Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
gerade in dem Augenblick ein, Herr Rat,« entgegnete der schnell, »als ich in dem Hausflur stand und gerade wieder Tür nach der Straße öffnen wollte. Da sagte ich mir – die guten Gedanken kommen manchmal gerade noch zur rechten Zeit, Heinrich Seiler muß ja noch vor dem Morgengrauen nach Hause kommen, also abfassen tust du ihn sicher, aber ob so ein gewitzter Bengel in der Überraschung ein Geständnis ablegen wird, das ist mehr wie fraglich. Und wie ich da noch so in dem dunklen Hausflur stand, da kam mir mit einemmal die Erinnerung an den Bodenraum über der Stube des Flickschusters Albrecht, an die Leiter; das war die richtige Idee, Herr Rat, wie sich bald herausstellte.«
Fischer tat einige lange Züge, da seine Zigarre auszugehen drohte. Scheller war sichtlich aufmerksam geworden, beinahe ungeduldig.
»Ich schlich also leise die schmale Treppe empor,« fuhr der Beamte nach der kurzen Unterbrechung fort, »und es glückte mir dank der Übung und dem feinen Tastsinn, ganz ohne Lärm bis oben auf den Bodenraum zu kommen. Ich war klug genug, mich nicht etwa dadurch zu verraten, daß ich die Leiter umstellte. Ich mußte zwar mit aller Gewandtheit mich auf die Balkenlage schwingen, aber jedenfalls gelang es. So lag ich denn da oben, den Kopf dicht an der Öffnung und wartete. Bald darauf hörte ich die Uhr der Vorstadtkirche drei Uhr schlagen. Erst gegen vier hörte ich unten die Haustür gehen und dann leise Tritte, die die Treppe heraufkamen.«
»Einen Augenblick, Fischer! Bisher habe ich Ihren Ausführungen sehr gut folgen können. Ich begreife – Sie vermuteten eben, daß auch die Brüder Albrecht da draußen auf dem abgelegenen Feld irgend etwas vorhatten.«
»Nein, Herr Rat; diese Möglichkeit nahm ich zwar an, rechnete aber auch mit der zweiten, daß nämlich der Junge mich hatte wirklich nur nasführen wollen.«
»So – na, letzteres halte ich für ausgeschlossen. Ich glaube kaum, daß die Burschen Sie in Ihrer Eigenschaft als Beamten erkannt haben. Ist ja auch vorläufig einerlei! Nur das eine noch. Sie sagten, daß Sie die Haustür öffnen hörten. Ja, aber vorhin erzählten Sie doch, daß diese Tür von innen verschlossen war und Sie sie erst aufschlossen, bevor die Hetze auf diesen – ja, richtig, Heinrich Seiler, losging. Wie konnten die Brüder Albrecht denn herein, wenn die Tür nun nicht von ihnen offen gelassen worden wäre? – Da ist mir doch manches unklar.« – Scheller wiegte nachdenklich den grauen Kopf hin und her.
»Ganz recht, Herr Rat, dasselbe habe ich mir auch schon gesagt. Ich erkläre mir die Sache so, daß die Brüder Albrecht auf gut Glück versucht haben, ob die Tür unverschlossen war. Andernfalls hätten sie eben im Holzstall geschlafen, was bei ihnen öfters vorkommen soll, wie mir Frau Seiler erzählte.«
»Gut, gut, lieber Fischer! Nun aber weiter! – So, hier ist ein Streichholz!«
»Die Schritte kamen also sehr leise und behutsam die Treppe herauf. Die Jungen schlichen wirklich wie die Katzen, öffneten ebenso lautlos die Stubentür und drückten sie hinter sich wieder ins Schloß. Nun hatte ich Herrn Rat ja schon vorhin gesagt, daß ich meine Stiefel mir zum frühen Morgen bestellt hatte; jedenfalls sollte der Flickschuster Albrecht sie mir zuschicken, bevor ich zur Arbeit ging. Das schoß mir jetzt durch den Kopf. Auf diese Weise hatte ich ja eine Ausrede, falls man mich auf meinem Lauscherposten überraschen sollte. Denn da oben blieb ich nicht. So vorsichtig wie möglich kletterte ich herunter und drückte mein Ohr gegen die Stubentür. Und ich hatte Glück. Zwar hörte ich nur wenige Worte, aber sie genügten mir, wenn ich das mir da oben auch noch nicht in demselben Sinn sagen konnte, wie jetzt, nachdem noch anderes dazugekommen ist. Wie gesagt, aus den erregt flüsternden Stimmen hörte ich folgendes heraus: ›Festhalten, sonst … Verrat … der unten … nachsehen … Stiefel bringen‹. – Ich habe mir die Worte genau gemerkt. Also die Worte genügten mir … das heißt, ich trat schleunigst meinen Rückzug an und kam auch unbehelligt unten an, warf mich auf das Bett, nachdem ich mir noch das Jackett ausgezogen und – wartete. Nach wenigen Sekunden klopfte es auch stark gegen die Tür. Ich wartete eine Weile und rief dann »Herein!«. Inzwischen war es draußen ziemlich hell geworden, so daß ich den Eintretenden trotz des Zwielichts erkennen konnte. Es war der ältere der Brüder Albrecht. Er sagte mir ganz freundlich guten Morgen, stellte die Stiefel neben die Tür und wollte, anscheinend beruhigt, wieder gehen. Ich stellte mich sehr schlaftrunken, fragte, wieviel die Uhr sei, sagte, daß ich mittags das Geld dem Vater bringen würde. Dann verließ er die Stube. Daß ich mit den Kleidern im Bett lag, konnte er nicht bemerkt haben, da ich mir die Decke übergeworfen hatte.«
