Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
Alles steht oder liegt da im Haufen zusammen, als ob so eine Höhle keinen zweiten Ausgang haben könnte.«
»So – ja. Allerdings, die Schlucht zieht sich gut hundertfünfzig Meter hin – und – –« Scheller war ein Mann schneller Entschlüsse. Er ließ Fischer einfach stehen und ging auf die in der Nähe sitzenden Beamten zu, denen er leise einige Befehle gab. Daraufhin trennten sich drei Leute von den übrigen und verschwanden bald hinter einer Bodenwelle. So wurde denn auf Fischers Veranlassung ganz unauffällig die Schlucht wieder umstellt.
Während der Polizeirat mit den Beamten sprach, war Fischer langsam am Rand der Schlucht entlang geschlendert und entfernte sich immer weiter von der Kiefer. Der Gedanke, daß dieser Schlupfwinkel da unter der Erde noch einen zweiten Ausgang haben könnte, war ihm auch erst vorhin gekommen. Jetzt trieb ihn eine geheime Unruhe dazu, den Abhang doch einmal daraufhin genauer in Augenschein zu nehmen. Doch je weiter er ging, desto unwahrscheinlicher schien ihm seine Vermutung. Denn die Schlucht erreichte gerade an der einsamen Kiefer ihre tiefste Stelle, während sie nach beiden Seiten hin langsam in das ebene Terrain der Heide verlief. Fischers scharfe Augen entdeckten nirgends eine Stelle, die auch nur einigermaßen geeignet gewesen wäre, einen zweiten Ausgang zu verbergen. Außerdem sah er auch jetzt wieder die aufgestellten Posten und so kehrte er denn beruhigt um.
Er war vielleicht noch dreißig Meter von der Kiefer entfernt, als er an dem Abhang das leise Rieseln von Sand zu vernehmen glaubte. Augenblicklich blieb er stehen und beugte sich weit vor, um die Böschung besser überschauen zu können. Gewiß, auch hier hatten sich einige Ginsterstauden und Brombeersträuchern in den Erdboden eingeklemmt, aber überall war dieses Grüne leicht zu übersehen. Schon wollte er zurücktreten und seinen Rückweg fortsetzen, als er’s wieder hörte, dieses beinahe klingende Geräusch des gleitenden Sandes. Und dann sah er auch, wie sich unter einem dichten Brombeergestrüpp ungefähr in der Mitte des Abhangs plötzlich eine größere Erbmasse loslöste, sah aus der Erde einen Körper hervorschnellen, der gewandt den Abhang hinabrutschte – ein zweiter Körper folgte – und zwei Gestalten stürmten jetzt da unten im Grunde der offenen Heide zu …
Nur einen Augenblick hatte Fischer betroffen dieser plötzlichen Erscheinung zugeschaut. Schon gellte seine Stimme: »Achtung! – Achtung!« Und dabei winkte er den in der Ferne sichtbaren Beamten zu.
Auch Scheller hatte sofort nach dem ersten Ausruf Fischers die beiden Flüchtlinge erblickt. Jetzt waren die zwei in der Heide auf ebenem Boden, wie Pfeile schossen sie dahin, und wandten sich scharf nach rechts dem Walde zu. – Da mit einem Male wuchsen vor ihnen wie aus der Erde zwei Gestalten heraus, die ihnen den Weg versperrten. Und so gut hatten die Beamten die Richtung berechnet, daß ihnen die Flüchtlinge gerade in die Arme liefen. –
Als die Gefangenen dann nach der Kiefer geführt wurden, und der Polizeirat sah, daß es sich um zwei kaum dem Knabenalter entwachsene Burschen handelte, schaute er Fischer wie mißtrauisch fragend an.
»Es sind die beiden Brüder Albrecht,« sagte der offenbar übelgelaunt und blickte dann zu Boden. Jakob Fischer hatte in dem Augenblick, als er in den Gefangenen die Söhne des Flickschusters erkannte, alle Hoffnung aufgegeben, den ›Schusterkarl‹ heute noch in seiner Gewalt sehen. So hatte er doch wieder einmal nicht zu unrecht angenommen, daß der Schuß nicht die letzte verzweifelte Gegenwehr eines gewitzten Einbrechers darstellte.
Scheller musterte lange schweigend die beiden jugendlichen Verbrecher, die da mit frechem Gesichtsausdruck vor ihm standen. Besonders der jüngere Albrecht schaute die Beamten und auch den Polizeirat geradezu herausfordernd an. Und vergeblich richtete nun Scheller an die beiden einige Fragen über den Verbleib Heinrich Seilers und des Berliners, vergeblich drohte ihnen der über eine solche Verstocktheit empörte alte Herr mit strengen Strafen. Sie schwiegen, und nur bei der Erwähnung des Namens Seiler spielte um ihre Lippen ein rachsüchtiges, halb höhnisches Lächeln.
Endlich wandte sich der Polizeirat ärgerlich von den beiden Burschen weg und wieder Fischer zu, der jetzt mit einem fast sorgenvollen Gesicht dastand.
