Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
einen besonderen Nachdruck.
Da begannen von der Kirche her die Schläge der Uhr die nächtliche Stille zu durchzittern. Wie in Wellenbewegungen landete der Schall bei der feuchten Frühlingsluft an den Ohren der beiden Jungen, langsam, nachklingend.
Der Jüngeren schauerte zusammen. »Komm – es wird Zeit,« flüsterte er seltsam gedrückt.
»Was hast du … Hast du etwa mit einem Mal Angst?« Hans Albrecht lachte kurz auf. »Memme!« meinte er verächtlich. »Seit du den toten Seiler gesehen, bist du ein rechter Waschlappen geworden!«
Dann huschten sie wie zwei Schatten in die Dunkelheit hinein, die dicht wie eine schwarze Wand über den frühjahrsduftenden Feldern lagerte.
8. Kapitel
Der Besitzer der Destillation zum ›Bunten Bock‹ saß in seinem Kontor auf dem hohen Schemel und schaute mit Augen, die das … Wunder noch immer nicht begreifen konnten, auf den Geldschrank, der halb aus der Ecke herausgerückt und dessen Seitenwand vollständig zerrissen und verbogen war. Wie es möglich war, diese eisernen Platten loszubrechen und derart zu knicken, wie man eine derartige Arbeit so geräuschlos ausführen konnte, daß davon in der eine Treppe höher gelegenen Privatwohnung nichts gehört wurde, das schien ihm unfaßlich. Der alte Kassierer, der seinem Herrn gegenüber an demselben Doppelpult arbeitete, war dessen Blicken gefolgt.
»Ja … ein Kunststück ist’s – wirklich! Wer hätte das denken können!« sagte er jetzt kopfschüttelnd.
Herr Robert Krüger nickte seinem langjährigen Mitarbeiter freundlich zu.
»Sie haben das Richtige getroffen, Herr Meisel,« meinte er dann sinnend, »ein Kunststück, ja, das ist’s. Beinahe könnte man so etwas wie Hochachtung vor diesen Einbrechern empfinden! Nur schade, daß dieses Gefühl an die zweitausend Mark kostet.«
»Vielleicht bekommen wir sie wieder,« wollte Meisel schüchtern trösten.
»Ich glaube nicht daran, wenn auch der Kommissar so hoffnungsfreudig tat! Die Kerle haben ja keine, aber auch nicht die geringsten Spuren hinterlassen. Und überhaupt … Unsere Kriminalpolizei!« Krüger ließ seine wohlgepflegte Hand schwer auf die Platte des Pultes fallen. »Nein, aber was wir beizeiten hätten tun sollen, – einen neuen Geldschrank anschaffen! Dies unmoderne Ding da ist doch den heutigen Werkzeugen der Einbrecherzunft nicht mehr gewachsen! Das sagt ja Kern auch!«
Der alte Kassierer schüttelte langsam den weißen Kopf. »Wer denkt aber gleich an so etwas,« meinte er bedächtig. »Ich bin nun doch schon sechsundzwanzig Jahre hier, und …«
Da öffnete sich die niedrige Tür und einer der Angestellten fragte, ob der Kriminalkommissar Herrn Krüger auf kurze Zeit sprechen könne.
»Ich lasse bitten …«
Die Unterredung zwischen den drei Herren hatte nun schon eine ganze Weile gedauert. Aber Kern vermochte trotz aller möglichen Fragen auch nicht den geringsten Anhaltspunkt für den oder die Täter zu finden. Denn wie ihm Herr Krüger mitgeteilt hatte, war das Geschäftspersonal seit Jahren bis auf die Kutscher herab dasselbe geblieben. Und doch sagte sich der Kommissar nicht zu Unrecht, daß die Einbrecher mit der Örtlichkeit recht vertraut sein mußten, um dieses Stücklein überhaupt zu wagen. Die Ausführung zeigte in den feinsten Einzelheiten eine solche Vertrautheit mit den Räumlichkeiten und sonstigen Verhältnissen im ›Bunten Bock‹, daß die Täter vorher sich orientiert haben mußten. Aber auf welche Weise? – Und dahinter konnte Kern nicht kommen.
Herr Krüger hatte dem Kommissar eine Zigarre angeboten, die dieser als passionierte Raucher sofort anzündete. Nachdenklich nahm er jetzt einen langen Zug und blies dann den Rauch langsam von sich.
»Hm … Sagen Sie, Herr Krüger, haben Sie vielleicht in letzter Zeit Handwerker im Hause gehabt?« begann Kern aufs neue.
