Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
nahte sich das Verhängnis – da vor ihm war’s – und jetzt, jetzt faßte eine Hand nach seinem Kopf, glitt über sein Haar hin. Da riß es ihn empor – war’s das Entsetzen oder ein plötzlicher Mut – er sprang auf, stieß mit dem Kopf hart gegen die Decke des Ganges und taumelte halb ohnmächtig nach vorn. Und wie ein letzter Versuch zur Rettung griff er im Niederstürzen nach der Pistole, streckte sie vor sich in die Dunkelheit, spannte den Hahn mit zitternden Fingern und drückte ab.
Dann ein wildes Ringen, ein Schleifen, Raunen und Flüstern, – ein Stöhnen aus den Tiefen der Erde, – dann wurde es still.
Heinrich Seiler aber lag mit einem Knebel im Munde, gefesselt und mit verbundenen Augen in der Höhle, in die er nur einen einzigen Blick hatte werfen wollen …
14. Kapitel
»Gut, Herr Kommissar, wenn Sie durchaus wollen.«
Jakob Fischer sagte das in keineswegs sehr freundlichem Ton.
»Wollen?!« entgegnete Kern mit jenem unangenehmen Lächeln, das in seinem nervös zuckenden Gesicht die Züge zur Fratze verzog, »Wollen?! Natürlich will ich, ich muß sogar! Ich werde mich auch als erster an dem Strick hinablassen, – Sie können dann nachkommen.«
Fischer schien noch etwas sagen zu wollen.
»Herr Kommissar,« meinte er dann, sich aufrichtend, »ich will nur noch bemerken, daß ich die Sache nicht ganz ungefährlich halte. Sind die Kerle noch da unten, dann – dann – –«
Fischer zog bedenklich die Schultern hoch.
»Einerlei,« erwiderte aber trotzdem Kern in barschem Ton, »ich gehe zuerst!« – Und damit kniete er auch schon wieder, rutschte bis zum Fuß der Kiefer vor und ergriff den Strick.
Polizeirat Scheller stand neben Fischer dicht am Rande der Schlucht und schaute zu, wie Kern sich langsam hinabgleiten ließ. Unten in der Schlucht hatten sich ebenfalls mehrere Beamte gesammelt und blickten gespannt nach oben.
Der Kommissar hatte jetzt den Vorsprung erreicht und ließ das Tau aus den Händen gleiten, Fischer lag schon am Boden, um seinem Vorgesetzten sofort zu folgen. Da passierte etwas, das sich niemand der Zuschauer erklären konnte. Kern breitete plötzlich die Arme aus, ein gellender Schrei ertönte – dann fiel er hintenüber, rollte, sich überschlagend und öfters hart aufstoßend, den Abhang hinab, blieb beinahe vor den Füßen der unten Stehenden regungslos liegen.
Fischer hatte sich schnell wieder erhoben.
»Meine Befürchtung, meine Befürchtung!« rief er dem wie versteinert dastehenden Polizeirat zu. Dieser starrte leichenblaß die Schlucht hinab, in der die Beamten sich jetzt um den Abgestürzten bemühten.
»Wer hätte das denken können?« stotterte Scheller hervor. »Ob er tot ist?«
Fischer formte die Hände zum Trichter und rief hinunter: »Was ist los? Werner, was ist los?«
Die Antwort war wenig tröstlich. Kern war ohne Bewußtsein.
Der Polizeirat hatte sie schnell gefaßt. Wenn ihm auch der erste Schreck in die Glieder gefahren war, jetzt zeigte sich wieder der umsichtige Beamte.
»Ich werde jemand nach einem Arzt schicken,« sagte er eifrig. »Sie bleiben inzwischen hier, Fischer. Ich muß doch einmal selbst nach Kern sehen.«
Damit wollte er auf einem Umweg nach dem Grund der Schlucht eilen.
»Herr Rat, – Herr Rat,« rief Fischer ihm noch nach, »lassen Sie, bitte, noch einige Stricke und eine lange Leiter mitbringen.«
»Gut – gut.«
Selten war der Polizeirat wohl in einem solchen Tempo über den unebenen Boden gelaufen wie damals, als ihn die Sorge um den Kommissar nach der Schlucht rieb. –
Jakob Fischer war allein oben bei der einsamen Kiefer geblieben. Er schob den Hut zurück und fuhr sich mit der Hand über die feuchte Stirn.
»Eine schöne Geschichte,« knurrte er »ob sie eigentlich auf den Kommissar geschossen haben? – Das ging alles so schnell. Aber da hätte man doch einen Schuß hören müssen. Oder? – Ja, so wird’s sein – hinabgestoßen haben sie ihn, nur so läßt sich’s erklären. Diese verd… Kerle!«
Dann schaute er hinab, wo jetzt Scheller neben dem regungslosen Körper Kerns kniete.
