Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
heißt das, – was wollen Sie hier bei meinen Schwiegereltern?« fragte ich, den Erregten spielend. »Ich muß endlich Klarheit haben, Herr Kommissar. So geht das nicht weiter. Sie scheinen mir jetzt da eine Spur zu verfolgen, die …«
Er legte mir schwer die Hand auf die Schulter. Sein scharfgeschnittenes Gladiatorengesicht war düster und ernst.
»… eine Spur, die auch Sie bereits bemerkt haben,« beendete er meinen Satz. »Oder – wollen Sie das leugnen, Herr Doktor?!«
Er war wieder stärker als ich. Ich hätte zupacken, ihn würgen mögen, hätte – hätte … – Ich fühlte eine furchtbare Wut gegen diesen Mann in mir hochquellen wie eine Welle betäubenden Dunstes! Ich merke, wie meine Finger sich krampfhaft öffneten und schlossen –. Und doch stand ich still und stumm vor ihm – machtlos, willenlos … Nicht einmal eine schnelle Erwiderung fand ich.
Und deshalb hatte ich auch – verspielt! Auf Worte, die den von mir begonnenen Satz vollendeten, hätte die Antwort Schlag auf Schlag fallen müssen, – etwa: »Ich verstehe Sie nicht! Ich muß Sie doch sehr bitten, sich klarer auszudrücken …!« Dann hätte ich Zeit gefunden, mir mein ferneres Verhalten zurechtzulegen –.
So aber, – so?! – Mein Schweigen war in dieser Lage mein »Ja«.
»Gehen wir weiter,« meinte Gunolt.
Wir gingen. Er erzählte von dem Selbstmord mit Azetylen, der – ein Mord war. Von der Erzieherin war der Plan gekommen, der Gutsbesitzer hatte dem eigenartigen jungen Reiz blindlings gehorcht.
»Auch so etwas wie Hypnose,« sagte er lebhafter. »Ein Mann in reiferen Jahren, der einem solchen Weibe ganz verfallen ist durch den Zwang nie zur Ruhe kommenden Begehrens, hat zwar keinen Anspruch auf den Strafausschließungsgrund des berühmten Paragraphen 51 – krankhafte Störung der Geistestätigkeit und so weiter –, aber – als voll zurechnungsfähig ist er doch nicht zu betrachten. Jene Erzieherin war ein Teufel, eines von jenen Weibern, für die die Folter wieder eingeführt werden sollte. Denken Sie, er hat sie zu schützen gesucht bis zum letzten Augenblick, hat alles allein auf sich genommen. Hätte ich die beiden nicht mal nachts belauscht, wäre der Scharfrichter um einen Henkerlohn gekommen. – Nun wissen Sie, weshalb ich von dem Spalierobst anfing. – Hier liegt die Sache natürlich anders, Herr Doktor. Und doch haben die beiden Fälle eine gewisse Ähnlichkeit. – Weshalb suchen Sie Beatrix zu schützen?«
Mein Gelehrtenhirn nützte diesem Mann gegenüber nichts – es versagte. Die alten Assyrer waren leichter zu behandeln …
Ich wollte schon wieder stehen bleiben, den maßlos Erstaunten vortäuschen, aber – ich gab es auf.
Wir waren gerade an der Treppe des Pavillons angelangt. Gunolt sagte: »Bitte!« und ließ mir den Vortritt.
Langsam stieg ich Stufe für Stufe empor. Ich erinnerte mich. Dort hatte ich gesessen, nachdem ich aus der Ohnmacht erwacht war, dort hatte ich am Geländer gelehnt und Gunolt mir gegenüber, und er hatte die Worte gesprochen, die mich wie das Geplapper eines Irren getroffen hatten: »Sie sind der Mörder nicht, Herr Doktor …!«
Das alles erschien er jetzt wie ein Traum, an den man nach Jahren wieder denkt, – wie ein Traum –. Ich mußte mich geradezu zu dem Gedanken zwingen: »Es ist Wirklichkeit gewesen!« mußte mir die Kapelle auf dem Friedhof vergegenwärtigen, ein entstelltes Totenantlitz, um wieder glauben zu lernen, daß Heliante nicht mehr war – –. In dem Moment, wo jetzt meine unsichere Hand nach dem Drücker der Pavillontür faßte, – in dem Moment, das will ich hier hervorheben, packte mich zum ersten Male die Angst vor mir selbst, vor der Unausgeglichenheit meines Empfindungslebens, meines ganzen Charakters, – da hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, als ob nicht nur die harmlose Naturerscheinung des Regens eine völlige Umwandlung meines Ichs hervorbringe, sondern als ob auch unter gewöhnlichen Umständen etwas Zwiespältiges in mir wohnte, mich beherrschte – etwas, vor dem ich ein Grauen empfand.
Das Grauen …! Ich habe es später noch oft kennen gelernt –, später, als – ich gegen Beatrix kämpfte – –.
