Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
dem er seinem Herrn das letzte Geleit gegeben hatte.
»Wunderbares Frühlingswetter heute,« begann ›Herr Müller‹ die Unterhaltung.
Der Alte nickte traurig. »Viel zu schön, um einen Menschen zu Grabe zu tragen,« meinte er, sein rotgeblümtes Taschentuch an die Augen führend.
»Sterben müssen wir alle einmal,« sagte Schaper salbungsvoll. »Und hat man erst die Augen für immer geschlossen, so dürfte es einem gleichgültig sein, ob die Sonne scheint oder der liebe Gott es regnen läßt.« Dann holte er seine Zigarrentasche hervor und bot sie auch dem Hausmeister an. Er wollte den Mann zutraulich machen.
Truschinski langte mit vielen Bücklingen zu.
Als dann die Zigarren brannten, fragte Schaper so ganz nebenbei:
»Sagen Sie, Herr Hausmeister, da oben im Arbeitszimmer steht eine elektrische Taschenlampe. Gehört die Ihnen?«
»Nein, Herr Müller. Auch Herrn Marschalls Eigentum ist das nicht. Die muß einer von den Polizeibeamten hier vergessen haben.«
Schaper lachte. »So nachlässig sind die nicht, glauben Sie mir. Die Lampe wird doch wohl zu Herrn Marschalls Sachen gehört haben.«
Truschinski blieb aber hartnäckig dabei, daß dies ausgeschlossen wäre, und der Detektiv widersprach ihm nicht weiter.
Schweigend wanderten sie eine Weile auf dem breiten Hauptwege des Parkes nebeneinander her.
»Ja, Herr Müller, wie traurig das so für einen ist, wenn man erlebt, wie ein so guter Mensch wie dieser Herr Wendland sich so vergessen kann, das ahnen Sie gar nicht. Wir, meine Frau und ich, haben stets große Stücke auf Herrn Boto gehalten. Und jetzt … jetzt …«
»Es gibt viele Wölfe in Schafskleidern, mein lieber Truschinski. Und die Heuchler, das sind gerade die Schlimmsten.«
Der Alte schüttelte traurig den Kopf.
»Ich bin gewiß dafür, daß jeder seine Strafe bekommt, der was begangen hat,« erklärte er zögernd. »Aber hier wünsche ich beinahe, die Polizei würde den Herrn Boto nicht finden.«
»Nanu?! So soll also ein Mord ungesühnt bleiben – bedenken Sie – ein Mord!« Schaper spielte vorzüglich den sittlich Entrüsteten.
»Hm … Mord …? Sie werden sich vorher gezankt haben, der Onkel und der Neffe. Leicht war ja mit Herrn Marschall nicht umzugehen.«
»Aber der andere Neffe soll doch ganz gut mit ihm ausgekommen sein,« lenkte Schaper absichtlich das Gespräch dorthin über, wohin er es haben wollte.
Truschinski war stehen geblieben und blickte einem vorwitzigen Schmetterling nach, den der warme Sonnenschein hervorgelockt hatte.
Plötzlich drehte er sich um und schaute Schaper fast argwöhnisch an.
»Sind Sie vielleicht mit dem Herrn Regierungsreferendar befreundet?« fragte er gedehnt.
»Ich kenne ihn persönlich nicht. Nur ein Bekannter von mir erzählte von ihm. Soll ja eine sehr elegante Erscheinung sein, der Herr Hektor Brieux.«
Truschinski machte eine geringschätzige Bewegung mit der Hand.
»Elegant hin, elegant her! – Jetzt, wo Fräulein Anni alles geerbt hat und man nicht fürchten muß, daß man von … dem an die Luft gesetzt wird, kann man ja reden, wie einem wirklich zu Mut ist. Ein Bummler und Tunichtgut ist’s, ein Heuchler aus dem ›ff‹, der Herrn Marschall stets um den Bart ging und doch heimlich geschürt hat, daß Vater und Tochter sich entzweiten … Nein, Herr Müller, von dem will ich nichts wissen!«
»Also Sie meinen wirklich, daß Hektor Brieux absichtlich die Entfremdung zwischen Ihrem Herrn und seinem einzigen Kinde noch zu vergrößern suchte? Das wäre ja eine unglaubliche Schlechtigkeit – und wozu?«
Der Alte lachte vor sich hin. »Wozu? – Und die Erbschaft, Herr Müller?! – Ja, da liegt der Hase im Pfeffer!«
Schaper tat, als ob ihm jetzt erst ein Licht aufging.
