Deutsches Märchenbuch + Neues Deutsches Märchenbuch. Ludwig BechsteinЧитать онлайн книгу.
nichts zu Liebe tun konnte, und die Zeit
wurde ihr lang, wenn sie so allein saß, denn der Alte
war fast den ganzen Tag auswärts.
Da kam einmal ein junger Wandergesell am Häuschen
vorüber, der grüßte sie und sie grüßte ihn und
sie gefiel ihm, und er kam näher und sie fragte ihn,
wohin er reise, woher er komme? – »Ach!« seufzte
der junge Gesell: »Ich bin gar traurig. Ich hatte noch
sechs Brüder, die sind von dannen gezogen sich Bräute
zu holen und mir, dem Jüngsten, wollten sie auch
eine mitbringen, sind aber nimmer wieder gekommen,
und da bin ich nun auch fort vom Hause, und will
meine Brüder suchen.«
»Ach lieber Gesell!« rief die Braut: »da brauchst
du nicht weiter zu gehen! Erst setze dich und iß und
trinke etwas, und dann laß dir erzählen!« Und gab
ihm zu essen und zu trinken, und erzählte ihm, wie
seine Brüder in die Stadt gekommen, und wie sie ihre
Schwestern und sie selbst als Bräute mit sich nach
Hause hätten führen wollen, und daß sie für ihn, ihren
Gast, bestimmt gewesen, und wie der Alte sie bei sich
behalten, und die andern in graue Steine verwandelt
habe. Das alles erzählte sie ihm aufrichtig und weinte
dazu, und auch daß der Alte kein Herz in der Brust
habe und daß es weit weit weg sei in einer festen Kirche
und in einem unsterblichen Vogel. Da sagte der
Bräutigam: »Ich will fort, ich will den Vogel suchen,
vielleicht hilft mir Gott, daß ich ihn fange.« – »Ja das
tue, daran wirst du wohl tun, dann werden deine Brüder
und meine Schwestern wieder Menschen werden!«
und versteckte den Bräutigam, denn es wurde schon
Abend, und als am andern Morgen der Alte wieder
fort war, da packte sie dem Wandergesellen viel zu
essen und zu trinken ein, und gab es ihm mit, und
wünschte ihm alles Glück und Gottes Segen auf seine
Fahrt.
Als nun der Gesell eine tüchtige Strecke gegangen
war, deuchte ihm, es sei wohl Zeit zu frühstücken,
packte seine Reisetasche aus, freute sich der vielen
Gaben und rief: »Holla! nun wollen wir schmausen!
herbei, wer mein Gast sein will!«
Da rief es hinter dem Gesellen: »Muh!« und wie er
sich umsah, stand ein großer roter Ochse da und
sprach: »Du hast eingeladen, ich möchte wohl dein
Gast sein!« – »Sei willkommen und lange zu, so gut
ich's habe!« Da legte sich der Ochse gemächlich an
den Boden, und ließ sich's schmecken, und leckte sich
dann mit der Zunge sein Maul recht schön ab, und als
er satt war, sagte er: »Habe du großen Dank und
wenn du einmal jemand brauchst, dir in Not und Gefahr
zu helfen, so rufe nur in Gedanken nach mir, deinem
Gast.« Und erhob sich und verschwand im Gebüsch.
Der Gesell packte seine Tafelreste zusammen
und pilgerte weiter; wieder eine tüchtige Strecke, da
deuchte ihm nach dem kurzen Schatten den er warf, es
müsse Mittag sein, und seinem Magen deuchte das
nämliche. Da setzte er sich an den Boden hin, breitete
sein Tafeltuch aus, setzte seine Speisen und Getränke
darauf, und rief: »Wohlan! Mittagmahlzeit! Jetzt
melde sich, was mittafeln will!« Da rauschte es ganz
stark in den Büschen, und es brach ein wildes
Schwein heraus, das grunzte: »Qui oui oui«, und
sagte: »Es hat hier jemand zum Essen gerufen! Ich
weiß nicht ob du es warst, und ob ich gemeint bin?«
»Immerhin, lange nur zu, was da ist!« sprach der
Wandersmann und da aßen sie beide wohlgemut miteinander
und schmeckte beiden gut. Darauf erhob sich
das wilde Schwein und sagte: »Habe Dank, bedarfst
du mein so rufe dem Schwein!« und damit trollte es in
die Büsche. Nun wanderte der Gesell gar eine lange
Strecke, und war schon gar weit gewandert, da wurde
es gegen Abend, und er fühlte wieder Hunger und
hatte auch noch Vorrat, und da dachte er: wie wär es
mit dem Vespern? Zeit wär es dächt ich; und breitete
wieder sein Tuch aus und legte seine Speisen darauf,
hatte auch noch etwas zu trinken, und rief: »Wer Lust
hat mit zu essen, der soll eingeladen sein. Es ist nicht,
als wenn nichts da wäre!« Da rauschte über ihm ein
schwerer Flügelschlag und wurde dunkel auf dem
Boden, wie vom Schatten einer Wolke, und es ließ
sich ein großer Vogel Greif sehen, der rief: »Ich hörte
jemand hier unten zur Tafel einladen! Für mich wird
wohl nichts abfallen?«
»Warum denn nicht? Lasse dich nieder und nimm
vorlieb, viel wird's nicht mehr sein!« rief der Jüngling,
und da ließ sich der Vogel Greif nieder und aß
zur Genüge und dann sagte er: »Brauchst du mich, so
rufe mich!« hob sich in die Lüfte und verschwand. Ei,
dachte der Geselle: der hat's recht eilig; er hätte mir
wohl den Weg nach der Kirche zeigen können, denn
so finde ich sie wohl nimmer und raffte seine Sachen
zusammen, und wollte vor dem Schlafengehen noch
ein Stückchen wandern. Und wie er gar nicht lange
gegangen war, so sah er mit einem Male die Kirche
vor sich liegen und war bald bei ihr, das heißt, am
breiten und tiefen Graben, der sie rings ohne Brücke
umzog. Da suchte er sich ein hübsches Ruheplätzchen,
denn er war müde von dem weiten Weg und
schlief, und am andern Morgen da wünschte er sich
über den Graben und dachte: Schau, wenn der rote
Ochse da wär und hätte rechten Durst, so könnte der
den Graben aussaufen und ich käme trocken hinüber.
Kaum war dieser Wunsch getan, so stand der Ochse
schon da und begann den Graben auszusaufen. Nun
stand der Gesell an der Kirchenmauer, die war gar
dick