›Ich würde jedenfalls nicht dort liegen,‹ dachte Fischer sich; ›ich hätte den Strick so bald nicht aus der Hand gelassen. Unvorsichtig, sehr unvorsichtig!‹ –
Zwei von den untenstehenden Beamten liefen jetzt in größter Eile dem Stadtpark zu, dessen Bäume wie eine dunkle Wand am Horizont sichtbar waren. Fischer hatte sich auf den Rand der Schlucht neben die Kiefer gesetzt und schaute zwischen den Knien hindurch in das Gestrüpp, aus dem der verhängnisvolle Stoß gekommen war. Und je länger er so hinabsah, desto mehr vergaß er das soeben Vorgefallene. Seine Gedanken suchten Mittel und Wege, wie man denen da in ihrer Höhle am gefahrlosesten beikommen konnte. Und mit einem Male hielt er wieder die Hände an den Mund und rief mit aller Kraft in das unter ihm wuchernde Gebüsch hinein:
»Schusterkarl, seien Sie nicht so dumm, Menschenskind! Wozu der Widerstand?! Wir kriegen Sie ja doch! Kommen Sie heraus, und ich verspreche Ihnen eine anständige Behandlung!«
Scheller und die anderen hatten erstaunt nach oben geblickt, als sie die Stimme Fischers hörten und auch jedes Wort verstanden. Aber in dem Gestrüpp rührte sich nichts. Es blieb still.
Nochmals versuchte Fischer dem alten gewitzten Berliner Einbrecher mit Vernunftgründen zu kommen. Er hatte sich weit vorgebeugt und wartete den Erfolg seiner Worte ab. Da – plötzlich fiel ein Schuß aus dem Gesträuch, und Fischer rollte einige Schritte vom Rande der Schlucht weg, sprang aber sofort wieder auf und winkte den Untenstehenden beinahe lachend zu. Er war unverletzt geblieben, wenn auch die Kugel deutlich über ihm einen Ast der Kiefer zersplittern hörte.
Nun stand Jakob Fischer kopfschüttelnd da und überlegte. Und als dann der Polizeirat in heller Aufregung mit zwei der Beamten auf ihn zukam und mit seltenem Ingrimm Drohworte auf den ›Schusterkarl‹ ausstieß, das sagte Fischer nur nachdenklich:
»Der ›Schusterkarl‹? – Nein, Herr Rat, ich fürchte, der ist da unten nicht. Das tut ein Berliner Junge nicht – nie! Das sind andere, Neulinge, die aus Furcht den Kopf verloren haben.«
Fischers stets gleichbleibende Ruhe wirkte auch auf die anderen. Man beriet schnell die Maßregeln, die Fischer vorschlug, und sah sich im übrigen zum Warten genötigt. Denn ohne die bestellten Leitern und noch einige Taue war den Belagerten nicht beizukommen – wenigstens nicht auf gefahrlose Weise. Und der Polizeirat hatte durchaus keine Lust, die Gesundheit noch einiger Leute aufs Spiel zu setzen.
Inzwischen hatten sich auch die in noch weiterem Umkreis um die Ginsterschlucht postiert gewesenen Beamten eingefunden, so daß die anwesende Polizeimacht in zwei Trupps der weiteren Entwicklung der Dinge entgegensah. Der eine stand unten bei dem noch immer bewegungslos daliegenden Kommissar, während der andere sich oben am Rand der Schlucht hingesetzt hatte, und hier mit gedämpfter Stimme die Ereignisse durchsprach. Etwas abseits standen Scheller und Jakob Fischer.
Der Polizeirat war durch die letzten Vorfälle, besonders durch den unglücklichen Sturz des Kommissars doch etwas nervös geworden. Alle Augenblicke schaute er nach dem Wald hinüber, wo die ausgeschickten Beamten bald auftauchen mußten. Dann wieder überschüttete er den beinahe teilnahmslos ausschauenden Fischer mit einer Unmenge von Fragen. Er wollte Vermutungen, Hoffnungen hören – irgend etwas, das mit dieser Expedition zusammenhing. Doch Jakob Fischer blieb einsilbig und schien es gar nicht zu merken, daß sein Vorgesetzter die Zeit vertrieben haben wollte.
Schließlich fiel dem Polizeirat Fischers Wortkargheit doch auf. »Sagen Sie nur, Menschenskind,« fragte er in seiner gemütlichen Weise, »worüber sinnen Sie nun eigentlich