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Der Meerkönig. Balduin MöllhausenЧитать онлайн книгу.

Der Meerkönig - Balduin Möllhausen


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Gewicht beilegen kann, ohne vor die Thür geworfen oder gar als Betrüger den Gerichten überantwortet zu werden.«

      »Weiter!« befahl die Gräfin, ihre Lippen fast blutig beißend, als Merle schwieg.

      »Gern, gnädigste Gräfin; auch ich sehne mich, zu Ende zu kommen, denn es ist verteufelt kalt in dieser löcherigen Bude, und bis zu einem Zobelpelze habe ich es noch nicht gebracht. Also auch Sie und Ihr Herr Bruder bezweifeln nicht die Wichtigkeit des erwähnten Documentes oder dessen Echtheit, oder Sie würden sich gehütet haben, mir bis hierher zu folgen. Ja, ja, ich kenne das aus Erfahrung, ein böses Gewissen ist eine mächtige Triebfeder; doch ich sehe, Sie werden ungeduldig, kommen wir daher zur Sache selbst:

      »Auf einem Dorfe, wohl an hundert Meilen weit von hier, lebte vor etwa neun oder zehn Jahren ein alter, steinalter Pfarrer. Der Pfarrer, ohne nähere Angehörigen, hatte eine junge Wirthschafterin zu sich genommen, die seiner Haushaltung redlich vorstand. Sie war ein gutes Mädchen, und schön war sie auch, ja, so schön, daß sogar vornehme Herren sich herabließen, ihre Augen auf sie zu werfen.«

      »Weiter, weiter!« rief die Gräfin, ungeduldig mit dem Fuße stampfend.

      »Bitte, gnädigste Gräfin,« erwiderte Merle, indem er mit der Hand in den Schutt griff und daselbst etwas festhielt, »erschüttern Sie das Haus nicht, es steht sehr lose. Ich sprach von der Wirthschafterin - gut also. Eines Tages erhielt Dorothea - so hieß sie - die Aufforderung, zu einer vornehmen Dame in der nahe gelegenen Stadt zu kommen.

      »Dorothea, in der Meinung, es handle sich um die Anstellung ihres Bräutigams - einen Bräutigam hatte sie nämlich auch, und zwar einen hübschen, ansehnlichen jungen Menschen, der aber in einer andern Stadt wohnte und trotz seines Leichtsinns ihr treu blieb, nachdem er sie als Soldat auf dem Durchmarsche kennen gelernt - verzeihen Sie meine Weitschweifigkeit,« schaltete Merle hier ein, »es gehört indessen Alles zur Sache, wie Sie gleich hören werden. Kurz und gut also: Dorothea, von den schönsten Hoffnungen beseelt, leistete der seltsamen Einladung Folge.

      »Mit der erhofften Anstellung war es indessen nichts; die vornehmen Herrschaften, Bruder und Schwester, hatten nicht einmal die Ehre, den Herrn Bräutigam zu kennen, dagegen erkundigten sie sich sehr angelegentlich nach Dorothea's Verhältnissen und fragten schließlich, ob sie nicht Lust habe, einige Hundert Thaler zu verdienen.

      »Dorothea dachte an ihren Geliebten, der ebenfalls arm wie eine Kirchenmaus war, und daß derselbe ihr wohl untreu werden könne, wenn die Hochzeit nicht bald stattfinde. Ferner leuchtete ihr ein, daß die paar Hundert Thaler zur Begründung eines kleinen Hausstandes gerade ausreichen würden, und sie erklärte sich mit Freuden bereit, den vornehmen Herrschaften den Dienst zu leisten. Sie schrak wohl zurück, als man ihr zumuthete, ein ihr bezeichnetes Blatt aus dem Kirchenbuche zu entwenden und den Herrschaften einzuhändigen; allein freundliches Zureden, Schmeicheln von Seiten des Herrn Grafen und endlich die bestimmte Aussicht auf ihre Verheirathung verscheuchten die letzten Bedenken und sie mißbrauchte das Vertrauen des alten Pfarrers. Außerdem mochte sie darauf gerechnet haben, daß der bejahrte Herr, der sich schon vielfach durch einen Candidaten vertreten lassen mußte, nicht mehr lange leben und das Fehlen des Blattes, wenn es nach dessen Tode überhaupt entdeckt werden sollte, wohl seiner Zerstreutheit zur Last gelegt werden würde. Der Küster war aber noch älter, als der Pfarrer, und verstand von kirchlichen Angelegenheiten nicht mehr, als gerade nothwendig, um Küster zu spielen.

