Im Sonnenwinkel Staffel 2 – Familienroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
verbracht.
Carola konnte das Gefühl mitnehmen, schon ganz zur Familie gezählt zu werden.
Bevor sie sich verabschiedeten, hatte sie noch andächtig die Zwillinge Felix und Alexandra betrachtet, die zufrieden in ihren Bettchen schliefen.
Auf dem Heimweg erfuhr sie von Harald, wie deren Eltern sich kennengelernt hatten und dass Manuel ein Kind aus Felix Münsters erster Ehe war.
»Davon merkt man aber nichts, wenn Sandra erzählt«, stellte Carola fest.
»Nein, sie hat es meisterhaft verstanden, seine nicht gerade schönen Erinnerungen an frühere Jahre zu verwischen. Sie hat aus Felix einen vollkommen glücklichen Mann gemacht, wie du aus mir.«
»Bist du vollkommen glücklich?«, fragte sie verhalten.
»Nun, sagen wir, zu neunzig Prozent. Die zehn restlichen folgen, wenn wir verheiratet sind.«
Wenn wir verheiratet sind! So viel sehnsüchtige Erwartung klang in seiner Stimme, dass ihr ganz heiß wurde. Wenn nur Helga wieder so werden würde wie früher! Warum nur lagen Glück und Leid so dicht beieinander.
*
Am nächsten Tag sollte Franziska ihre Arbeit in der Gemeindekanzlei aufnehmen. Sie war auch pünktlich um neun Uhr zur Stelle, sah aber so elend aus, dass Magnus von Roth erschrocken war.
»Wenn Sie krank sind, Frau Deuring, können wir gern noch ein paar Tage warten«, meinte er.
»Es ist besser, wenn ich Ablenkung habe. Vielen Dank für Ihr Entgegenkommen, Herr von Roth.«
Er wollte nicht neugierig sein, aber so nebenbei ergab es sich dann ganz von selbst, dass sie ihre Kümmernisse preisgab. Er brachte ihr größtes Mitgefühl entgegen.
Sie zwang sich dann, sich ganz auf ihre Tätigkeit zu konzentrieren, konnte es aber doch nicht verhindern, dass ihre Gedanken immer wieder zu Helga wanderten.
Sie war die Einzige, um die sie sich Sorgen machen musste. Carola hatte auch sehr an ihrem Vater gehangen, wie es wohl bei Töchtern mehr noch der Fall war als bei Söhnen. Aber Harald Herwig war im rechten Augenblick als rettender Engel erschienen.
Peter hatte ihr eigentlich nie Sorgen bereitet. Er war immer ein guter Schüler gewesen, und selbst die Flegeljahre hatten sich nicht einschneidend bemerkbar gemacht. Wie fleißig und unverdrossen er jetzt seinem Job bei den Fuhrmanns nachging, und wie stolz er war, wenn er seinen Verdienst nach Hause brachte.
Franziska dachte nicht daran, das Geld für den Haushalt zu verwenden. Sie sparte es für ihn, denn hier konnten sie mit viel weniger auskommen als in Hohenborn.
Volker hatte sich schon ganz eingelebt. Der fröhliche, verträgliche Junge war überall beliebt.
Mein Kleiner, dachte Franziska zärtlich, nun bist du es nicht, der mich am meisten braucht, nun ist es Helga.
Aber brauchte Helga sie denn? Hatte sie nicht deutlich gezeigt, dass sie nur einen brauchte?
Es kann nicht so bleiben, ging es Franziska durch den Sinn. So unbarmherzig kann Gott nicht sein.
*
Für Paul Deuring, der Helga früher nicht gekannt hatte, benahm sich das Mädchen ganz natürlich, abgesehen davon, dass sie ihre Mutter und Geschwister mit keinem Wort erwähnte.
Sonst war ihr nicht anzumerken, dass sie einen schweren psychischen Schock davongetragen hatte.
Sie war an allem interessiert, was sie während dieser Tage zu sehen bekam.
Ihre Wangen hatten sich gerundet, und ihr Gesichtchen hatte eine frische Farbe bekommen.
Er las ihr jeden Wunsch von den Augen ab und ging auf alle Vorschläge ein, die sie machte.
Sie waren durch Österreich gefahren, hatten die herrliche Bergwelt genossen und waren nun in Bozen angekommen.
