Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
»Ich … ich allein trage die Schuld daran. Ich wollte ihn …«
Doch Frau v. Gerster ließ sie nicht weitersprechen. Indem sie des jungen Mädchens Hand zärtlich streichelte, sagte sie schnell:
»Bitte, Herzchen, hier habe ich das Wort. Du bist ja viel zu erregt, Kleines, um das, was vorgefallen ist, übersichtlich darstellen zu können. Bitte, bitte – nimm dich zusammen. Dein Verlobter ist unschuldig, und das bleibt die Hauptsache. Die Herren hier werden schon raten und helfen.«
Schaper, dem Anni Marschall aufrichtig leid tat, mischte sich ebenfalls ein.
»Aber meine Damen, wozu all die Angst und Sorge. Das ist doch nur ein Schreckschuß der Polizei, diese Verhaftung, nichts weiter!« sagte er scheinbar gelassen. »Mag man doch erst einmal beweisen, daß Herr Wendland der Täter ist. Wird sehr schwer fallen, fürchte ich!«
In diesen Worten des bekannten Detektivs lag eine geradezu suggestiv beruhigende Wirkung.
Anni Marschalls Tränen versiegten langsam. Und dann raffte sie sich auf, trocknete etwas beschämt ihre Augen und flüsterte der Freundin zu: »Melanie, erzähle jetzt bitte.«
»Es ist verständlich, daß Fräulein Marschall den Wunsch hegte, sich einmal mit ihrem Verlobten auszusprechen,« begann Frau v. Gerster. »Boto Wendland, der sich im Norden Berlins unter falschem Namen, als Techniker Franz Karsten, ein billiges Zimmer gemietet hatte, kam nun heute nachmittag, nachdem alles telephonisch genau verabredet war, über die Hintertreppe in meine Wohnung. Ich hatte zur Vorsicht die Dienstboten fortgeschickt, und öffnete ihm selbst die Küchentür, um ihn einzulassen. Hätte Herr Wendland nicht seinen Namen leise genannt, ich würde ihn nicht erkannt haben. Ihm als Schauspieler war es nicht schwer gefallen, sein Äußeres vollkommen zu verändern, gerade so wie auch Sie, Herr Schaper, heute in Ihrer Verkleidung mit dem berühmten Detektiv nicht die geringste Ähnlichkeit haben.«
Schaper lächelte fein. »So, wie ich jetzt aussehe, gnädige Frau, bin ich auch nicht ich selbst, sondern bekanntlich der Architekt Müller aus Hamburg, der alte Bauten studiert.«
»Herr Wendland war jedoch kaum eine Viertelstunde in meiner Wohnung,« fuhr die junge Witwe fort, »als es an der Vordertür klingelte. Ahnungslos ging ich und öffnete. Es waren zwei Kriminalbeamte in Zivil, die mich ziemlich rücksichtslos beiseite drängten und Boto Wendland, der mit meiner Freundin im kleinen Salon saß, vollkommen überraschten. Ohne Zweifel war also das Haus, in dem ich wohne, beobachtet und der junge Schauspieler trotz seiner vorzüglichen Verkleidung erkannt worden.«
Schaper, der ohne großes Interesse zugehört hatte – eben weil er ahnte, wie die Polizei den angeblichen Mörder abgefaßt hatte, sagte jetzt im Tone leichten Vorwurfs zu Anni Marschall, die inzwischen ihre Selbstbeherrschung widererlangt hatte:
»Gnädiges Fräulein, ich sagte Ihnen doch ausdrücklich, Sie sollten vorsichtig sein! Besinnen Sie sich noch? – Ich kenne die Schliche der Polizei eben ganz genau. – Trotzdem ist es vielleicht ganz gut für alle Teile, daß es so gekommen ist. Denn meiner Ansicht nach muß dieses Versteckspielen, diese ewige Angst vor den Häschern Ihren Herrn Bräutigam ebenso angegriffen haben, als wenn er jetzt einige Zeit als Untersuchungsgefangener unter keineswegs allzu harten Bedingungen zubringt. Jedenfalls haben Sie doch jetzt die Absicht, Herrn Rechtsanwalt Heiling die Wahrnehmung der Interessen Ihres Verlobten zu übertragen. Und da Herr Wendland selbst wiederum mich mit den Nachforschungen nach dem wahren Mörder betraut hat – daß er der geheimnisvolle Mann am Telephon war, weiß ich ja längst – so ist die gesamte Intelligenz hier zur Stelle, die daran arbeiten will, dem Recht zum Siege zu verhelfen. Lassen Sie uns also nun in Ruhe beraten, was zunächst geschehen soll. Herr Dr. Heiling als Spezialist für Strafverteidigung mag sich freundlichst als erster äußern.«
Diese bündige Art des Detektivs sagte Anni Marschall, die nur im ersten Schreck über die Verhaftung des Geliebten ihre Fassung verloren hatte, durchaus zu. Und deshalb beteiligte sie sich an der gemeinsamen Aussprache mit derselben kühlen, energischen Klarheit, die Schaper bei seinem ersten Zusammentreffen mit ihr sofort schätzen gelernt hatte.
