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Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.

Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band - Walther Kabel


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      Dr. Hans Dreßler war nicht nur ein Menschenkenner, sondern auch, – wenn’s darauf ankam, ein sehr guter Schauspieler. Eine Probe seines Könnens hatte er soeben abgelegt. Er hatte über Frau Marias eigenartiges Verhalten bereits seine besonderen Gedanken. Und nur um dem Freund die Seelenruhe nicht zu rauben, hatte er ihn mit allgemeinen Redensarten abgespeist. Er kannte die Frau seines Freundes, wußte, daß sie trotz der mädchenhaften Weichheit ihres Charakters eine große Selbstbeherrschung und viel weibliche Klugheit besaß. Und als er sich jetzt langsam den Paletot anzog, überkam ihn ein sonderbar unbehagliches Gefühl. Es war ihm, als ob ihn eine innere Stimme warnte: »Mische Dich nicht in diese Angelegenheit, laß die Dinge ihren Lauf gehen!« – Aber dann schämte er sich dieser kleinmütigen Regung, ergriff schnell seinen Hut und ging in das Arbeitszimmer hinüber, wo Wieland auf ihn wartete.

      3. Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Wielands bewohnten die erste Etage eines der hohen, am Kassubischen Markt gelegenen Häuser der alten Handelsstadt Danzig. Damals, als der blonde Ingenieur sich ernstlich um die Hand der schönen Maria Durgassow zu bewerben begann, war sein erstes gewesen, seine Schwester, mit der er seit dem Tode der Eltern zusammenlebte, seiner Herzensauserwählten vorzustellen. Und zu seiner Freude hatte er bald gemerkt, daß die beiden im Alter nur wenig verschiedenen Mädchen sich schnell zu einander hingezogen fühlten. Und die ruhige, geistvolle Anna Wieland hatte dann später an der temperamentvollen Schwägerin wirklich eine gute Freundin gefunden. Nie war es in den vier Jahren der Wieland’schen Ehe zu irgendwelchen Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Frauen gekommen.

      Die blonde Anna, die im Gegensatz zu ihrem Bruder eine schnell entschlossene Natur war, bewohnte von den acht Zimmern der Etage zwei, deren eines sie sich als Atelier eingerichtet hatte. Sie verfügte über ein nicht unbedeutendes Talent, und ihre Bilder waren oft genug in den Schaufenstern der größeren Kunsthandlungen Danzigs ausgehängt und wurden auch – was mehr wert war – in der Presse anerkennend besprochen und die Hauptsache! – viel gekauft. Jedenfalls konnte sie mit Hilfe dieses künstlerischen Nebenerwerbes ein ganz behagliches Leben führen, zumal sie außerdem noch ein kleines Vermögen von ihren Eltern her besaß.

      In der zweiten Etage desselben Hauses hatte der Vater der jungen Frau von einem kinderlosen Ehepaar die beiden Vorderzimmer gemietet. Hier hauste Michael Durgassow inmitten einer großen Bibliothek und einer Menge alter, vergilbter Handschriften, die er mit großem Eifer sammelte, – gleichgültig, in welcher Sprache sie abgefaßt waren. Der alte Herr hatte es mit seinem Zartgefühl verstanden, sich seinen Kindern immer nur zeitweise zu widmen, ohne ihnen je zur Last zu fallen. Seine Mahlzeiten nahm er meist außer dem Hause ein. Nur den Morgen- und den Nachmittagskaffee schickte ihm seine Tochter durch das Stubenmädchen täglich nach oben. – Durgassow war ein Mann von einer alles umfassenden Bildung. Nicht nur daß er fünf Sprachen völlig beherrschte, auch auf den Gebieten der Technik und Literatur zeigte er sich äußerst bewandert. Außerdem gestattete ihm sein großes Vermögen, ganz seinen gelehrten Liebhabereien nachzugehen.

      In dieses wirklich in jeder Weise harmonische Zusammenleben der vier in demselben Hause vereinten Menschen brachte das plötzliche Verschwinden Michael Durgassows die erste Störung hinein. Und Dr. Dreßler war’s, der hier jetzt raten und helfen sollte. – Nachdem die beiden Freunde des Doktors Haus verlassen hatten, war zwischen ihnen weiter kein Wort gewechselt worden. Schweigend schritten sie durch die Straßen, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt. –

      Dreßler begrüßte die beiden Damen nur kurz und bat sich sofort den Schlüssel zu der Wohnung Durgassows aus. Langsam stieg er die Treppe empor. Begleitung hatte er sich verbeten. Als er die Flurtür aufgeschloßen und das Arbeitszimmer betreten hatte, schlug ihm eine dumpfe Luft entgegen. Mit großer Gewissenhaftigkeit begann er dann die Untersuchung der beiden Räume. Nichts blieb unberührt, nichts entging seinen forschenden Blicken. Besonders lange hielt ihn der große Diplomatenschreibtisch auf, über dessen Platte Zeitungen und Papiere ausgestreut lagen. – Nach ungefähr einer Stunde schien es in den beiden Zimmern für ihn nichts Interessantes mehr zu geben. Er schloß die Wohnung wieder ab und ging zu Wielands hinunter. Um seine Lippen spielte dabei ein triumphierendes Lächeln.