»Wie lange kannst du wegbleiben, Vati?«, fragte sie.
»Bis du Sehnsucht nach zu Hause bekommst«, erwiderte er.
»Ich bekomme keine Sehnsucht. Brauchst du nicht mehr zu arbeiten? Haben wir eigentlich Geld genug?«
Zum ersten Mal bemerkte er einen nachdenklichen Zug in ihrem Gesicht. Sie begann, sich Gedanken zu machen.
Dr. Riedel hatte ihm gesagt, dass dies ein gutes Zeichen sein könnte, man dann aber besonders vorsichtig sein müsse, damit sie keinen neuen Schock bekäme.
»Mach dir keine Gedanken, Helga«, lenkte er ab.
Sie sah ihn forschend an.
»Willst du auch nicht mehr heim?«, fragte sie. »Habt ihr euch zerstritten? Du trägst keinen Trauring mehr.«
Sie beobachtete also jetzt schon, und nun wurde er unsicher. Wie sollte er das durchhalten?
»Findest du nicht, dass ich sehr verändert bin?«, fragte er zögernd.
»Doch, ja, das finde ich schon. Ganz anders bist du, aber so gefällst du mir noch besser.« Sie lachte plötzlich leise. »Es kommt mir so vor, als hätten wir uns ganz lange nicht gesehen, aber ich finde es schön. War ich eigentlich lange krank, Vati? Ich war doch krank?«
»Ja, Helga, du warst krank«, erwiderte er zögernd. »Wir haben uns sehr um dich gesorgt.«
»Was hat mir gefehlt? Ich kann mich gar nicht mehr erinnern.«
»Woran kannst du dich erinnern?«, fragte er.
Ihr Gesicht überschattete sich. Ihre Lippen bebten.
»Ich will mich nicht erinnern, nein, ich will nicht! Es ist alles nicht wahr!«
Sie brach in Tränen aus. Fürsorglich legte er den Arm um sie.
»Nun wein doch nicht, Kindchen!«, murmelte er. »Es wird ja alles wieder gut!«
»Ich will nie mehr zurück«, schluchzte sie, »nie mehr! Können wir nicht weit fortgehen, Vati, ganz weit fort?«
»Wohin? Nach Amerika?«, fragte er.
Sie sah ihn mit einem unergründlichen Blick an. Ganz eigen wurde ihm dabei zumute. Doch sie erwiderte nichts, sondern entfernte sich plötzlich von ihm.
Er holte sie ein, als sie an einer Brücke angelangt war und gedankenverloren in das Wasser blickte, das glasklar über die Steine plätscherte.
»Warum ist Onkel Paul eigentlich nie gekommen?«, fragte sie stockend.
Sein Blick wanderte zum Himmel empor, als erhoffe er von dort Hilfe.
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte er nach einer inhaltschweren Pause. »Willst du sie hören?«
»Ja«, antwortete sie schnell.
*
Sie saßen auf einer Bank unter einer großen Linde. Die Sonnenstrahlen, die sich durch das Blättergewirr stahlen, malten goldene Kringel in Helgas Haar.
Sie sah ihrer Mutter, als diese so jung gewesen war, sehr ähnlich. Sie wusste das nicht, aber Paul dachte daran.
Franziska war sechzehn gewesen, als die Brüder Deuring sie auf einer Hochzeit kennenlernten. Sie war eine der Brautjungfern, die jüngste, aber bei Weitem die hübscheste. Harte Kriegsjahre lagen hinter ihnen, und es war eine bescheidene Hochzeit, die unter den Flüchtlingen aus Ostpreußen gefeiert wurde. Aber für sie und die damalige Zeit war es ein grandioses Fest.
Verbunden durch ein gemeinsames Schicksal durch ihre Jugend, die nicht in trauriger Vergangenheit verharren wollte, schlossen sie schnell Freundschaft.
Jahre blieb es so, bis Franziska neunzehn geworden war.
Und dann überraschte Hilmar seinen Bruder eines Tages mit der Nachricht, dass er sich mit ihr verlobt hätte.
Bis hierhin hatte Paul erzählt, als spräche er von Dritten, die nichts mit ihm zu tun gehabt hätten. Aber nun wurde er von Erinnerungen übermannt,