Noch an demselben Abend hatten Heiling und Schaper mit Kriminalkommissar Bechert, der die Untersuchungen in der Marschallschen Mordsache führte, eine lange Unterredung.
Der Kommissar zeigte für die Eröffnungen, die der Detektiv hinsichtlich der Person Hektor Brieux’ machte, und ebenso für die Geschichte der kleinen Taschenlaterne das größte Interesse. Jedenfalls wies er die Möglichkeit, daß der seit dem Morde spurlos verschwundene Regierungsreferendar der Täter sein könne, durchaus nicht von der Hand – sehr zu Schapers Genugtuung, der eigentlich im stillen angenommen hatte, daß der Kommissar diesen Mitteilungen nicht allzuviel Bedeutung beimessen würde.
»Es dürfte der Polizei nicht schwer fallen,« erklärte Bechert, »den Mann, mit dem Brieux damals in der Kneipe ›Zur fröhlichen Gruft‹ verschwand, nach der Beschreibung Ihres Angestellten, Herr Doktor, zu ermitteln. Haben wir dann erst die Beweise, daß der Regierungsreferendar wirklich, was ich nach dem Inhalt der Aktentasche stark vermute, zusammen mit gewerbsmäßigen Einbrechern den Diebstahl im Bureau des Damenhilfsvereins verübt hat, so gewinnt der Argwohn, den man jetzt nur in recht unbestimmter Form gegen ihn hegen kann, bedeutend an Wahrscheinlichkeit. Allerdings, ob Ihr Antrag, Boto Wendland gegen eine Kaution in einer vom Untersuchungsrichter zu bestimmenden Höhe freizulassen, angenommen werden wird, möchte ich bezweifeln. Dazu sind die gegen Hektor Brieux sprechenden Verdachtsgründe doch zu geringfügiger Art. Immerhin werden wir natürlich auch diese zweite Fährte verfolgen.«
Dann wandte er sich dem Detektiv zu, der sich, nachdem von ihm die den Regierungsreferendar betreffenden Angaben vorgebracht waren, nicht weiter an dem Gespräch beteiligt hatte.
»Wie denken Sie denn eigentlich über die gegen Brieux gefundenen Belastungsmomente, Herr Schaper?« meinte er mit einem gewissen Argwohn, der sich in dem Tonfall seiner Stimme deutlich widerspiegelte. »Die Tatsachen haben Sie mir zwar mitgeteilt, nicht aber die Schlußfolgerungen, die Sie daraus ziehen.«
Schaper hatte eine ähnliche Frage erwartet und war daher um eine Antwort nicht verlegen. Wenn er dem Kommissar die Wahrheit gesagt haben würde – daß er es für ausgeschlossen halte, daß Hektor Brieux der Mörder sei, so hätte er dadurch des Schauspielers Interessen nur geschadet, da von der Polizei der Antrag auf dessen vorläufige Haftentlassung natürlich niemals genehmigt würde, sobald er hier seine Bedenken, die er hinsichtlich der Täterschaft des Regierungsreferendars hegte und die ja auch nur zu berechtigt waren, laut werden ließ. Weit eher war es eigentlich seine Pflicht, die gegen Brieux aufgetauchten Verdachtsgründe künstlich noch zu verstärken, damit eben Boto Wendland dadurch entlastet würde.
Und so erwiderte er denn sehr diplomatisch:
»Nach meinen Schlußfolgerungen haben Sie nicht gefragt, Herr Kommissar. Und aufdrängen tue ich meine Meinung niemandem. Im übrigen dürften sich unsere Ansichten in diesem Falle wohl so ziemlich decken.«
Diese nicht gerade übermäßig höfliche Antwort erreichte vollkommen das, was Schaper mit ihr bezweckt hatte. Bechert drang nicht weiter in ihn und gab sich mit dieser nichtssagenden Auskunft, offenbar etwas gekränkt, wohl oder übel zufrieden.
Heiling, der Rede und Gegenrede der beiden genau verfolgt hatte, da es ihn interessierte, wie der Detektiv sich aus diesem Dilemma herauswinden würde, konnte nur mit Mühe ein Lächeln unterdrücken. Dieser Schaper war wirklich mit allen Hunden gehetzt!
Bechert sah jetzt seine Notizen, die er sich vorhin gemacht hatte, durch und wandte sich dann wieder, jetzt bedeutend kühler und offizieller, an den Detektiv.
»Ich möchte Sie bitten, mir noch heute abend eine Abschrift der geheimen, in Brieux’ Aktentasche gefundenen Aufzeichnungen als Brief zuzusenden, Herr Schaper. Vielleicht gelingt es mir, den Inhalt zu enträtseln, der für die Nachforschungen, die jetzt auch auf den Regierungsreferendar ausgedehnt werden sollen, immerhin von Interesse sein kann.«
Nachdem der Detektiv zugesagt hatte, diesem Wunsche sofort nach seiner Heimkehr in das Katzen-Palais zu entsprechen, fragte der Rechtsanwalt den Kommissar, ob er jetzt sofort Boto Wendland im Untersuchungsgefängnis