Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
gesprochen. Und – eigentümlich, seit Dienstag, gerade seit Dienstag lagerte auch diese Verstimmung über dem Hause des Freundes. Zwar hatte man ihm gesagt, daß man sich lediglich um die Gesundheit des alten Herrn sorge. Aber er war ein zu feiner Beobachter, als daß ihm nicht Verschiedenes aufgefallen wäre, was ihn noch stutziger machen mußte. So besonders die verweinten Augen der beiden Damen und ihr ängstliches Bemühen, seinen teilnehmenden Fragen auszuweichen.
Das schrille Anschlagen der Flurglocke unterbrach den Doktor in seinen Gedanken. Er stellte das Gläschen beiseite und ging selbst öffnen. Vor ihm stand Karl Wieland mit selten ernstem, sorgenvollem Gesicht. Nach kurzer Begrüßung nötigte Dreßler seinen Gast in einen der hohen, altmodischen Sessel.
»Du siehst nicht gut aus, Karl,« meinte er teilnehmend. »Überarbeitet, wie –?«
Der blonde Riese schüttelte traurig den Kopf.
»Wenn’s das allein wäre!« – Und, nach einer Pause: »Ich komme, um mir von Dir Rat zu holen, Dreßler, – Rat in einer sehr ernsten und – sehr sonderbaren Angelegenheit.«
Der Doktor zog erwartungsvoll die Augenbrauen hoch.
»Du hast es ja selbst schon gemerkt,« fuhr Wieland zögernd fort, »daß bei mir daheim nicht alles so ist wie es sein sollte, hast es uns ja auch gesagt, und wir – hm, verzeih schon, wir haben Dich da – mit einer Unwahrheit abgespeist, ja, mit einer Lüge, weil wir eben hofften, daß mein Schwiegervater inzwischen etwas von sich hören lassen würde.«
Dreßler zuckte die Schultern. »Ich verstehe Dich nicht, Karl – Du mußt Dich schon etwas klarer ausdrücken.« Damit setzte er sich dem Freunde gegenüber in den anderen Sessel.
»Wir haben Dich, wie gesagt, grob belogen. Durgassow ist nicht nach Königsberg gefahren, sondern seit Dienstag – verschwunden!« – Wieland hatte jetzt alle Verlegenheit abgestreift. Nur ein Gedanke beherrschte ihn: Sein Geheimnis schnell los zu werden und dann von dem Freunde sich einen Rat zu erbitten.
Dreßler hatte sich in seinem Sessel mehr erstaunt als erschreckt aufgerichtet.
»Verschwunden? – Wie soll ich das verstehen?«
»Wörtlich, – leider wörtlich!« meinte Wieland traurig. »Verschwunden, ohne uns nur eine Zeile zurückzulassen, ohne uns in diesen drei Tagen irgend eine Nachricht über seinen neuen Aufenthaltsort zu geben. – Kannst du dir das erklären –?«
Er erhielt keine Antwort. Dreßler hatte wie mechanisch der Schale eine frische Zigarette entnommen und sie ebenso mechanisch angezündet. Sein bartloses Gesicht hatte einen sehr nachdenklichen Ausdruck angenommen. Eine ganze Weile verging so. Man hörte nur das Ticken der Schwarzwälderuhr und das ferne Läuten einer elektrischen Straßenbahn.
Schließlich fragte Dreßler kurz: »Wo und wann hast du Durgassow zum letzten Mal gesehen?«
»Wir, das heißt Anna, meine Frau und ich, waren Dienstag abend in dem Hubermann’schen Konzert. Der Papa hatte sich uns nicht anschließen wollen. Er sagte, er fühle sich etwas matt und wolle daher ausruhen. Wir gingen auch noch in seine Wohnung hinauf und verabschiedeten uns von ihm. Nach dem Konzert besuchten wir für kurze Zeit den Ratskeller und kamen gegen zwölf nach Hause. Als unser Stubenmädchen dann meinem Schwiegervater wie immer am nächsten Morgen um neun Uhr den Kaffee brachte, klopfte sie vergeblich, und –«
»Schon gut. Verzeih’, daß ich Dich unterbreche, lieber Freund. Aber wir kommen schneller zum Ziel, wenn ich Dich jetzt das mir wichtig Erscheinende abfrage. Hier – bitte bediene Dich zunächst –« Damit hielt er seinem Gaste die Zigarettenschale hin. Als Wieland ablehnen wollte, sagte Dreßler ruhig:
»Rauche nur – es ist besser so! Man regt sich weniger auf, wenn die glimmende Zigarette etwas von den Gedanken für sich beansprucht. – So – und nun zur Sache. – Also seit drei Tagen kein Brief, keine sonstige Nachricht; ebensowenig wißt Ihr etwas von irgendwelchen Reiseplänen Durgassows?«
Wieland nickte nur. – Auch die weiteren Fragen des Freundes konnte er meist nur mit kurzem Ja oder Nein beantworten. – Das, was Dreßler auf diese Weise über das rätselhafte und plötzliche Verschwinden des alten Herrn feststellen konnte, war wenig genug. Zwar äußerte sich Wieland dahin, es sei ihm seit längerer Zeit so vorgekommen, als ob Durgassow irgend eine geheime Sorge bedrücke. Aber selbst dieser geringe Fingerzeig genügte in keiner Weise, um daran anknüpfend mit irgendwelchen Nachforschungen beginnen zu können. Michael Durgassow war seit Dienstag abend, – das war als feststehend anzunehmen, – ohne irgend eine Spur zu hinterlassen, verschwunden, hatte in der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch sein Bett nicht mehr benutzt und nicht einmal beim Verlassen seiner Wohnung die in das Treppenhaus führende Tür verschlossen. In seiner Wohnung fehlte nichts, woraus man auf eine plötzliche Abreise hätte schließen können, – kein Koffer, keine Handtasche. Der alte Herr war, bekleidet mit einem dunklen Jackettanzug, ebensolchem Paletot und schwarzem, weichen Filzhut, davongegangen. Wann er am Dienstag abend oder in der Nacht das Haus verlassen hatte, konnte bisher nicht ermittelt werden.
