Der kleine Fürst Staffel 8 – Adelsroman. Viola MaybachЧитать онлайн книгу.
nicht wahr? Und er scheint keinerlei Zweifel daran zu haben, dass ich seinem Werben nachgebe. Er muss etwas gegen Lorenz in der Hand haben – und damit hat er ihn unter Druck gesetzt. Das jedenfalls denke ich, nachdem ich länger darüber nachgedacht habe. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Schlüssel für Lorenz’ Verhalten bei Herrn von Angern zu suchen ist.«
»Aber Lara!«, rief die Baronin. »Das höre ich ja jetzt zum ersten Mal!«
Lara lächelte entschuldigend. »Ich hätte noch mit euch darüber gesprochen, aber ich wollte zuerst Klarheit in meinen Gedanken schaffen. Zuerst herrschte da nämlich nur Durcheinander, aber Lucie und ich haben jetzt so oft und so lange darüber geredet, dass sich dieses Durcheinander allmählich lichtet. Also, wir denken beide, dass Herr von Angern seine Hände im Spiel hat. Nicht, Lucie?«
Lucie nickte nachdrücklich.
»Angern«, korrigierte Ulrich. »Den Adelstitel hat er sich selbst verliehen. Ich stimme Ihnen in allem, was Sie gesagt haben, zu, Frau von Kessel. Leider fehlt uns jeglicher Beweis.«
»Wir haben eine Idee«, warf der kleine Fürst zaghaft ein.
Ulrich sah ihn erstaunt an. »Wann ist euch die denn gekommen? Vorhin waren wir doch alle drei noch ziemlich ratlos.«
»Ja, aber wir haben doch überlegt, ob dieser Mann vielleicht nichts gegen Lorenz in der Hand hat, sondern gegen seine Eltern …«
»Gegen seine Eltern?«, rief Lara. »Aber das ist doch …« Sie brach ab. »Gegen seine Eltern«, wiederholte sie. »Aber was sollte das denn sein?«
Nun endlich war auch Lucies Interesse geweckt. Sie hörte auf zu essen.
»Ja, was sollte das sein?«, wiederholte Ulrich, während er die beiden Teenager gespannt ansah. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie nicht dazu neigten, sich wichtig zu machen. Wenn sie also sagten, dass sie eine Idee hatten, dann war es ihnen vielleicht gelungen, eine hoffnungsvolle Spur zu finden. Er traute ihnen das auf jeden Fall zu.
Christian hielt eine Ansichtskarte hoch. »Anna hatte die Idee, dass wir mal die alten Ansichtskarten durchsehen, ob wir da vielleicht einen Hinweis finden. Ich dachte zuerst, dass da bestimmt nichts zu finden ist. Die ersten Karten von Lorenz’ Eltern – oder genauer gesagt von seiner Mutter – waren auch so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Dann haben wir diese Karte gefunden.« Er drehte sie um und las vor: »Liebe Sternberger, schöne Grüße aus Baden-Baden. Das Wetter lässt uns im Stich, deshalb würde ich lieber heute als morgen abreisen, aber Moritz hat sich hier mit einem Herrn von Angern angefreundet, und die beiden verbringen viel Zeit miteinander – unter anderem im hiesigen Spielcasino. Moritz spielt natürlich nicht, aber er findet die Atmosphäre sehr interessant. Zum Glück bin auch ich nicht allein …«
Christian sah auf. Am Tisch herrschte jetzt absolute Stille, die endlich von Ulrich gebrochen wurde: »Das ist es! Das muss es sein!«
*
»Jetzt, am Sonntag, wollen Sie eine Aussage machen?«, fragte Andreas Wolle entgeistert. »Aber mein Chef ist nicht da – wir bearbeiten diese Sache eigentlich gemeinsam, und …«
»Es war schwer genug für meinen Mann, sich zu diesem Schritt zu entschließen«, erklärte Maria zu Hirtenberg. »Wenn Sie seine Aussage jetzt nicht aufnehmen, kann ich nicht dafür garantieren, dass er die Kraft noch einmal findet, sich an die Polizei zu wenden. Er ist spielsüchtig und deshalb in Behandlung, verstehen Sie? Seine Krankheit hat unseren Sohn die Liebe seines Lebens gekostet, und wir werden am Rande des Ruins stehen, wenn es zum Prozess kommt. Denn die Schulden meines Mannes hat ja jetzt Herr von Angern bezahlt – dafür hat er von unserem Sohn verlangt, dass er in der Kirche, vor den Augen und Ohren aller Anwesenden, ›nein‹ sagt. Das hat mein Mann mir ja erst erzählt, als es bereits passiert war. Und jetzt wollen Sie uns wegschicken, nur weil Sonntag ist?« Sie hatte während dieser langen Rede nicht ein einziges Mal Luft geholt.
