Der kleine Fürst Staffel 8 – Adelsroman. Viola MaybachЧитать онлайн книгу.
weg, aber ich …«
Er legte beide Hände um ihr Gesicht und küsste sie auf den Mund. »Ich möchte auch keine Katastrophe erleben, Elsbeth, und deshalb bin ich einverstanden: Wir lassen uns Zeit.«
Sie lächelte ihn an. »Gute Nacht, Uli.«
»Gute Nacht, Elsbeth.« Noch einmal küsste er sie, ebenso zart wie zuvor, dann drehte er sich um und ging.
*
Anna und Christian wachten am nächsten Morgen sehr früh wieder auf. »Wo würdest du das Testament verstecken, wenn du nicht wolltest, dass es jemand findet, den es nichts angeht?«, fragte Anna.
»Und wenn du wolltest, dass Franzi es findet«, murmelte Christian. »Es muss einer ihrer Lieblingsplätze im Haus sein oder ein Lieblingsgegenstand.«
»Könnte sein«, gab Anna zu. »Lass uns gehen.«
»Jetzt?«
»Natürlich jetzt. Lucius schläft doch noch. Wir hinterlassen ihm eine Nachricht.«
Auf dem kurzen Weg hinüber zum Gutshaus gingen sie in Gedanken jeden Winkel des Hauses noch einmal durch, vom Keller bis zum Dachboden. »Ein Ort, an dem Franzi das Testament eigentlich finden müsste – aber niemand sonst«, murmelte Christian. »Wo könnte das bloß sein?« Er hatte die Frage kaum ausgesprochen, als er auch schon wie angewurzelt stehenblieb, seine Augen leuchteten. »Die alte Puppe!«, rief er. »Anna, Franzis alte Puppe, die ihr Vater ihr geschenkt hat und von der sie sich nie trennen wollte! Er hat wohl nicht damit gerechnet, dass sie sie seit seinem Tod nicht mehr angerührt hat, weil sie immer sofort weinen muss!«
»Los!«, stieß Anna hervor.
Sie kamen vollkommen außer Atem im Gutshaus an, rannten an der verdutzten Elsbeth vorbei in Franziskas Arbeitszimmer, wo sie die Puppe von ihrem Platz im Regal nahmen.
Elsbeth war ihnen gefolgt. »Was wollt ihr denn mit Mia?«, protestierte sie.
Christian schraubte der Puppe mit gekonntem Griff den Kopf ab und zog ein eng beschriebenes Blatt Papier hervor.
»Das Testament«, sagte er. »Hier ist es.«
*
Alexis wich erschrocken zurück, nachdem er die Tür geöffnet hatte: Vor ihm standen mehrere bewaffnete Polizisten. Zwei von ihnen packten ihn an beiden Armen, im nächsten Augenblick klickten Handschellen.
»Was soll das?«, rief er. »Wie können Sie es wagen …«
Ein älterer Beamter in Zivil trat vor. »Jemand, der bekannte Kriminelle anheuert, damit sie ein Haus zerstören, gilt als gefährlich, Herr zu Randershausen. Und wenn sich dann noch herausstellt, dass dieser Mann auch vor groß angelegtem Betrug nicht zurückschreckt …«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden!«, schrie Alexis.
»Stichworte: Das Haus von Graf Rethmann, das gefälschte Testament Ihres Vaters, gefälschte Papiere für angebliche edle Rennpfer-
de …«
»Sie sind ja verrückt geworden!«
»Durchsuchen!«, kommandierte der Beamte. »Die ganze Wohnung, vor allem den Computer. Mal sehen, was wir finden.«
Alexis versuchte, um sich zu schlagen, aber im Grunde genommen war ihm klar, dass er verloren hatte. Das Spiel war zu Ende.
Innerhalb kürzester Zeit fanden die Beamten Beweise für seine Betrügereien, er wusste, dass Leugnen zwecklos war. Am schlimmsten freilich war es für ihn, als seine Mutter eintraf, die von den Beamten angerufen worden war.
Noras Gesicht hatte eine kalkweiße Farbe, als sie auf ihn zutrat. »Hast du das wirklich alles getan?«, fragte sie. Ihr Blick war hart, nie zuvor hatte sie ihn so angesehen.
»Ich wollte uns doch nur absichern«, murmelte Alexis. »Ich habe es für dich getan, Mama.«
Ihre Ohrfeige tat weh, seine Wange brannte. Sie würdigte ihn keines Blickes mehr, sondern ging hoch erhobenen Hauptes davon.
