Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
Lust am Abenteuern? Oder –? –
Da schien plötzlich die Furcht von Heinrich Seiler abzugleiten wie ein matter Pfeil. Wie kam das nur? –
Er dachte nach, sann und sann. Und die wilde Angst war nun ja weg und – die Mutter daheim, – ja, die Mutter daheim, um die mußte er sich aufraffen, ebenso wie er ja nur hier in den Bergen seine Streifzüge unternahm, um – ja, das war’s – um der Mutter zu helfen! Wie ein lockendes, unklares Nebelgebilde hatte allen seinen Plänen die Hoffnung auf eine klingende Belohnung vorgeschwebt, hatte ihn geleitet und – vielleicht verführt zu diesem abenteuerlichen Tun. Aber nichts Schlechtes war dabei – nichts …
Minuten waren vergangen. Bewegungslos hatte der Junge so auf dem schmalen Vorsprung gestanden, bewegungslos den Sturm seiner Gedanken über sich hintoben lassen. Und jetzt, jetzt dachte er so anders, so klar. – Sollte er denn wirklich hier in dem stillen Mondschein sein letztes Stündlein herannahen sehen, sollte sich ihm, gerade ihm das Verhängnis in irgendeiner Gestalt nahen, ihm, der den jungen Albrechts und ihrem lichtscheuen Treiben nur nachspionierte, um ihnen endlich das Handwerk zu legen und der darbenden Mutter daheim zu helfen – irgendwie, – ihr Geld bringen zu können und zu sagen: ›Da, nimm!‹
Nein, er hatte ja immer in der Religionsstunde gelernt, daß der liebe Gott den braven Menschen helfe. Und brav war doch sein Tun – sicher war’s brav. Und daher – daher schaute Heinrich Seiler jetzt mit klaren Augen zum Rand der Schlucht empor, dorthin, wo gerade der Mond wie eine silberne Scheibe über den Büschen emporstieg. Ihm war’s, als ob’s nicht ein ferner Stern sei, der sein weißes Licht über diese Einsamkeit ausgoß, sondern als ob das Auge Gottes schirmend und wachend zu ihm herabblickte, zu ihm, der hier so allein und so schutzlos vor dem Eingang der Höhle, des Schlupfwinkels von Verbrechern, stand.
Jetzt horchte er mit so ganz anderen Empfindungen auf das wieder langsamer werdende Klopfen seines Herzens. Und wie zur Probe versuchte er, ob seine Kräfte ihm den Rückweg möglich machen würden. Er spannte die Muskeln an. Ja, sie gehorchten wieder; er fühlte, daß er nun mit wenigen Griffen oben am Rand, in Sicherheit sein konnte. Und mit dieser Überzeugung kam auch der alte Wagemut zurück.
Wenn er jetzt umkehrte, dann war auch diese Nacht vergebens geopfert, all die überstandene Angst umsonst gewesen! Und sollte er feige vor dem letzten zurückbeben, sollte er sich wieder wie eine Memme benehmen, wenn das Käuzchen vielleicht nochmals schrie?
Langsam ließen Heinrich Seilers Finger das Seil fahren. Es lag jetzt dicht an der Wand des Abhanges wie ein grauer Strich. Er brauchte nur den Arm auszustrecken, dann hatte er’s wieder und mit ihm den Weg nach oben.
Langsam glitten des Jungen forschenden Blicke über die Umgebung hin, über die Ränder der Schlucht, über den jenseitigen Abhang, auch hinunter in die Tiefe. Aber nirgends ein Anzeichen, daß außer ihm noch jemand in der Ginsterschlucht weile. –
Dann kehrten sie zurück und richteten sich geradeaus in das dichte Gestrüpp vor ihm, bohrten darin fest und suchten. Aber nirgends schien eine lichtere Stelle zu sein. Überall rankten sich gleich verschlungen die Brombeerranken um die hohen Ginsterstauden. Wie ein Vorhang lag dieses grüne Gewirr vor der Wand des Abhanges. Leise Zweifel überkamen ihn da. Sollte er sich getäuscht haben? Sollte es dahinter gar kein Versteck gegen?! Aber schnell ließen die Gedanken von dieser Vermutung ab. Wozu sonst auf der Strick, wozu? Nein, das waren unnütze Erwägungen.
Der Vorsprung, auf dem Heinrich Seiler stand, war so schmal, daß er sich jetzt, als er vorsichtig niederkniete, ganz zusammenkrümmen mußte. Seine Hände tasteten nun vorsichtig in das Gebüsch hinein. Unhörbar glitten seine Finger über den Erdboden, die Wurzeln der Sträucher hin. Er mußte sich langsam vorwärts schieben, um seine Untersuchung weiter ausdehnen können. So fand er endlich das Loch in dem Gestrüpp, nachdem er einige Ranken hochgehoben und einen lose in der Erde steckenden Busch beiseite gelegt hatte.
