oft Schutz gewährt hatte, und wo die Stufen unter dem Gewichte Merle's und des vornehmen Geschwisterpaares krachten und knarrten, da glitt die leichte, schmächtige Gestalt so geräuschlos über dieselben hin, als ob sie wirklich nur ein schwebender Schatten gewesen, wäre. -

      »So, meine Herrschaften, Sie mögen jetzt so offen und ungenirt sprechen, als ob Sie sich auf dem Monde befänden,« sagte Merle, nachdem er eine halbe Wachskerze angezündet und auf einer Schuttanhäufung mittels Lehmklößen und kleinen Steinen zum Stehen gebracht hatte. »Niemand hört uns, Niemand sieht uns, und wenn wir dieses Haus nach zufriedenstellender Abwickelung unserer Geschäfte verlassen haben, kennt Einer den Anderen nicht mehr. Sie sehen, ich halte auf Anstand und bin ein Mann von Wort.«

      Diejenigen, an die er diese Erklärung richtete, antworteten nicht gleich. Nachdem sie sich so lange in der undurchdringlichen Finsterniß befunden hatten, blendete sie sogar die von dem Lichte ausströmende gedämpfte Helligkeit, und mit ängstlicher Neugierde spähten sie nach allen Richtungen, um sich mit dem Charakter ihrer Umgebung vertraut zu machen.

      Beide sahen in Folge der anhaltenden Aufregung bleich aus, doch war eine finstere Entschlossenheit auf ihren Zügen ausgeprägt, nur daß bei dem Grafen sich erst mit dem Aufflackern des Lichtes der Muth wieder eingestellt zu haben schien, der ihn, so lange er der vermeintlichen Gefahr nicht gerade in's Auge schauen konnte, gern bis zu einem gewissen Grade verließ.

      Trotzdem war er immer noch eine schöne, stattliche Erscheinung, die durch den bürgerlichen Anzug, welchen er vorsichtiger Weise angelegt hatte, keineswegs beeinträchtigt wurde, und wenn jemals ein Mensch eine sogenannte aristokratische Haltung zeigte, so war es der Graf, als er in Merle einen zwar vierschrötigen, aber ihm doch nur bis zur Schulter reichenden und augenscheinlich nicht mit ungewöhnlicher Körperkraft ausgerüsteten Menschen erkannte.

      Die Gräfin dagegen bot in ihrer männlichen Kleidung das Bild eines tadellos gewachsenen, zarten Jünglings, aus dessen Zügen aber eine Willenskraft sprach, die den meisten Männern, namentlich ihrem stattlichen Bruder, zur Ehre gereicht haben würde.

      Die weiten Pelze und die der rauhen Jahreszeit angemessenen Kopfbedeckungen gestatteten übrigens nicht, viel von ihren Figuren zu entdecken, nur wenn sie sich bewegten, traten dieselben hinlänglich durch den weiten Faltenwurf hervor, um ihre äußeren Formen nothdürftig verfolgen und sogar bemerken zu können, daß nicht allein der Graf, sondern auch seine Schwester Waffen führten, die, an sich unscheinbar, doch in einem Handgemenge allen anderen vorzuziehen sind.

      Das Gemach unterschied sich in seiner Ausstattung kaum von Merle's Behausung, als dieselbe noch nicht durch Doctor Bergmann's Einschreiten so wesentlich verändert worden war. Nur geräumiger erschien es und seiner höheren Lage wegen nicht so feucht, obwohl auch hier der verwitterte Lehmüberwurf von Wänden und Decke losgebröckelt war und den Fußboden dicht bedeckte. Jedenfalls stand der verödete Raum im Einklange sowohl mit der äußeren Erscheinung und den Worten des verwegenen Gauners, wie mit den Gefühlen und Plänen, welche das Geschwisterpaar hiehergeführt hatten.

      »Nicht wahr, meine gnädigen Herrschaften, eine schöne Gelegenheit hier, Geheimnisse auszutauschen?« fuhr Merle mit vertraulicher Höflichkeit fort, als seine Begleiter ihm auf die erste Anrede die Entgegnung schuldig blieben.