»Ah – ich verstehe! Na, solche Schurkerei!« rief er ganz empört. »Ein Glück, daß das Testament ungültig ist.«
»Ja, ein wahres Glück!« bestätigte Truschinski feierlich. »Fräulein Anni hat uns schon gesagt, daß wir weiter hier bis an unser Lebensende das Haus verwalten sollen,« fügte er hinzu. »Die ist ja so gut und so lieb wie ein Engel.«
Wieder eine kurze Pause. Dann begann Schaper, indem er ein Zeitungsblatt aus der Tasche zog:
»Ist es Ihnen nicht aufgefallen, daß Hektor Brieux heute beim Begräbnis fehlte, Herr Hausmeister?«
»Freilich, freilich. Recht traurig, daß das gnädige Fräulein als die einzige Verwandte am offenen Grabe stand.«
»So wissen Sie also noch gar nicht, daß die Polizei jetzt zwei Personen in dieser Kriminalsache sucht, den einen als den mutmaßlichen Täter, den anderen als Zeugen?«
Der Alte schaute überrascht auf. Er begriff nicht sofort.
»Wie soll ich das verstehen, Herr Müller?« meinte er unsicher.
»Nun – hier, lesen Sie mal diese Zeitungsnotiz, dann wissen Sie Bescheid.«
Truschinski holte erst umständlich eine große Brille hervor, setzte sie sich auf die verdächtig blaurot schimmernde Nase und griff dann nach dem Blatt. Dort stand an der von Schaper angegebenen Stelle folgendes:
›Rätselhaftes Verschwinden eines jungen Lebemannes. – Der in der Bellevuestraße in einem vornehmen Pensionat wohnende Regierungsreferendar a.D. Hektor Brieux, ein Neffe des unlängst ermordeten Rentiers Marschall, ist seit drei Tagen spurlos verschwunden.
Am Morgen des Tages, an dem sein Onkel um die Mittagszeit einem Mörder zum Opfer fiel, verließ er nach Angabe der Pensionsinhaberin seine Wohnung und ist seitdem dorthin nicht mehr zurückgekehrt. Zum letzten Male wurde er gegen Mittag an demselben Tage von dem Hausmeister des ›Katzen-Palais‹, wie die Villa in der Schloßstraße im Volksmund heißt, an der Hintertreppe des Parkes gesehen, wo er von dem Manne sich ein Streichholz für seine Zigarette ausbat und dann die Grenadiergasse weiter hinaufschritt. Von diesem Augenblick an ist Brieux verschwunden. Alle Nachforschungen nach seinem Verbleib sind bisher resultatlos verlaufen, obwohl die Polizei nichts unversucht gelassen hat, um den in Kreisen der Halbwelt recht bekannten Herrn aufzufinden, da man seiner als des wichtigsten Zeugen in der Marschallschen Mordsache dringend bedarf.
Bekanntlich hat der Schauspieler Wendland, der ja als Täter einzig und allein in Betracht kommt, dem Hausmeister gegenüber bei seinem Besuch im ›Katzen-Palais‹ angegeben, daß der Rentier Marschall ihn durch ein von Brieux ihm übermitteltes Telegramm zu sich bestellt habe. Die Polizei legt nun Wert darauf, möglichst bald festzustellen, ob Wendland diese Depesche nur erfunden hat, um sich ungehindert Zutritt zu seinem Onkel zu verschaffen. –
Gleichzeitig sei an dieser Stelle hervorgehoben, daß bisher auch die Nachforschungen nach dem flüchtigen Schauspieler ergebnislos verlaufen sind. Wir machen darauf aufmerksam, daß die Belohnung für die Ergreifung Wendlands auf eintausend Mark erhöht ist, und daß ein Teil dieser Summe auch derjenige erhält, der zweckdienliche Angaben, die zu einer Verhaftung des Schauspielers führen können, zu machen imstande ist. Meldungen in dieser Sache nimmt der Kriminalkommissar Bechert auf Zimmer Nr. 18 des Charlottenburger Polizeipräsidiums entgegen.‹
Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis Truschinski mit dieser Lektüre fertig war.
Jetzt ließ er das Blatt sinken und schaute den Detektiv kopfschüttelnd an.
»Unglaublich,« meinte er, »also der ist auch nicht mehr zu finden! Hm, nun verstehe ich auch, weshalb gestern ein Kriminalbeamter hier war und sich so eingehend nach dem Regierungsreferendar erkundigte.«
In demselben Augenblick gesellte sich Max Truschinski, der schwachsinnige, verwachsene Sohn der Hausmeistersleute, zu den beiden. Mit seinem breiten, gekrümmten Oberkörper, den langen Armen, die ihm fast bis zu den Knien reichten, und dem tierisch