»Du kannst doch jetzt nicht einfach weggehen!«, schrie er ihr nach. »Mama!«
Sie schien ihn nicht gehört zu haben, denn sie drehte sich nicht einmal um.
*
»Papa«, flüsterte Franziska, »wie konnte ich nur glauben, du hättest mich ohne Geld mit dem alten Haus sitzen lassen! Wieso habe ich die Wahrheit nicht schon früher gesehen?« Mit Tränen in den Augen las sie das Testament ihres Vaters zum wiederholten Mal. Sie würde sich keine Sorgen mehr ums Geld machen müssen, gleichgültig, wie aufwändig die Sanierung des Hauses ausfiel. Auch Nora und Alexis waren großzügig bedacht worden, ebenso Elsbeth. Im Grunde genommen war für alle genug da gewesen – nur hatte Alexis sich damit nicht zufriedengeben wollen.
Mittlerweile wusste sie, dass er nicht nur das Testament gefälscht, sondern auch auf andere Art und Weise betrogen hatte. Er kam ihr wie ein fremder Mensch vor, seit sie wusste, wozu er fähig war. Nora hatte sie unter Tränen um Verzeihung gebeten, aber es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass Nora unschuldig war – sie hatte keine Ahnung von den Machenschaften ihres Sohnes gehabt. Seltsamerweise war Nora ihr jetzt näher als je zuvor.
Lucius betrat den Raum und umarmte sie liebevoll. »Wie bin ich froh, dass ich Chris’ Drängen nachgegeben habe«, sagte er. »Ich wollte die beiden ja eigentlich wieder ausladen – aber er hat mir versichert, sie hätten schon viele Geheimnisse gelüftet.«
»Ich möchte, dass wir uns auf Sternberg verloben, Lucius«, erwiderte Franziska leise. »Wäre dir das recht?«
Er küsste sie – zuerst auf die Stirn, dann auf die Nase, auf beide Wangen, zuletzt verschloss er ihr mit seinen Lippen den Mund. »Mir ist alles recht, was dich freut, Liebste«, sagte er leise. »Und wo heiraten wir?«
»Den Ort für unsere Hochzeit darfst du aussuchen.«
Noch fester drückte er sie an sich – er würde sie nie wieder loslassen.
*
Einige Tage später stand Christian vor der Gruft seiner Eltern auf dem Familienfriedhof. Er hatte ihnen viel zu erzählen, denn hinter ihm und Anna lag ja ein ereignisreiches Wochenende. Wie immer half ihm der stumme Bericht an seine Eltern auch dabei, seine Gedanken zu ordnen. Er war noch ganz erfüllt von all den Enthüllungen, die auf die Entdeckung des Testaments gefolgt waren.
»Franzi und Lucius werden sich auf Sternberg verloben, ihr glaubt nicht, wie sehr wir uns darüber freuen – sie wollen auch gar nicht mehr lange warten, also werden wir sie bald hier haben. Ach, ich wünschte, ihr könntet dabei sein. Aber vielleicht seid ihr das ja, auch wenn ich euch nicht sehen kann. Ich … ich vermisse euch.«
Er las die Namen seiner toten Eltern, und mit einem Mal schossen ihm Tränen in die Augen. Das geschah nicht mehr häufig, aber es gab Tage, da war die Sehnsucht nach ihnen übermäßig groß – und so ein Tag war heute.
Togo, der bis dahin ganz ruhig neben ihm gelegen hatte, drückte sich an ihn und winselte, als wollte er sagen: »Sei nicht traurig, ich bin ja bei dir.«
Christian bückte sich und streichelte den jungen Boxer, dann sagte er laut: »Bis morgen, da komme ich wieder.«
Togo sprang auf und schickte sich an, den Hügel zu verlassen. Der kleine Fürst wartete noch auf das Zeichen seiner Eltern, dass sie ihn gehört hatten.
Gleich darauf begann eine Amsel mit ihrem Lied und vertrieb seine Tränen und seine Traurigkeit. Sie waren ja noch immer bei ihm, tief im Herzen wusste er das.
– E?N?D?E?–
»Er ist so still«, wisperte Baronin Maria zu Hirtenberg ihrem Mann zu. »Weißt du, was er hat?«
Moritz zu Hirtenberg schüttelte den Kopf,