Wir traten ein. Gunolt wies auf den Gartenstuhl. Es war derselbe wie damals, derselbe, auf dem ich gesessen, von dem ich ohnmächtig herabgeglitten war.
Gunolt lehnte sich an die Mauer – wie damals.
»Weshalb suchen Sie Beatrix zu schützen?« fragte er nach einer Weile.
Ich starrte auf den buntgemusterten Bastteppich. Einem anderen wäre jetzt vielleicht das Bild der Toten erschienen … Ich sah ein Bild. Aber der Teppich wurde zur blumenbesprenkelten Wiese –. Ein junges Weib hatte sich ins Gras gestreckt –. Und trunkenen Blickes stand ich vor so viel lockender Jugend und Schönheit …
Das – das war doch Heliante gewesen – dort auf dem ländlichen Besitz der Barks in Pommern, – vor vier Wochen etwa –. Heliante –? – die hatte es ja gegeben für mich - Beatrix war’s – Beatrix, die ich liebte, nach der ich mich sehnte, die ich – liebte –liebte – liebte –.
Und da kam mit der abermals schnell hochsteigenden Wut gegen den, der mir Beatrix vielleicht rauben und der sie den Schergen ausliefern wollte, gleichzeitig eine kaltblütige Ruhe über mich, die alle Angst von mir nahm. Da vermochte ich sehr echt aufzuspringen, den Stuhl auf den Boden zu stoßen und zu rufen: »Herr, wollen Sie etwa meine Schwägerin beschuldigen, diejenige zu sein, die den Grauen sich zu Diensten machte?!«
Gunolt schaute mich mit eigentümlichem Blick an.
»Sie sind mir ein Rätsel, Doktor,« sagte er kopfschüttelnd.
»Bitte »Herr« Doktor – »Herr«!« brauste ich auf. »Ein Mann, der einem so unsinnigen Verdacht nachgeht, nur um –.«
Er hatte eine unerhört selbstbewußte Art, einem durch eine Handbewegung Schweigen zu gebieten.
»Mich täuschen Sie nicht,« sagte er leise, als spräche er einem Kranken gut zu. »Mich nicht, Doktor! In ihrem Verhalten ist etwas, das stutzig macht. Es paßt nicht zu Ihnen. Sie haben Ihre Braut fraglos über alles geliebt. Sie schrien: »Rache, Rache –!« Boten sich mir als Verbündeter an –. Und jetzt – jetzt – ich begreife Sie nicht, denn Sie wissen ja ebenso gut wie ich, daß Ihre Schwägerin bei diesem Mord eine höchst unklare Rolle spielt. – Soll ich Ihnen die einzelnen Belastungsmomente aufzählen? –: Sie verschweigt erst, daß sie den Grauen gesehen hat. Ich muß Sie zu diesen Angaben zwingen. Vorher schon die Szene auf der Diele mit Ihnen, die Begrüßungsszene – die –.«
»Sparen Sie sich das alles,« unterbrach ich ihn schroff. »Sie klammern sich an Tatsachen, die ganz belanglos sind. Wenn Sie –.«
Wieder die Handbewegung.
»Ich möchte so gern herausbringen, Doktor,« sagte er, »ob etwa Beatrix in den letzten Tagen mit Ihnen häufiger allein gewesen ist, ob sie also Gelegenheit gehabt hat, Sie zu – hypnotisieren, – denn Sie sind ganz sicher sehr empfänglich für Suggestion, sehr –!«
Ich prallte zurück. Mich packte geradezu ein lähmendes Entsetzen. Ich stand eine Weile weit vorgebeugt da, nachdem ich erst einen Schritt zurückgewichen war …
Heliante – Beatrix, – verschmolzen in eins; nur die Lebende noch, der meine Gedanken galten –! – War das nicht wie ein unfaßbares Wunder?! Und nun hier aus Gunolts Mund die Erklärung: »Hypnose – Seelenzwang – mein Wille tot –!«
»Ich habe ihn Beatrix’ Zimmer viele Werke über Suggestion und ähnliche Gebiete der Seelenkunde gefunden,« fuhr Gunolt wieder mild und leise fort. Mild! – ich fühlte, er sprach zu mir als Freund, der mir das Schwere liebevoll beibringen wollte. »Ich weiß noch mehr, Doktor. Beatrix ist an jenem Abend, als Franz Orskes angebliche Schwester die Sachen von der Kremk abholte, nicht zu Hause gewesen, sondern hat einen medizinischen Vortrag in der Aula der Universität sich anhören wollen, wie sie auch der Pförtnerfrau anvertraute. Sie trug Lodenmantel, Lackhut. Beides gehörte Heliante, wie Ihnen bekannt sein dürfte. Orskes Schwester ist Beatrix – dieselbe Beatrix, die uns vorhin belauschte, die Sie warnten, die Sie – hypnotisiert hat, die Sie liebt –!«
Ich