»Nun, Fischer, – was jetzt? Ich bin mit meiner Kunst zu Ende!« meinte er.
»Jetzt, Herr Rat,« sagte Fischer leise, »jetzt fürchte ich wieder das Schlimmste für Heinrich Seiler! Die Gesichter dieser Bengel lassen nichts Gutes ahnen.«
»Sie glauben, daß –«
Aber Fischer war in diesem Augenblick so respektlos, seinen Vorgesetzten zu unterbrechen.
»Am besten wird sein,« sagte er eifrig, »ich lasse mich sofort in die Höhle hinab. Die Gefahr ist ja jetzt vorüber und Streichhölzer genügen schon zu einer oberflächlichen Untersuchung. Denn wir müssen uns beeilen, daß wir die Fährte des ›Schusterkarl‹ wiederfinden, sonst –!« Dabei hatte er seine Brille abgenommen und putzte nun die Gläser mit dem Taschentuch.
Scheller nickte nur. Auch seine Gedanken waren nicht gerade sehr freudiger Natur. Was nützt es, daß man hier die Brüder Albrecht nun aufgegriffen hatte, und man wahrscheinlich da unten einen Teil der Diebesbeute wiederfinden würde?! Letzteres war allerdings noch sehr fraglich, – ebenso fraglich wie der Erfolg der jetzt erneut notwendigen Jagd auf den Berliner!
Der Polizeirat seufzte auf. Das war sein interessantes Amt, wie die Stammtischbrüder immer sagten! Und wie des Polizeirats Gedanken jetzt in der gemütlichen Kneipe einen Augenblick verweilten, da schien’s, als stiege vor seinem geistigen Auge ein wohlgefüllter Halbliterkrug mit köstlicher Blume auf, er glaubte seines Freundes Görtz, des Baumeisters, Stimme zu hören, die so urgemütlich sagte: ›Prosit, Alterchen!‹
Als er aber jetzt aufschaute, blickte er in das schadenfroh grinsende Gesicht des jüngeren Albrecht. –
15. Kapitel
Als Jakob Fischer schon unten auf dem schmalen Vorsprung stand und vorsichtig die Augen über das Gestrüpp hingleiten ließ, da rief ihm Scheller plötzlich zu: »Warten Sie noch, – dahinten kommen unsere Leute. Mit einer Laterne ist die Sache auch sicher gemütlicher als bei dem zweifelhaften Licht von Streichhölzern.« –
Daher wartete Fischer, bis ihm die brennende Laterne an einem Strick heruntergelassen wurde. Dann aber verschwand er sofort in dem Gebüsch, kroch tief gebückt hindurch – ohne alle Scheu, da er wirklich der Meinung war, daß er in der Höhle kein lebendes Wesen mehr vorfinden würde. Als er in den mit Brettern ausgeschlagenen weit über einen Meter hohen Gang gelangt war und im Lichtschein über diese beinahe sorgfältig verschalten Erdwände sah, konnte er sein Erstaunen kaum unterdrücken. Wer das geahnt hätte, daß man hier in dieser Einsamkeit einen so raffiniert und so sachgemäß angelegten Schlupfwinkel vorfinden würde! Das waren wahrhaftig starke, behauene Stützen und die Bretter sogar oberflächlich behobelt! Sicher irgendwo von einem Holzhof gestohlen, dachte sich Fischer sogleich. Da ein Aufrechtgehen in dem Gang nicht möglich war, so rutschte er auf den Knien weiter. Als er so vielleicht vier Meter vorwärts gekommen war, machte der Gang eine Wendung nach der linken Seite hin. An der Biegung angelangt, ließ Fischer erst vorsichtig das Licht seiner Laterne in die Finsternis vor ihm hineinfallen. Und da – beinahe wäre er entsetzt zurückgeprallt – erblickte er in dem ungewissen Licht in einer Ecke eines größeren Raumes, in dem allerhand Kisten und Gerümpel umherstanden, auf dem Boden eine Gestalt lang ausgestreckt liegen.
In demselben Augenblick klang ein qualvolles Stöhnen durch die Höhle, und – die Gestalt bewegte sich, warf sich auf die Seite.
Jakob Fischer war gewiß nicht leicht zu erschrecken. Aber jetzt merkte er doch, wie ein selten unbehagliches Gefühl ihm nach dem Herzen kroch. Dazu noch die dumpfe, verdorbene Luft, die sogar das Atmen erschwerte! Jedenfalls kostete es dem sonst so mutigen Beamten einige Überwindung, aus dem Gang in den eigentlichen Höhlenraum einzudringen. Aber diese Anwandlung von Schwäche ging bald vorüber. Noch einige Schritte und Fischer konnte sich aufrichten. Denn dieses als Wohn- und Schlafraum notdürftig ausgestattete, unterirdische Gemach war beinahe zwei Meter hoch und vielleicht vier Meter im Quadrat groß.
Der