      In dem Arbeitszimmer des Hausherrn saßen sich dann die beiden Freunde gegenüber. Dreßler hatte die Damen sehr höflich, aber auch sehr bestimmt gebeten, sie vorerst allein zu lassen, da es noch manches zu besprechen gäbe, was für Frauenohren nicht geeignet wäre.

      »Du hast also nichts gefunden, daß die Angelegenheit auch nur etwas klärt?« fragte Wieland jetzt enttäuscht.

      »Nichts ist zuviel gesagt. Ich meinte nur, daß ich keine direkte Spur entdeckt habe, die zu dem Verschwundenen hinweist. Ich habe dafür aber etwas anderes beobachtet.« – Er zauderte unschlüssig und warf einen besorgten Blick auf den Ingenieur, der nervös auf seinem Stuhl hin und her rückte.

      »Und das ist? – So spricht doch, spann mich nicht so auf die Folter!« fuhr Wieland leicht gereizten Tones auf.

      »Ja, Karl, ich glaube jetzt auch, daß Deine Frau Dir gegenüber nicht ganz aufrichtig ist.«

      »Hast du Beweise dafür?«

      »Ja! – Du hattest mir doch gesagt, daß oben in Durgassows Zimmern alles so geblieben ist, wie Ihr es am Dienstag morgen vorgefunden habt. Das kann aber nicht sein, da zweifellos vor ganz kurzer Zeit von dem Schreibtisch Deines Schwiegervaters zwei Papiere fortgenommen sind.«

      »Verzeih’ schon, kannst Du Dich da nicht täuschen? Wie willst Du außerdem mit so großer Sicherheit behaupten, daß es gerade zwei Papiere gewesen sind, weiter, daß sie überhaupt dort vorher gelegen haben?«

      »Das sind viele Fragen auf einmal, lieber Freund. Ich könnte Dir die Antwort leicht geben. Aber, – eine andere Frage vorher: Hast du den Schlüssel zu Deines Schwiegervaters Wohnung stets bei Dir getragen?«

      »Nein! Wie Du ja selbst gesehen hast, gab ihn Maria mir, die ihn an sich genommen hatte.«

      »So – so! Ein weiterer Beweis für die Richtigkeit meiner Vermutung. – Jedenfalls wird sich’s bald zeigen, daß ich in allen Punkten recht habe. Ich werde in Deiner Gegenwart jetzt im Laufe des Gesprächs an Deine Frau eine diesbezügliche Frage richten, und dann kannst Du ja selbst sehen, ob sie dabei völlig harmlos bleibt. Beobachte sie scharf, aber unauffällig!«

      Wieland war aufgesprungen und rang verzweifelt die Hände.

      »Hans, darüber komme ich nie hinweg, nie! Maria hat also wirklich Heimlichkeiten vor mir!

      Das fasse ich nicht, begreife ich nicht!«

      »Ruhe, Karl, Ruhe! Noch wissen wir ja nicht, welche Gründe Marias Verhalten derart beeinflußt haben.«

      »Ruhe! – Du verlangst Unmögliches. Bei allem ruhig zu bleiben, dazu gehören Nerven wie Taue so stark! Und die habe ich nie gehabt. Wenn ich bedenke, was alles in diesen drei Tagen auf mich eingestürmt ist, – Sorgen, Zweifel, Befürchtungen! – Und kein Ende abzusehen – im Gegenteil! Vielleicht habe ich das Schlimmste sogar noch vor mir!«

      »Kein Ende, meinst Du?« sagte Dreßler ärgerlich. »Allerdings kein Ende, wenn Du Dich nicht zusammennimmst und Dein Geschick nicht wie ein Mann trägst! Ich denke, daß gerade diese Zweifel an der Aufrichtigkeit Deiner Frau Dich fähig machen müßten, mit Überlegung jedes Für und Wider abzuwägen. Wenn Du aber in dieser Weise fortfährst, dein Unglück nutzlos zu bejammern, so schädigst Du Dich selbst dadurch am allermeisten. Nimm mir dieses offene Wort nicht übel. Aber ich habe unter Freundschaft auch stets gegenseitige Ehrlichkeit verstanden!«

      Der blonde Hüne war am Fenster stehen geblieben, und Dreßler glaubte zu bemerken, wie jetzt ein Zittern durch Wielands gewaltigen Körper ging. Da trat er neben ihn und legte ihm begütigend die Hand auf die Schulter.

      »Vielleicht war ich eben zu schroff, Karl.«

      »Laß nur!« kam’s gepreßt heraus. »Du wirst schon Recht haben mit Deiner Ehrlichkeit.


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