»Ihr habt doch hoffentlich in Durgassows Wohnung nichts geändert, nicht etwa ausfegen lassen?« fragte Dreßler jetzt, nachdem er nachdenklich eine ganze Weile vor sich hingestarrt hatte.
»Nein – es ist alles so geblieben. Nichts ist angerührt worden. Ich habe die Zimmer abgeschlossen und die Schlüssel hat Maria an sich genommen.«
»Die Schlüssel –?«
»Ja, wir haben noch einen zweiten Schlüssel von seiner Wohnung, falls die Mädchen in seiner Abwesenheit aufräumen wollten.«
»So. Ja, richtig. Eure Dienstboten! Sie glauben also, daß Durgassow plötzlich verreist ist?«
»Sicherlich. Wir haben uns in ihrer Gegenwart stets zusammengenommen und uns unsere Befürchtungen nicht anmerken lassen. Sie werden denken, daß mein Schwiegervater in Königsberg bei einem Arzte weilt und unsere Unruhe für die Sorge um seinen Gesundheitszustand halten –«
»Was sie denken, ist schließlich gleichgültig. Denn über kurz oder lang müssen sie ja doch die Wahrheit erfahren. Wenn Euch erst die Polizei ins Haus kommt, dann –« Dreßler unterbrach sich, da Wieland abwehrend die Hand erhoben hatte und jetzt hastig hervorstieß:
»Das darf nicht geschehen, muß eben vermieden werden! Die Polizei muß aus dem Spiel bleiben!« – Als er des Doktors erstaunten Blick fühlte, sprach er schnell weiter:
»Hans, Du bist mein einziger, mein bester Freund! Sieh – ich habe Dir ja noch nicht alles erzählt, Dir gerade das verschwiegen, was mich am meisten beunruhigt. Maria hat – irgendwelche Heimlichkeiten vor mir! Ja – sieh mich nicht so zweifelnd an. Es ist wirklich so. Denn als ich gestern nach dem Polizeipräsidium gehen und die Hilfe der Behörde in Anspruch nehmen wollte, da hat sie mich beinahe fußfällig gebeten, es nicht zu tun. Und heute, als ich mittags heimkam, wiederholten sich dieselben Szenen. Was ich davon denken soll, was die unerklärliche Scheu vor der Polizei bedeutet – ich finde keine Lösung dafür. Und sie, meine Frau, schweigt! Durch keine Mittel, weder im Guten noch im Bösen ist sie zum Reden zu bringen. Sie sagt nur immer: »Quält mich doch nicht so, habt Erbarmen mit mir!««
Dreßlers Gesicht war während dieser sich überstürzenden Sätze merkwürdig steinern geworden. Jetzt stand er auf und meinte in seiner ruhigen Art: »Auch das wird sich aufklären. Aber nun zuerst ein offenes Wort: Auch Du bringst dieses merkwürdige Verhalten deiner Frau mit dem Verschwinden ihres Vaters irgendwie in Verbindung, nicht wahr?«
Wieland bejahte seufzend: »Erst hielt ich es nur für eine Laune,« meinte er ehrlich. »Seit heute mittag bin ich aber doch anderer Ansicht geworden. Ich fürchte – ja, Hans, fürchte jetzt fast, daß Maria mehr von Durgassows Verschwinden weiß, als sie zugeben will. Bin ich unter diesen Umständen nicht wirklich zu bedauern?! Alles hätte ich ja ertragen, nur nicht diese Entfremdung zwischen Maria und mir. Und die besteht jetzt schon, so sehr wir uns auch Mühe geben, die traurige Tatsache voreinander zu verheimlichen.«
Dreßler schüttelte leicht den Kopf.
»Über all diese Dinge kann ich unmöglich schon jetzt ein Urteil