Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
aber ich habe noch eine Hoffnung. Ich denke, wir werden den Jungen noch dort unten finden!«
»Heinrich Seiler –?«
»Ja, Herr Rat! Jetzt wird mir manches klar, was ich mir bisher falsch zusammengereimt habe. Der Junge hat nie, das glaube ich nunmehr bestimmt sagen zu können, mit den Brüdern Albrecht und dem Berliner Einbrecher unter einer Decke gesteckt. Im Gegenteil, wenn ich mir’s überlege, wie vorsichtig er in der Nacht sich hier der Schlucht näherte … Ja, so ist’s, Herr Rat, der Junge hat, so unwahrscheinlich es klingen mag, ebenfalls hier denjenigen nachgespürt, die dort in der Schlucht ihren Schlupfwinkel haben. Wer weiß, wie lange er’s schon so treibt – ob er nicht auch damals schon, als wir ihn in der Nacht an dem Stall festnahmen, herumspionierte. So ganz harmlos kam der Bengel mir nie vor. Und gestern nacht haben ihn die Bewohner jenes Schlupfwinkels eben überrascht und – halten ihn dort unten fest! – Ja, Herr Rat, so ergänze ich jetzt die Worte: Festhalten – nämlich ihn, den Heinrich Seiler, damit den andern die – Flucht möglich ist, sie nicht verraten werden …«
Der Polizeirat schüttelte den Kopf.
»Alles ganz schön, Fischer, – aber wie oft haben Sie nun in dieser Sache Ihre Ansicht geändert! Da können Sie es einem nicht verargen, wenn man – mißtrauisch – ungläubig wird.« –
In diesem Augenblick erschien Kern und kam langsam auf die beiden zu.
»Wir haben nirgends etwas Auffälliges entdecken können, Herr Rat,« meldete er sichtlich unzufrieden. »Unsere Leute haben jetzt im engen Kreis die Schlucht umstellt. Es bleibt also nur noch dieser Abschnitt zu durchsuchen.«
Scheller überlegte. Dann wandte er sich an Fischer, der ungeduldig nach der einsamen Kiefer hinüberspähte.
»Sie haben diesen Plan vorgeschlagen, Fischer! Was soll jetzt geschehen? Ich lasse Ihnen völlig freie Hand.«
»Dann möchte ich den Herrn Kommissar bitten, daß einer der Kollegen schnell nach einer Laterne geschickt und indessen der Kreis der Beamten hier um die Schlucht noch enger zusammengezogen wird.« –
Dann berichtete Fischer dem Kommissar kurz, was er entdeckt hatte und fügte noch hinzu, daß er nachher sich sofort an dem Strick hinablassen und in die Höhle, deren Vorhandensein er ganz bestimmt annahm, eindringen wolle. –
Es konnte gut eine Stunde vergehen, bevor der nach der Laterne ausgeschickte Beamte zurückkehrte. Während dieser Zeit gingen Scheller und Kern ungeduldig am Rand der Schlucht hin und her und warfen zuweilen einen prüfenden Blick auf das Gestrüpp, hinter dem der Eingang zu dem Schlupfwinkel liegen sollte. –
Jakob Fischer hatte sich dicht bei der Kiefer auf die Erde gesetzt und schien mit großem Interesse einen Schwarm Krähen zu beobachten, die mit lautem Krächzen über einer fernen Stelle in der Heide kreisten.
»Ich lasse Fischer auf keinen Fall da allein hinunter,« sagte gerade der Kommissar eifrig. »Es ist ebensogut möglich, daß die von uns Gesuchten sich noch in ihrer Höhle befinden und dann dürfte es dem einzelnen kaum gut ergehen.«
»Aber Fischer meint doch, daß die Gesellschaft bereits das Feld geräumt hat,« warf der Polizeirat ein.
»Annahme, weiter nichts! Ebenso wahrscheinlich ist es, daß sie noch da sind. Allerdings werden sie ja längst gemerkt haben, daß es für sie kein Entrinnen mehr gibt.«
»Na, dann ist doch von ›Schusterkarl‹ als altem, gewitztem Einbrecher, anzunehmen, daß er sich ohne Widerstand ergibt. Nur Neulinge im Handwerk leisten bei ihrer Verhaftung Widerstand.«
»Ganz recht, Herr Rat! Aber das Schuldkonto des Berliners ist so groß, daß ihm sicherlich zehn bis fünfzehn Jahre Zuchthaus bevorstehen. Und ob er da nicht in der Verzweiflung …?« Kern zog bedenklich die Schultern hoch.
Scheller war stehen geblieben und schaute wieder hinab auf das Gestrüpp, aus dem die einsamen Kiefer herausragte.