»Ja – das wohl. Aber nur wenige Tage. Ich habe die elektrische Klingelleitung verlegen lassen.«
»Wer hat die Arbeiten ausgeführt?« fragte der Kommissar lebhaft.
»Der Elektromechaniker Hamann.«
»So – der aus der Hundegasse?« –
Der Kaufmann nickte bejahend.
»Und wie viele Leute sind beschäftigt gewesen?«
»Ein älterer Geselle und ein Lehrling.«
»Haben die beiden Leute auch hier im Privatkontor gearbeitet?«
»Gewiß. Auch dieses Haustelephon haben sie anders angeschlossen.«
»So – so. Na, das wäre wenigstens etwas,« meinte Kern in seiner zerstreuten Art, indem seine Augen unruhig durch das Zimmer irrten. Sein trostloses Gesicht mit der ungesunden Gesichtsfarbe war in der letzten Zeit noch schmaler geworden. In demselben Maße hatte sich seine Nervosität gesteigert. Denn die Hoffnungen, die er auf Jakob Fischers Spürtalent in der Müllerschen Sache gehabt, wollten sich durchaus nicht verwirklichen. Und jetzt war zu allem Unglück noch diese neue Geschichte ihm aufgehalst worden! Der Inspektorposten war wieder in der nebelgrauen Ferne verschwunden.
Der Kommissar seufzte tief auf. Dann erhob er sich und reichte Herrn Krüger die Hand. »Vielleicht spreche ich morgen nochmals vor,« sagte er im Hinausgehen. »Jedenfalls will ich alles versuchen, trotzdem …« Und dann zog er die Schultern hoch, als ob er sagen wollte: ›Viel Hoffnung habe ich ja nicht.‹
Kern begab sich aus dem ›Bunten Bock‹ geraden Wegs zu dem Mechaniker Hamann. Mit diesem hatte er es leicht; denn das, was er wissen wollte, erfuhr er schon in wenigen Minuten. Beinahe hätte er sich verraten, als Hamann ihm den Namen des Lehrlings nannte, der vor rund vier Wochen im ›Bunten Bock‹ mit tätig gewesen war. Aber es gelang ihm schnell, die innere Freude zu verbergen. Und als er dann den höflichen und vor der Kriminalpolizei mehr wie respektvollen Geschäftsinhaber verließ, schärfte er ihm strengstes Stillschweigen ein.
»Wenn auch gegen Ihre Angestellten keinerlei Verdachtsmomente vorliegen, ich Ihnen im Gegenteil schon heute sagen kann, daß dieselben für unsere Untersuchung gar nicht in Betracht kommen, so ist es doch besser, die Leute erfahren nicht, wer sich hier nach ihnen erkundigt hat. Derartiges dringt leicht ins Publikum und erschwert uns nur unsere Arbeit.«
Und Herr Hamann versicherte eifrigst, daß über seine Lippen auch kein Sterbenswörtchen kommen würde.
Kern atmete tief auf, als er auf die Straße hinaustrat. Nun galt es nur, Fischer schnell von dieser neuen Entdeckung Nachricht zu geben. Möglich, daß er ihn im Präsidium antrat, obwohl der Beamte sich dort jetzt sehr wenig sehen ließ. Der Kommissar fragte, als er an der Wachtstube im Portal des Polizeipräsidiums vorüberging, den am Schiebefenster sitzenden Schutzmann, ob Fischer anwesend sei.
»Jawohl – er ist bei Herrn Rat Scheller oben,« wurde ihm zur Antwort. Befriedigt stieg Kern die Treppe zu seinem Arbeitszimmer empor, nachdem er noch befohlen hatte, Fischer sofort nach beendigtem Vortrag bei dem Polizeirat ihm zu schicken. Es dauerte auch nicht lange, da klopfte es an die Tür, und der Beamte meldete sich.
»Herr Kommissar wollten mich sprechen?« sagte er, die Hacken leicht zusammennehmend.
»Gut, daß Sie da sind! Hören Sie mal, Fischer, das Netz um diese Flickschusterfamilie zieht sich immer mehr zusammen.«
»So?!« meinte Fischer nur gedehnt.
»Ja. Ich habe heute erfahren, daß der ältere Albrecht als Lehrling des Mechanikers Hamann ungefähr vor vier Wochen im ›Bunten Bock‹ mehrere Tage beschäftigt gewesen ist. Na, was sagen Sie dazu – da stoßen wir schon wieder auf diesen halbwüchsigen Bengel!«
»Das habe ich schon gewußt,« meinte Jakob Fischer darauf in aller Ruhe.
»Wie … gewußt?! Und mir sagen Sie kein Wort davon?!« Kern war gereizt aufgesprungen.
»Ich