      »Darum handelt es sich nicht,« versetzte die Gräfin, ihre Lippen voller Verachtung emporkräuselnd; »Sie brauchen uns nicht auf Dinge aufmerksam zu machen, die wir bequem mit unseren eigenen Augen sehen. Aber giebt es hier nicht irgend einen Gegenstand, auf welchen man sich niedersetzen könnte? Ich fühle mich erschöpft von der ungewohnten Wanderung.«

      Ueber das brutale Gesicht des Gauners zuckte ein Blitz giftiger Schadenfreude und innerer Befriedigung, und mit einer Bereitwilligkeit, welche selbst den Grafen überraschte, beeilte er sich, auf einer Stelle, die ziemlich frei von Schutt, mehrere der umherliegenden Mauersteine so über einander zu schichten, daß sie zwei Menschen einen nothdürftigen Sitz gewährten.

      Nachdem das Geschwisterpaar sich niedergelassen hatte, scharrte er etwa zwei Schritte weit von ihnen den Schutt zur Seite, wobei er verstohlen nach etwas suchte. Sein Stiefel stieß endlich an einen im Fußboden befestigten, ihm selbst nur bemerkbaren Gegenstand, worauf er sich ohne viel Rücksicht für seinen Anzug so auf den staubigen Boden warf, daß der gesuchte Gegenstand sich im Bereiche seiner Hände befand. Zu gleicher Zeit achtete er aber auch darauf, daß die Beleuchtung seinen Rücken traf, während sie voll auf die noch immer bleichen und eine hohe Spannung verrathenden Gesichter des Grafen und seiner Schwester fiel.

      »Meine gnädigen Herrschaften,« eröffnete er alsbald die Unterhaltung mit einem Anstande, der früheren und besseren Zeiten angehörte, jetzt aber durch eine Beimischung niedriger Frechheit widerwärtig wurde, »ich erlaube mir, vorzuschlagen, so wenig Worte wie möglich zu machen; verkehren wir wie redliche und gebildete Leute mit einander und ereifern wir uns nicht, damit wir recht bald zu einem endgültigen Schlusse gelangen.«

      »Ersparen Sie sich die Vorrede,« entgegnete die Gräfin ruhig, während des Grafen Hand unter seinem Pelze sich auf einen Pistolenkolben legte; »sagen Sie, was Sie für Ihr sogenanntes Geheimniß fordern, und es soll mir auf ein paar Louisd'or mehr nicht ankommen.«

      »Ich glaube es Ihnen gern, gnädigste Gräfin,« erwiderte Merle nicht minder ruhig; »für Ihresgleichen ist es gewiß keine Freude, mit einem Menschen von zweideutigem Charakter um Mitternacht über eine Sache zu unterhandeln, die weit eher vor den Untersuchungsrichter gehörte. Fassen Sie dies indessen nicht von der schlimmsten Seite auf; denn morgen, wenn Sie in Ihren erleuchteten Sälen strahlend umherschweifen und die allgemeine Bewunderung auf sich ziehen, sieht kein Mensch Ihnen an, daß Sie in dieser Nacht mit einem armen Schlucker verkehrten.«

      »Was soll das heißen, Unverschämter? Haben Sie uns hieher gelockt, um Narrenpossen mit uns zu treiben?« fuhr der Graf empor.

      Die Gräfin dagegen, obwohl ihre Zähne sich auf einander preßten, legte die Hand beschwichtigend auf den Arm ihres Bruders.

      »Ereifere Dich nicht, der Mensch hat im Grunde Recht, und Deine Heftigkeit verursacht nur neuen Zeitverlust,« sagte sie kaltblütig, worauf sie Merle ein Zeichen gab, fortzufahren.

      »Ja, Herr Graf, ereifern Sie sich nicht,« wiederholte der Gauner im Geschäftstone, »Sie müssen die Sachen nehmen, wie sie kommen. Uebrigens sollen Sie mit mir zufrieden sein, oder glauben Sie vielleicht, ich hätte mir um nichts und wieder nichts so viel Mühe mit Ihnen gemacht, oder gar, um Sie zu berauben? Rauben schlägt nicht in mein Fach, ich verdiene mir meinen Unterhalt auf redlichere Weise. Allerdings hatte ich Ihnen das kostbare Blättchen Papier ebenso gut anderswo einhändigen können, und Sie


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