»Und wenn nun dort unten sich weder eine Höhle noch in derselben irgend etwas finden läßt, was uns von Wichtigkeit ist, – wenn der brave Fischer sich in seinen Kombinationen getäuscht hat, und weder die Brüder Albrecht noch ›Schusterkarl‹ jemals hier gewesen sind? – Wenn ›Schusterkarl‹ selbst nur von uns hierher verpflanzt worden ist und er sich in Wahrheit ganz wo anders auffällt, – mit einem Wort, wenn unsere bisherigen Untersuchungen, die auf mehr wie schwachen Füßen stehen, heute wie ein Kartenhaus zusammenfallen?! Was dann?«
Kern erlaubte sich, ein feines Lächeln zu zeigen. »Sie sind jetzt zu sehr Schwarzseher, Herr Rat! Daß die Brüder Albrecht und ›Schusterkarl‹ bei den Einbrüchen beteiligt waren, gilt für mich als gewiß. Und der Berliner ist hier. Denn solche Arbeit, wie die in der Destillation zum ›Bunten Bock‹ an dem Geldschrank liefert nur ein ganz Großer in seinem Fach. Außerdem – nur er kann’s gewesen sein, der uns damals an dem Stallgebäude entschlüpfte und –«
»Schon gut. Aber offen gesagt, viel Vertrauen habe ich nicht mehr. Fischer selbst meinte auch, daß die Vögel bereits ausgeflogen wären. Dann geht die Jagd von neuem los.« –
Der Kommissar erwiderte hierauf nichts. Er zog seine Uhr und schaute nach der Zeit. Es war beinahe eine Stunde vergangen, seitdem der Beamte fortgeschickt worden war. Die Entscheidung nahte, eine Entscheidung, von deren Ausgang für Kern so sehr viel abhing. In dem ehrgeizigen Mann war die Hoffnung auf einen günstigen Ausgang größer als die Furcht vor einer Enttäuschung. Er kannte Jakob Fischer genau. Wenn der so seelenruhig dasaß und in den blauen Äther ein Loch hineinguckte, dann hatte er für sich schon wieder ein Plänchen bereit, um die Sache auf jeden Fall erfolgreich enden zu lassen. So dachte der Kommissar und – schon war’s ihm, als ob er den Inspektorposten bereits sicher habe.
Jakob Fischer aber überlegte, wohin sich ›Schusterkarl‹ und die Brüder Albrecht gewandt haben könnten. Denn daß er sie da unten nicht mehr antreffen würde, stand für ihn fest.
13. Kapitel
Da bei dem vorliegenden, in Romanform gefaßten Bericht weniger auf eine sensationelle Ausgestaltung der Ereignisse, als vielmehr auf eine möglichst klare Beleuchtung des seelischen Werdeganges Heinrich Seilers, des Dreizehnjährigen, Gewicht gelegt werden sollte, so müssen wir das in der Ginsterheide versammelte Aufgebot der Polizei hier verlassen und in die Vergangenheit zurückgreifen, obwohl sich die endliche Lösung des Geheimnisses der Ginsterschlucht in ein kurzes Kapitel zusammenfassen ließe, in ein Kapitel, das aber noch überreich an Überraschungen wäre. –
Heinrich Seiler stand, vor Grauen bebend, auf dem Vorsprung, der sich ungefähr einen Meter unter dem Rand der Schlucht befand und gerade soviel Platz bot, daß eine einzelne Person dort festen Fuß fassen konnte. Vor dem Jungen erhob sich das wirre Gebüsch, aus einigen besonders starken Ginstersträuchern bestehend, durch die sich die Brombeerranken wie ein Netz verschlungen hatten. Unter ihm gähnte der gut acht Meter tiefe Abhang, so steil abfallend, daß ein Sturz in die Tiefe sicheren Tod brachte.
Heinrich Seiler hielt den Strick noch mit beiden Händen fest. Vergebens hatte er soeben versucht, sich wieder zu dem Rand der Schlucht emporzuarbeiten. Das unheimliche Schreien des Käuzchens lähmte seine Muskeln. Seine Gedanken verwirrten sich, kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn und das jagende Blut drohte ihm das Herz zu sprengen. Wie es ihm da in der Brust klopfte; so rasend schnell folgten die Schläge. Und wie sein armes Hirn arbeitete. Was dachte er alles, als er so mit zitternden Knien dastand, sich so mühsam nur durch den Halt an dem Tau vor dem Zusammensinken bewahrte.
Sollte er jetzt hier elend umkommen – war’s die Strafe für sein … Da stockten seine Gedanken. Strafe, – Strafe, – wofür?! Was hatte er denn so Schlechtes getan, daß er hier in dieser Einsamkeit zugrunde gehen sollte, vielleicht – um ermordet zu werden von seinen früheren Freunden! –
Ja, was? – War’s denn etwas so Sündhaftes gewesen, den Brüdern Albrecht nachzuschleichen, hatte er dabei nicht die besten Absichten