      »Dorothea und ihre hochgeborenen Freunde hatten also allen Grund, anzunehmen, daß der Diebstahl ihnen niemals zur Last gelegt werden könne, und die Sache wurde daher ganz im Sinne des Herrn Grafen und der noch sehr jungen, dafür aber um so schlaueren Gräfin ausgeführt. Unverantwortlich bleibt nur, daß die arme Dorothea von denjenigen, die sie zu dem Diebstahle verleiteten, getäuscht wurde.«

      »Jedenfalls ist sie für ihre Dienstleistung glänzend bezahlt worden,« fiel die Gräfin dem Gauner in die Rede; »Sie brauchen übrigens nicht so ausführlich zu sein, nachdem Sie den Beweis geliefert, daß Sie mit dem Vorgange, der damals aus einer unbedachtsamen Laune entsprang, hinlänglich vertraut sind, um uns einige Verdrießlichkeiten bereiten zu können. Beantworten Sie mir ein paar Fragen, übergeben Sie mir das unterschlagene Blatt, geben Sie mir ferner die sichere Bürgschaft, daß Sie diese Angelegenheit nie wieder mit einer Silbe berühren, und es wird Ihnen eine Summe ausgezahlt werden, die vielleicht Ihre Erwartungen noch übertrifft.«

      »Recht gern, meine gnädigen Herrschaften,« versetzte Merle mit einem verschmitzten Lächeln; »auch mir ist es lästig, alte Geschichten wieder auskramen zu müssen, und mögen Sie daher so viel fragen, wie Sie nur immer wollen.«

      Die Gräfin sann eine Weile nach, warf einen unzufriedenen Blick auf ihren Bruder, der das, was er eben vernommen hatte, gar nicht fassen zu können schien, und dann wendete sie sich an Merle:

      »Wo befindet sich jetzt das verrätherische Blatt, welches damals unvorsichtiger Weise im Besitze der albernen Wirthschafterin gelassen wurde?«

      »Hier,« antwortete Merle, indem er ein zusammengefaltetes Papier aus der Brusttasche zog, es aber sogleich wieder zurückschob.

      »Wer steht uns für die Echtheit desselben?« fragte die Gräfin weiter.

      »Ich mit meiner Ehre und Sie mit Ihren guten Augen, wenn ich Ihnen den Wisch erst eingehändigt haben werde - doch das hat noch keine Eile.«

      Ueber der Gräfin Gesicht breitete sich wieder eine Wolke der bittersten Verachtung aus.

      »Was ist aus der Wirthschafterin geworden?« fragte sie nach einer kurzen Pause.

      »Nun, das Mädchen mochte sich nach dem Diebstahl nicht mehr recht heimisch bei dem alten Pfarrer fühlen; denn anstatt dessen Tod abzuwarten und noch Dieses oder Jenes aus dem Nachlasse zu beziehen, benutzte es das Geld dazu, dem Geliebten nachzureisen, ihm mit den Paar Hundert Thalern die Augen zu verblenden und sich mit ihm trauen zu lassen. Leider reichte das Geld nicht weit; noch kein Jahr war verstrichen, und der letzte Groschen war zum Teufel.«

      »Sie scheinen die Verhältnisse der Wirthschafterin genau zu kennen.«

      »Hm, ja, ich sollte wohl!«

      »Was ist aus ihr geworden und wo befindet sie sich jetzt?«

      »Sie ist längst todt; ich kam noch gerade zur rechten Zeit, um das Blatt in Empfang zu nehmen, welches sie neben einem vollen Bekenntnisse einem fremden Herrn zugedacht hatte.«

      »Weiß der Mann der Verstorbenen nichts von der Geschichte?«

      »Bis zu ihrem Tode hatte er keine Ahnung davon. Sie war verschwiegen, wie das Grab, und außer den gnädigen Herrschaften bin ich jetzt der Einzige, der das Geheimniß kennt.«

      »So sind Sie wohl gar der Gatte jener Wirthschafterin?«

      »Ihnen zu dienen! Ich war es bis zu ihrem Tode und habe das Geheimniß in rechtlicher Weise von meiner verstorbenen Frau geerbt; nur hoffe ich, da sie selbst sich außer dem Bereiche jeder gerichtlichen Verfolgung befindet, es besser zu verwerthen, als sie gethan hat.«

      »So geben Sie denn das Blatt, und ich will Ihnen auf der Stelle zwanzig Louisd'or dafür auszahlen.«

      »Zwanzig Louisd'or?« fragte Merle achselzuckend.

      »Ich lege noch dreißig hinzu,« versetzte der Graf schnell, als ob plötzlich ein Entschluß in ihm reif geworden wäre, und zugleich zog er seine Brauen drohend zusammen.

      »Das macht im Ganzen fünfzig,« entgegnete Merle kaltblütig, ohne des Grafen drohende Haltung auch nur eines Blickes zu würdigen. »Bah, was sind fünfzig Louisd'or! Verdoppeln Sie die Summe, und ich will sehen, was sich thun läßt. Es wäre ja möglich, daß noch Leute lebten, die mir gern das Vierfache dafür böten; es ist mir nur zu unbequem, nach solchen zu forschen. Ich denke: Ein Sperling in der Hand ist besser, als zehn auf dem Dache! Also, meine Herrschaften, entscheiden Sie sich schnell - hundert Louisd'or, keinen Pfenning weniger! Wollen Sie, oder wollen Sie nicht? Bedenken Sie gefälligst, daß meine Stellung mir nicht erlaubt, viel Zeit mit Ihnen zu verlieren.«

      »Unverschämter Schurke, vergessen Sie nicht, mit wem Sie sprechen!« fuhr der Graf jetzt


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