Der junge Kriminalbeamte betrachtete den zusammengesunkenen Mann, der neben seiner Frau saß und bis dahin noch kein Wort gesagt hatte. »Nein«, erklärte er, »ich will Sie nicht wegschicken. Ich werde Ihre Aussage aufnehmen und dann alles Erforderliche in die Wege leiten.«
Moritz zu Hirtenberg richtete sich auf, ein schwaches Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »Ich werde froh sein, wenn ich mir alles von der Seele geredet habe«, sagte er mit leiser Stimme.
Andreas Wolle nahm die Personalien auf, notierte Ort und Zeit und fragte dann: »Wie hat das angefangen mit Ihrer Spielsucht?«
»Vor einem Jahr, als ich Herrn von Angern in Baden-Baden kennenlernte. Er ging im Spielcasino ein und aus und hat mich mitgenommen. Mir gefiel die Atmosphäre dort, alle waren zuvorkommend und liebenswürdig, und er hat mich animiert zu spielen. Am Anfang habe ich ständig gewonnen – heute weiß ich, dass man das Anfängerglück nennt und dass jemand kräftig nachgeholfen hat. Ich sollte erst einmal anbeißen und richtig auf den Appetit kommen. Jedenfalls konnte ich schon bald das Spielen nicht mehr lassen. Michael war sehr großzügig – als ich in Schwierigkeiten geraten war, hat er mir Geld geliehen, zuerst nur ein biss-chen, dann ein bisschen mehr und irgendwann wirklich große Summen. Ich war immer davon überzeugt, es ihm bald zurückzahlen zu können, aber es war wie verhext: Plötzlich habe ich nur noch verloren. Meine Schulden wuchsen und wuchsen, aber ich hatte längst die Übersicht verloren. Ich glaube, so genau wollte ich es auch gar nicht wissen. Für mich war die Hauptsache, dass ich weiterhin spielen konnte.«
»Und er hat Ihnen weiterhin Geld geliehen? Sind Sie nicht miss-trauisch geworden?«
»Überhaupt nicht, ich dachte doch, er ist mein Freund. Bis mir irgendwann auffiel, wie sehr er sich für Lara interessierte, die Verlobte unseres Sohnes. Aber den Gedanken, dass er sich zielstrebig an mich herangemacht hat, weil er schon damals den Plan hatte, Lorenz durch Erpressung dazu zu bringen, die Hochzeit platzen zu lassen – ehrlich, auf diese Idee bin ich erst jetzt gekommen. Dass ein Mensch sich überhaupt so verhalten kann, hätte ich niemals für möglich gehalten. Er muss uns länger beobachtet haben, und er hat genau erkannt, dass man mich relativ leicht verführen kann. Unser Sohn ist viel stärker als ich. Michael hat mich als Schwachstelle der Familie ausgemacht, und genau da hat er angesetzt.«
Moritz zu Hirtenberg brach ab, Maria griff nach seiner Hand und drückte sie.
Andreas Wolle stellte noch viele Fragen. Längst war ihm klar, dass diese Aussage eine Sensation war und dass sie ihnen helfen würde, einen Mann dingfest zu machen, den sie seit langem für kriminell hielten, ohne ihm etwas nachweisen zu können. Er freute sich schon auf das Gespräch mit seinem Chef – der würde Augen machen!
Als sich die Hirtenbergs verabschiedet hatten, las er die Aussage noch einmal sorgfältig durch, dann griff er zum Telefon.
*
»Ich muss zurück«, sagte Ulrich zu Lucie, mit der er an diesem Sonntagmorgen durch den Schloss-park spazierte. »Das bedauere ich sehr, aber ich muss unsere Vermutungen überprüfen, damit uns dieser Kerl nicht in letzter Sekunde noch entwischt.«
»Das war mir gestern Abend schon klar«, erwiderte Lucie. »Ich habe mich sogar ein bisschen gewundert, dass Sie nicht noch mitten in der Nacht aufgebrochen sind nach den aufregenden Entdeckungen von Anna und Chris.«
Er lachte leise. »Ich hatte Wein getrunken – und müde war ich auch. Außerdem wollte ich mir um nichts in der Welt diesen Spaziergang mit Ihnen entgehen lassen, Lucie.«
Ihre Blicke begegneten sich. »Sehen wir uns wieder?«, fragte er.
»Ich bin dafür«, erwiderte sie mit ihrem spitzbübischen Lächeln, das ihn vom ersten Moment an bezaubert hatte.
Ohne weiter nachzudenken umarmte er sie. Als sich ihre Lippen zum ersten Kuss fanden, geriet selbst die Tatsache, dass er vielleicht bald einen lang gesuchten Kriminellen würde verhaften lassen können, zur Nebensache. Lucie schmiegte sich an ihn und erwiderte seinen Kuss so leidenschaftlich, dass er kurz darüber nachdachte, ob er nicht doch lieber bis zum nächsten Tag bleiben sollte.
Nur widerwillig löste er sich von ihr. »Ich würde lieber bleiben,