»Sehen Sie, Fischer,« warf da Scheller triumphierend ein, »da habe ich doch recht gehabt. Die Gesellschaft traut Ihnen nicht!«
»Ja, ja, Herr Rat, sie trauten mir nicht, weil sie dachten, daß ich mit Heinrich Seiler gemeinsame Sache gemacht habe. Aber das muß ich weiter im einzelnen erzählen, sonst wird der Bericht unübersichtlich. Doch ich will mich jetzt kürzer fassen, denn …« – Fischer sah nach der Uhr, – »wir haben heute Vormittag noch viel zu tun. Frau Seiler bemerkte natürlich sofort das Fehlen ihres Sohnes, machte sich aber keine Sorgen, da sie eben annahm, daß er nicht die ganze Nacht fortgewesen, sondern sich erst gegen Morgen aus dem Staub gemacht hatte. Sie kochte mir Kaffee, fragte mich, ob ich denn heute nicht zur Arbeit ginge, und war ganz besorgt, als ich ihr sagte, daß ich mich krank fühle und zu Hause bleiben wolle. Da sie mich nur als soliden, arbeitsamen Menschen kennt, glaubte sie mir auch wirklich. Ich machte mich in der Wirtschaft nützlich, zerkleinerte auf dem Hof Holz, nagelte einen wackeligen Stuhl zurecht und – wartete sehnsüchtig auf den Augenblick, wo Heinrich Seiler sich endlich wieder einfinden würde. Anfangs war ich erstaunt gewesen, daß er noch nicht zurückgekehrt war, besonders, wo doch die Brüder Albrecht längst heimgekommen waren. Aber schließlich mußte ich mir sagen, daß das auch ebensogut ein Zufall sein könne. Meine Bedenken kamen erst später, als ich bei der langweiligen Arbeit des Holzstapelns die Fortschritte meiner Untersuchungen nochmals so im einzelnen durchging. Und da, Herr Rat, – inzwischen war’s sieben Uhr geworden, – da fielen mir auch die Worte oben an der Albrechtschen Stubentür wieder ein. Als ich nun die Kette meiner Überlegungen so prüfte, mußte ich mir doch sagen, daß dieses Ausbleiben des Jungen recht auffallend war. Sollte er doch nicht mit den Brüdern Albrecht da draußen in der Heide zusammengekommen sein, mich auch nicht haben von Hause weglocken wollen, dann blieb nur das eine übrig. Er hatte etwas anderes in der Heide gesucht, andere Pläne gehabt, die er allein ausführen wollte.
Und für diese Annahme spricht verschiedenes. Zunächst der Umstand, daß der Junge mit so großer Vorsicht sich allein in die Heide begab, daß er sich jener Schlucht in einer Weise näherte, als lauere dort irgendeine Gefahr auf ihn. Weiter dann – warum ist er nicht noch in der Nacht zurückgekehrt, er, der seiner Mutter sicherlich gern die Angst erspart haben würde, ja – Herr Rat, würde, wenn – er eben hätte zurückkehren können! Und hier – hier möchte ich nun die mir erst unverständlichen Worte einfügen, die ich erlauscht habe – ›festhalten, sonst – Verrat –‹. So wie ich jetzt über die Sache denke, gehören diese drei Worte zusammen und beziehen sich – auf Heinrich Seiler!«
Scheller schüttelte ungläubig den Kopf. Aber Jakob Fischer ließ sich dadurch nicht stören.
»Meiner Ansicht ist die, Herr Rat, daß in der verflossenen Nacht da in der Nähe der Schlucht, an deren Rand ich fast eine Stunde lang gelegen habe, ein Verbrechen geschehen ist. Bedenken Sie auch die Detonation, die ich hörte, weiter das Rascheln in der Schlucht. Irgendetwas gibt es dort draußen in der Ginsterheide für uns aufzudecken, Herr Rat, – und wenn der arme Junge mittags noch nicht zu Hause ist, dann – ja, dann, ehrlich gestanden, fürchte ich, daß er nicht mehr unter den Lebenden weilt.«
Jakob Fischer hatte sich in eine seltene Erregung hineingesprochen. Jetzt schaute er seinen Vorgesetzten wieder fragend an. Aber der blickte in Gedanken zum Fenster hinaus und schwieg. Eine Weile war’s sehr still in dem großen Zimmer. Dann wandte sich Scheller wieder dem Beamten zu.
»Sie beziehen also die Worte ›festhalten, sonst verraten!‹ deshalb auf diesen Heinrich Seiler, weil er bisher nicht heimgekehrt ist. Hm – und – ja, wie legen Sie dieselben aus, – ich meine, wie würden Sie den Satz ergänzen?«
»In folgender Weise. Gesprochen wurde er sicher von einem der Brüder, bestimmt waren die für den Alten, der die Vorfälle der Nacht nicht kannte. ›Wir wollten ihn festhalten,