Wie eine Schlange wand er sich in die Öffnung hinein. Es dauerte unendlich lange, bis er sich mit dem Oberkörper in dem Gestrüpp befand. Zwar knisterte es bisweilen leise, die Zweige rauschten auch, aber trotzdem schob er sich weiter und weiter vor. Es war jetzt dunkel um ihn her, so dunkel, daß er sich nur auf seinen Tastsinn verlassen konnte. Immer fuhren seine Finger in das Dunkel vor ihm, schoben Zweige und Ranken beiseite, bis – sie auf etwas stießen, das sich wie ein dickes Tuch anfühlte. Da kniete er nun und ruhte sich erst einmal aus. Dabei lauschte er mit gespannter Aufmerksamkeit. Aber nichts war zu hören, nichts.
Ja, es war ein dicker Stoff, der da vor ihm hing. Immer wieder ließ er seine Finger prüfend darüber hingleiten. Jetzt hatte er auch gemerkt, daß dieses Tuch gerade vor ihm übereinander lag, daß es sich wie ein zweitteiliger Vorhang aufheben ließ. Mit äußerster Behutsamkeit kroch er nun weiter, bis sein Kopf den Stoff berührte. Und langsam, langsam streckte er beide Hände aus und schob die übereinander liegenden Teile der Decke auseinander – soweit, daß er hoffen konnte, auch den dahinter verborgenen Raum zu überblicken. Aber so sehr er auch seine Augen anstrengte, er sah nichts als schwarze, undurchdringliche Finsternis. Als er nun den Kopf vorsichtig zwischen den Händen vorführte, und die beiden Teile des Tuches über seine Schultern hinstreiften, als von außen kein Geräusch mehr an sein Ohr dringen konnte, da war’s, als ob vor ihm, aber in weiter, weiter Ferne gesprochen würde. Einzelne Laute schlugen an sein Ohr; dann wurde es wieder still.
Heinrich Seiler kniete jetzt auf der bloßen Erde, wie ihn seine tastenden Finger bald belehrten. Er hatte sich noch mehr vorwärts gewagt. Das Tuch war über seinen nachgleitenden Fußspitzen wieder zugefallen. Er hob den rechten Arm und beschrieb damit langsam einen Halbkreis durch die Luft, bis er seitwärts auf eine Wand stieß, – rauhe Bretter, die übereinander gelegt waren. Dasselbe tat er nach links hin und fühlte auch hier dieselbe Wand. Also war er in einem gut einen Meter breiten Gang. Wie hoch derselbe war, das konnte er nicht herausbekommen. Denn sich ganz aufzurichten wagte er nicht.
Eine dumpfe Luft, die beinahe den Atem benahm, lagerte in diesem Gang. Selbst Heinrich Seilers durchaus nicht verwöhnte Nase empfand einen leisen Ekel vor diesem Gemisch von Gerüchen. Dann war’s ihm plötzlich, als ob Tabakrauch ihm entgegenwehte. Er sog die Luft prüfend ein – ja, es war Tabakrauch. Und er empfand dies wie eine Wohltat. Jetzt hört er auch wieder die Stimmen. Sogar einzelne Worte glaubte er zu verstehen. Aber die, die da sprachen, mußten sich tief im Innern der Erde befinden.
Da dem Jungen das Knien unbequem wurde, er sich aber auch nicht weiter vorwagte, so setzt er sich vorsichtig hin und überlegte dann. Er war jetzt so ruhig, fühlte sich so sicher, daß er vorläufig an den Rückweg nicht dachte. Eigentlich wußte er jetzt ja genug und hätte umkehren können. Denn daß die, die da vor ihm sprachen und dazu rauchten, die Brüder Albrecht waren, daran zweifelte er nicht im geringsten. Er wußte jetzt ja auch, wie man diesen so schlau angelegten Schlupfwinkel betreten könne, brauchte also nur dorthin zu gehen, wohin man ihn an einem Abend mit gefesselten Händen geschleppt hatte und dort seine Entdeckungen anzugeben. Dann – ja, dann. –
Und etwas wie ein Gefühl von Triumph überkam Heinrich Seiler, er hatte vollständig vergessen, wo er sich befand. Seine Kinderphantasie malte es sich so wunderbar aus, wie er da in der Wachtstube unter den befürchteten Schutzleuten stehen und erzählen würde. Und die würden dann Mund und Ohren aufsperren und dann würde wohl auch einer sagen: ›Das ist ein Kerl!‹ –
So eilten die Gedanken des Jungen in die Zukunft hin und spannen eitle Träume. Und die Folge dieser Betrachtungen war die, daß Heinrich nur einen, nur einen einzigen, vorsichtigen Blick in den eigentlichen Höhlenraum tun wollte. Er wollte diese Höhle zuerst gesehen haben. Als erster von denen, die hier nichts zu suchen hatten.
Ein kindlicher Ehrgeiz trieb ihn weiter vor. So begann denn wieder dieses schrittweise Vordringen, dieses Tasten mit den Händen, diese Art der Vorwärtsbewegung, bei der alle Nerven und Muskeln bis zum äußersten gespannt sind. –
Plötzlich – er mochte vielleicht fünf Schritt vorgedrungen sein, stießen seine Finger an einen feinen Draht, der über den Gang in einer Höhe von einem halben Meter hinlief. Und zugleich war’s ihm auch, als hörte er in der Ferne ein feines Klingeln, wie das Anschlagen eines Glöckchens.
Atemlos machte er Halt, und